Zumindest im Bergell wollte sich der nasse Juli auch am 1. August noch nicht ganz verabschieden. Der Regen prasselte auf die aufgezogenen Planen vor dem Hof von Tarcisio Pedroni in Vicosoprano, als Bundesrätin Eveline Widmer-Schlupf vor das Mikrofon trat.  Diese mochte die zahlreichen Gäste während ihrer Ausführungen nicht im Regen stehen lassen. Die Bündner seien es doch gewohnt, zusammenzustehen und zusammenzurücken, wenn es Probleme gebe, stellte die Bundesrätin fest. Sie forderte die Zuhörerinnen und Zuhörer auf, sich unter den vor Nässe schützenden Planen zu versammeln. Erst als alle im Trockenen standen, begann sie mit ihrer Rede, die sich mit dem UNO-Jahr der bäuerlichen Familienbetriebe befasste.

Die Familie entscheidet

Wie Eveline Widmer-Schlumpf ausführte, wird weltweit eine grosse Mehrheit der Landwirtschaftsbetriebe von Familien betrieben. Ein zentrales Merkmal solcher Betriebe sei,  dass die Familie selber entscheide, was sie macht und in welcher Art sie dies tut. Damit würden die Familien auch das Risiko ihres Tuns tragen. Wie Widmer-Schlumpf darlegte, müssen sich bäuerliche Familienbetriebe vielen Herausforderungen stellen: der Mechanisierung, dem Strukturwandel und den oft widersprüchlichen Ansprüchen der Konsumenten. Aber auch die Zahl der Vorschriften nehme rasant zu, konstatierte die Bundesrätin. Der Ausspruch «von der Wiege bis zur Bahre nichts als Formulare», treffe in hohem Masse auch auf die Landwirtschaft zu.

Die Wichtigkeit der Landwirtschaft kommunizieren

Um diese Herausforderungen zu packen, gelte es, nach aussen die Wichtigkeit der Landwirtschaft zu kommunizieren, sagte die Bundesrätin. Sie nannte etwa die Sicherung der Ernährung, der Kampf gegen die Armut, der Kampf gegen die Entvölkerung ganzer Regionen. Die Landwirtschaft spiele auch eine wichtige Rolle für die Erhaltung der Landschaft. Nach innen gelte es die Chancen der Landwirtschaft aufzuzeigen. Diese liege etwas in der Qualität der Produkte, in einer tierfreundlichen Produktion und in der Nachhaltigkeit. Ebenso gelte es die zentrale Rolle der Frauen in den bäuerlichen Familienbetrieben aufzuzeigen. Neben der Arbeit auf dem Betrieb seien diese oft noch in einem Nebenerwerb aktiv– und dies zumeist in einer wirtschaftlich und versicherungstechnisch wenig abgesicherten Stellung. Neben der sozialen Absicherung müssten die Bäuerinnen vermehrt auch mitreden können, wenn es um die wirtschaftliche Ausrichtung eines Betriebes gehe. Es gelte die Grundlagen zu legen, dass es für Frauen weiterhin erstrebenswert ist, auf einem Bauernhof zu wirken.

Die Lebensqualität im Auge behalten

«Nach dem Gesetz sind die Frauen gleichberechtigt», sagte Hansjörg Hassler, Präsident des Bündner Bauernverbandes. In Realität verhalte es sich aber anders. Wie Hassler ausführte, bringt der Trend zu immer grösseren Betrieben die Bauernfamilien an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Die zu hohe Arbeitsbelastung führe zu immensen Spannungen in den Bauernfamilien. Deshalb gelte es, kein weiteres Wachstum anzustreben, wenn ein Betrieb eine vernünftige Grösse erreicht habe. In einer solchen Situation gelte es auch, die Lebensqualität im Auge zu behalten. Der Trend zu immer grösseren Betrieben gelte es auch zu stoppen, um der Entvölkerung der Bergtäler entgegenzuwirken.

Zu geringer Anteil an Wertschöpfung

Hassler bezeichnete es als eine grosse Ehre, dass die UNO das Jahr 2014 zum Jahr der  bäuerlichen Familenbetriebe ausgerufen hat. Es hätte ja auch das Jahr der Banker, der Advokaten oder eines anderen Berufes werden können. Das Jahr habe international eine grosse Solidarität unter den Bauern ausgelöst. Und überall habe man den Eindruck, das der Anteil der Bauern an der Wertschpöpfung aus landwirtschaftlichen Produkten zu gering sei. Das grosse Geschäft würden der Handel und die Verarbeitung machen. Allerdings würden da die Schweizer Bauern im Vergleich zu andern Ländern auf sehr hohem Niveau klagen.

Christian Weber