Sie sind braun gestreift und haben einen glitschigen, schlangenähnlichen, gerillten Körper. Sie besitzen 32 Gehirne, 10 Mägen, fünf Augenpaare und atmen über die Haut, die sie regelmässig häuten. Wo vorne und wo hinten ist, sieht man erst richtig, wenn sie beissen. Was klingt wie ein Wesen aus einem Fantasy-Roman, ist ein medizinischer Blutegel.

Sensible Tiere

Diese faszinierenderen Blutsauger sind sensibel, mögen weder Kälte noch Zugluft und keine gestressten Tiere oder Menschen während der Behandlung. Dann würden sie nämlich nur schlecht oder überhaupt nicht beissen, erklärt Sina Kunz. Sie ist gelernte Tiermedizinische Praxisassistentin (TPA) und arbeitet in einer Praxis, in der sowohl Klein- als auch Grosstiere behandelt werden.

Die 23-Jährige ist eher durch Zufall zu Blutegeln gekommen. Als ihr Hengst kastriert wurde, gab es massive Komplikationen in der Heilung. Die Wunde eiterte fast drei Monate lang, es wurden verschiedene Antibiotika verabreicht. Als der letzte Ausweg eine erneute Operation nach sich gezogen hätte, zog Sina Kunz die Handbremse.

Durch eine Kollegin hatte sie von Blutegeln erfahren. Sechs Blutegel, die sie einmalig beziehen durfte, habe sie angesetzt, rings um die Wunde, die anschliessend problemlos zusammengewachsen sei, erzählt Kunz begeistert.

Um weitere Blutegel bestellen zu können und diese auch an fremden Tieren anwenden zu dürfen, bedarf es einer Ausbildung, die Kunz im Sommer 2024 erfolgreich absolvierte.

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«Eiter finden sie super»

Die Therapie mit Blutegeln wirkt, da diese beim Saugen eine Vielzahl verschiedener Stoffe abgeben. Diese wirken unter anderem ähnlich wie Antibiotika und entzündungshemmend. Zudem hemmen sie die Blutgerinnung, was nach der Behandlung zu einer Nachblutung führt. Wirklich saugen tun die Blutegel nur drei bis sechs Milliliter Blut.

Eingesetzt werden die saugenden Tiere bei einer Vielzahl von Diagnosen, bei hohen Zellzahlen oder Liegeschwielen bei Kühen, bei Nabelabszessen von Kälbern, Sehnenverletzungen von Pferden, Ödemen, Arthrose bei Hunden und vielem mehr. «Eiter finden sie super, sobald es stinkt, ist es gut» meint Sina Kunz.

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Vorbereitend sei es wichtig, dass nach einer Medikamentengabe mindestens drei Tage, nach einer Impfung mindestens drei Wochen vergangen seien. Zudem dürften keine Salben oder Fliegenmittel in dem Bereich angewendet worden sein. Die Egel würden das riechen und entweder nicht beissen oder gleich wieder loslassen, begründet Kunz.

Im besten Falle rufe man beim Auftreten eines Problems gleich bei ihr an, meint Sina Kunz. Akut könne man umgehend reagieren und es reiche oft schon eine Behandlung. Bei chronischen Beschwerden erfordere es oft mehrere Behandlungen. Dadurch könne im besten Falle eine Behandlung mit Antibiotika vermieden werden. «Nach einem Blutegel gibt es keine Absetzfrist und das ist genial! Das ist eines der ausschlaggebendsten Argumente» merkt Kunz an.

Als TPA könne sie häufig schon während des ersten Telefonates ungefähr eruieren, wo die Problematik liege. Durch die Erfahrung in der Landwirtschaft – sie und ihr Mann, gelernter Landwirt, sind auf Hofsuche – und die Arbeit in der Praxis hat sie Erfahrung im Umgang mit Nutztieren.

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Tier wird fixiert

Der Ablauf ist dann folgender: Das Tier, hier eine Holstein-Kuh, wird angebunden oder fixiert. Die Kuh hat seit der Geburt des letzten Kalbes im November 2024 auf einem Viertel hohe Zellzahlen, wurde bisher aber nicht anderweitig behandelt, weil die Werte immer im Toleranzbereich lagen.

Ist das Tier fixiert, nimmt Sina Kunz die Blutegel aus den Transportbechern und legt sie in eine Schröpfglocke. So kann sie den Radius, in dem der Egel beissen soll, einschränken und vermeiden, dass ein Blutgefäss getroffen wird. Zudem sehe sie so, ob er schon gebissen habe.

Hier waren es vier Blutegel, mindestens zwei brauche es immer. Anschliessend saugen diese 20 bis 40 Minuten. In dieser Zeit werden sie von dem kleinen, schlanken Tier zu einer «Presswurst» und fallen ab, wenn sie satt sind. Die Wunde blutet dann noch bis zu 24 Stunden nach, sie darf aber nicht desinfiziert werden. Vielmehr soll einfach auf gute Hygiene geachtet und das Blut mit maximal etwas Wasser abgespült werden.

Gute Erfahrung gemacht

Für die St. Galler Bauernfamilie war die Blutegel-Therapie auch Neuland. sie schreibt, dass der Viertel eine Woche nach der Behandlung beim Schalmtest immer noch positiv anzeige. Die genaue Zellzahl könne man aber erst bei der nächsten Milchwägung sagen. Sina Kunz empfiehlt eine weitere Behandlung, da es sich bereits um ein chronisches Problem handelt.

Die Behandlung an sich fand die Familie unkompliziert, es habe gut geklappt und die Kuh sei während der Behandlung entspannt gewesen. Sollte die Behandlung die Zellzahlen tatsächlich verbessert haben, würden sie die Blutegel auf jeden Fall einer Antibiotika-Behandlung vorziehen.

Die gebürtige Aargauerin arbeitet gesamtschweizerisch, wobei sie in Wald ZH wohnhaft ist.

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