Hat die heimische Landwirtschaft ein Nachwuchsproblem? Aktuelle Zahlen des Schweizer Bauernverbands (SBV) weisen auf das Gegenteil hin. Diese deuten sogar auf eine tendenzielle Steigerung der Lernendenzahl im gesamten Berufsfeld Landwirtschaft, zu dem auch die Agrarpraktiker mit einem Eidgenössischen Berufsattest (EBA) gehören. Nichtsdestotrotz werden mehr Lernende benötigt, um die Hofnachfolgen zu sichern.


Zunahme um 157 Lehrlinge


Der SBV konnte im Zeitraum von 2014/15 bis 2016/17 eine Zunahme an Lernenden um 4,6 Prozent verzeichnen. Absolut sind dies bei aktuell 3565 Lehrlingen 157 Auszubildende mehr. Wird der Fokus nur auf die angehenden Landwirte und Landwirtinnen mit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ) gelegt, beträgt die Zunahme in der gleichen Periode sogar 5,4 Prozent, was bei total 2949 Personen ein Plus von 152 Lernenden bedeutet.

Die vom SBV konstatierte Entwicklung kann Ernst Flückiger vom Inforama bestätigen. «Auch im Kanton Bern sind die Lehrlingszahlen in den letzten zwei Jahren steigend.» Gleichermassen verzeichnet Peter Küchler, Direktor am Plantahof in Landquart GR, «entgegen der demografischen Entwicklung eine eher zunehmende Tendenz.»


Viele in Zweitausbildung


Eine stabile oder leicht steigende Tendenz, sowohl in der Erst- als auch in der Zweitausbildung, wird am Landwirtschaftlichen Zentrum Liebegg registriert. Und Lehrlinge in der Zweitausbildung sind hier besonders stark vertreten. «Diese machen bei uns aktuell bis gegen 50 Prozent der Schülerinnen und Schüler aus», bestätigt Hansruedi Häfliger, Direktor an der Liebegg AG.

Eine konstante Entwicklung konnte der Strickhof ZH verzeichnen, wie Erik Meier, Leitung Grundbildung Landwirtschaft und Tierberufe, bemerkt.  Werde das aktuelle Schuljahr mit dem Vorjahr verglichen, befinde sich die Lernendenzahl am Strickhof auf einem leicht tieferen Niveau. Die Zahlen des SBV kennzeichnen für Erik Meier vielmehr jährliche Schwankungen. «Tendenziell erwarte ich, dass künftig eher weniger Personen einen landwirtschaftlichen Beruf erlernen.»


Boom bei Bäuerinnenschule


Besonders erfreut zeigen sich der Plantahof und die Liebegg, wenn es um die weiblichen Lernenden geht. «Wir verzeichnen einen regelrechten Boom bei der Bäuerinnenausbildung», sagt Hansruedi Häfliger.  


Auch Peter Küchler sieht die 
Erwartungen hinsichtlich der Bäuerinnenschule in Graubünden mehr als erfüllt. Als am Plantahof die Ausbildung vor sieben Jahren lanciert worden war, sei ein Ausbildungsstart alle zwei Jahre geplant gewesen. «Gegenwärtig können wir den Lehrgang jährlich anbieten», bemerkt Peter Küchler.

Im Schweizer Durchschnitt

Auch bei den Landwirtinnen EFZ zeigen sich die beiden Bildungszentren zufrieden. An der Liebegg etwa liegt der Frauenanteil bei den Landwirten und Landwirtinnen im schweizerischen Durchschnitt bei bereits über zehn Prozent. «Es ist nicht mehr aussergewöhnlich, wenn in einer Schulklasse ein Viertel der Lernenden weiblich ist», betont Peter Küchler mit Blick auf die Situation in Graubünden. So seien am Plantahof im Lehrgang Landwirt(-in) EFZ je nach Ausbildungsart zwischen 15 und 25 Prozent der Lehrlinge weiblichen Geschlechts.


Hofnachfolge nicht gesichert


Dass wieder mehr Lehrlinge eine Ausbildung in der Landwirtschaft antreten, sei sicherlich positiv zu bewerten. Laut Hansruedi Häfliger müsse dabei aber beachtet werden, dass das Durchschnittsalter der Aargauer Betriebsleiter in den vergangenen Jahren stark zugenommen habe. «Wir bilden aktuell Junglandwirte und Junglandwirtinnen für 1000 bis maximal 1500 Aargauer Betriebe aus. Rund 3400 Betriebe, wovon 2700 direktzahlungsberechtigt sind, gibt es aktuell im Aargau.» Somit reichen die potenziellen Hofnachfolger nicht aus. Und es sei davon auszugehen, «dass sich der Strukturwandel deswegen in den nächsten Jahren zusätzlich verschärfen wird.»


Auch gemäss Peter Küchler dürfe man sich von den an sich erfreulichen Lernendenzahlen nicht täuschen lassen. Denn zur Sicherung der Hofnachfolge wären noch viel mehr Lernende nötig. Mit Blick auf eine Generation bilde der Plantahof etwa 1500 bis 1800 Landwirte und Landwirtinnen aus. Bei 2300 Betrieben in Graubünden entstehe somit ein Mangel an ausgebildeten 
Betriebsleitern.


Jasmine Baumann, Curdin à Porta