LID: Wie schätzen Sie aktuell die Probleme mit den Grossraubtieren ein?

Thomas Jäggi: "Im Zusammenhang mit der bevorstehenden Teilrevision des Jagdgesetzes steht der Wolf zurzeit im Zentrum der Diskussion. Es gibt leider immer wieder Probleme mit einzelnen Tieren. Beim Luchs ist das Problem weniger gross, da dieser scheuer ist und seine Risse besser bewirtschaftet als der Wolf. Im Gegensatz zum Wolf greift sich der Luchs nur ein Tier und frisst den Kadaver anschliessend über mehrere Tage. Er geht erst wieder auf die Jagd, wenn er nichts mehr zu fressen hat. Der Wolf hingegen tötet alle Tiere, die sich nicht mehr rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Der Luchs weicht im Gegensatz zum Wolf auch nur dann auf Schafe aus, wenn die Wildbestände zu klein sind".

Wie sieht die Haltung des Schweizer Bauernverbandes gegenüber Grossraubtieren aus?

"Die Schafhalter hatten auch in diesem Jahr viele Probleme. Für die Städter sind Wölfe noch kein Problem. Die betroffenen Landwirte fühlen sich zum Teil allein gelassen. Der Landwirt hat nicht nur den Schaden durch die Tierverluste, er muss auch noch ohne Entschädigung aufräumen und die Kadaverteile entsorgen. Das Ersatzgeld macht das nicht wett. Auch der emotionale und der züchterische Wert eines Tieres ist nicht berücksichtigt".

Was halten Sie von der Idee des Herdenschutzes?

"Es gibt zwar die Möglichkeit zur Haltung von Herdenschutzhunden. Doch diese sind nicht zu 100 Prozent wirkungsvoll. Zudem gibt es immer wieder Probleme mit Passanten und Wanderern, was dem Tourismus schadet. Meines Erachtens sind auch Nachtkoppeln keine echte Lösung, denn der daraus entstehende Aufwand ist enorm. Die Sömmerung wird dadurch immer schwieriger und gewisse Alpgebiete werden gar nicht mehr bestossen. Da führt zu einer Verbuschung dieser wertvollen Flächen. Sie gehen für die landwirtschaftliche Nutzung verloren".

Passen Grossraubtiere noch in unsere bevölkerte und bebaute Landschaft?

"Wir haben zirka 40'000 Quadratkilometer Fläche und über acht Millionen Einwohner. Es ist also klar, dass es bei uns Platzproblem gibt. Vor allem, weil viele Grossraubtiere einen grossen Bewegungsraum brauchen. Sogar amerikanische Nationalpärke, die über riesige unbewohnte Flächen verfügen, haben zu wenig Platz für diese Tiere. Selbst dort ist der Aufbau einer Bärenpopulation schwierig. Man darf nicht vergessen, dass bei der Ausrottung dieser Tiere um 1830 die Schweiz nur zwei Millionen Einwohner hatte. Es hat sich in der Zwischenzeit viel verändert".

Ist ein friedliches Nebeneinander von Raubtieren und Menschen in der Schweiz möglich?

"Es wird immer Konflikte geben. Das lässt sich in Kanada gut beobachten. Vor allem der Bär ist dort ein Problem. Aber auch der Wolf. Beide Tierarten loten ihre Grenzen aus und versuchen möglichst einfach, an Futter zu kommen".

lid

Das Dossier Nr. 484 vom 07. Dezember 2017 ist eine Serie mit Artikeln über Wildtiere in der Schweiz.