BauernZeitung: Was ist Ihre tägliche Arbeit?


Reto Wyss: Die Arbeit im Kantonalen Veterinärdienst ist sehr abwechslungsreich und jeder Tag bringt neue Fragen und Herausforderungen mit sich. Allen meinen Arbeitstagen gemeinsam ist, dass ich mich sehr viel mit Menschen austausche. Zu meinem Alltag gehören Absprachen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Veterinärdienst, Besprechungen und Telefonate mit Tierhaltern, Vertretern von Organisationen, Politikern oder Mitarbeitern anderer Amtsstellen sowie die Beantwortung von Bürger- oder Medienanfragen. Ich sitze recht viel vor dem Bildschirm und erstelle oder bearbeite Berichte, Briefe oder Konzepte.

Was sind Ihre Kernaufgaben in Bezug auf die Landwirtschaft?

Wir führen Kontrollen in den Bereichen Lebensmittelsicherheit, Tiergesundheit, Tierarzneimitteleinsatz und Tierschutz durch. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Produktion von sicheren Lebensmitteln tierischer Herkunft und tragen so zur Marktfähigkeit landwirtschaftlicher Produkte bei. Zudem sind die Anstrengungen des schweizerischen Veterinärdienstes bei der Bekämpfung und Ausrottung von Tierseuchen eine wichtige Grundvoraussetzung für eine wirtschaftliche Nutztierhaltung. Wie ein Blick auf viele andere Länder zeigt, ist es nicht selbstverständlich, dass wir nur sehr wenige Produktionsausfälle wegen Tierseuchen haben.


Wenn es um das Überfüllen der Euter geht, heisst es, der Kantonstierarzt schaut zu genau hin. Wenn es um einen Fall, wie jenen in Boningen SO geht, wo mehrere Tiere auf einem Bauernhof verendet sind, heisst es, der Kantonstierarzt schaut zu wenig hin. Wie schätzen Sie diese Aussagen ein?


Es ist ja in vielen Bereichen so, dass immer bei irgendeiner Behörde Schuldige gesucht werden. Dabei geht etwas Entscheidendes oft vergessen. Wie leben – zum Glück – in einem liberalen Rechtsstaat, in dem die Eigenverantwortung des Bürgers sehr hoch gewichtet ist. Verantwortlich für die Einhaltung der Vorgaben ist also immer der Tierhalter und es braucht ziemlich viel, bis wir massiv einschreiten können. Für die einen braucht es zu viel, für andere ist es völlig unverständlich, wenn wir durchgreifen. Aus Datenschutzgründen dürfen wir jeweils während eines Verfahrens auch nicht detailliert Auskunft geben. Dies kann in der Öffentlichkeit zum Eindruck führen, dass wir nichts oder das Falsche machen.


Was ist unter «ziemlich viel» denn genau zu verstehen?


Ausser in sehr seltenen Fällen, bei denen die Situation so gravierend ist, dass wir sofort Tiere beschlagnahmen müssen, erhalten die Tierhalter immer die Gelegenheit, Korrekturen vorzunehmen. Einer Reduktion des Tierbestandes oder einem Tierhalteverbot geht eigentlich immer eine längere Geschichte voraus, in deren Verlauf auch Beratungs- und Unterstützungsbemühungen gescheitert sind.

Wann wird denn der Kantonstierarzt in solchen Fällen genau nötig? Oder anders gesagt, wann rückt Reto Wyss aus?


Selber rücke ich sehr selten aus. Aufgrund der Grösse des Kantons Bern ist es nicht möglich, dass ich einzelne Tierschutz- oder Seuchenfälle bearbeite. Mich braucht es mehr im Hintergrund. Zum Beispiel für die Beantwortung von Medienanfragen zu Tierschutzfällen, für die Organisation von Unterbringungsmöglichkeiten für beschlagnahmte Tiere oder für juristische Abklärungen. Für die Arbeit vor Ort kann ich mich auf meine Mitarbeiter verlassen.


Was sind Ihre persönlichen Prioritäten der kommenden Monate, wenn Sie an die landwirtschaftliche Nutztierhaltung denken?


Eine wichtige Aufgabe ist die Fertigstellung unseres Seuchennotfallkonzepts. Weiter gleisen wir zusammen mit Partnerorganisationen die Umsetzung der Strategie gegen Antibiotikaresistenzen in dem Bereich, den wir beeinflussen können auf. Ebenfalls in den nächsten Monaten müssen wir mit der Informations- und Beratungstätigkeit im Hinblick auf die im 2018 ablaufenden Tierschutz - Übergangsfristen für Schweinehaltungen beginnen.

Oft beklagen sich Bauern über den administrativen Aufwand (Bsp. Auslaufjournal). Sehen Sie Alternativen oder Vereinfachungen zum bestehenden System?


Auf nationaler Ebene laufen diesbezügliche Überlegungen. Erleichterungen sind sicher wünschenswert. Ein gewisser administrativer Aufwand lässt sich heutzutage nicht mehr vermeiden. Dafür sind Gründe der Transparenz und Nachvollziehbarkeit verantwortlich. Dies betrifft ja nicht nur die Landwirtschaft, sondern alle Geschäftsbereiche. Wenn man zum Beispiel an Labelvorgaben denkt, ist zudem auch nicht einfach nur der Staat Verursacher von administrativem Aufwand.


Obwohl der Schweizer Bürger als obrigkeitsgläubig bezeichnet werden dürfte, ist gerade im Sektor Landwirtschaft immer wieder harsche Kritik an den Behörden zu hören. Wie erklären Sie sich das und wie gehen Sie damit um?

Die Bauern, mit denen ich in Kontakt komme, fallen mir diesbezüglich nicht speziell negativ auf, sondern beurteilen unsere Arbeit in der Regel sehr 
differenziert. Es ist aber heute schon so, dass sich gewisse Meinungsmacher generell abschätzig und negativ über die Arbeit der Verwaltung äussern, und das färbt dann leider auch auf Leute ab, die das nicht richtig einordnen können und die meinen, dass man sich gegenüber Mitarbeitenden des Veterinärdienstes alles erlauben kann.


Eine immer wiederkehrende Bemängelung ist der Umstand, dass die Leute, die Gesetze ausarbeiten, am Bürotisch sitzen und wenig Praxisbezug haben. Wie schätzen Sie das ein?


Wir haben sehr wohl Praxisbezug. Das nehme ich für uns hier im Veterinärdienst Bern in Anspruch. Ohne Bezug zur Praxis kann man die Arbeit als Kantonstierarzt auch gar nicht ausführen. Bis ein Gesetz oder eine Verordnung in der Schweiz in Kraft gesetzt wird, durchläuft das Ganze einen längeren politischen Prozess. In diesem bringen sich die verschiedensten Anspruchsgruppen – unter anderen auch die Landwirtschaft – ein. Alle Ansprüche mehr oder weniger unter einen Hut zu bringen ist dabei nicht ganz einfach und führt dazu, dass gewisse Vorschriften den einen zu weit und den anderen zu wenig weit gehen.

Interview Simone Barth