Die Produktionssystembeiträge für die graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion (GMF) werden rege angemeldet. In Graubünden haben sich vier von fünf Landwirten beim Kanton gemeldet. Auch im Kanton St. Gallen ist das Interesse ähnlich gross. Im Kanton Bern haben sich 60% der rund 
10'363 Betriebe für das GMF-Programm angemeldet, im Kanton Thurgau hingegen sind es gerade 41% der Landwirte, nämlich 939, die am GMF-Programm teilnehmen wollen, das berichtete der «Schweizer Bauer» vorletzte Woche.

Die Zahlen lassen darauf schliessen, das bereits heute ein grosser Teil der Landwirte graslandbasiert produziert und wenig Änderungen  vornehmen müssen. Eigentlich ginge es bei der weidebasierten Milch- und Fleischprodukution um mehr als die Optimierung der Direktzahlungen, nämlich die bestmögliche Nutzung der betrieblichen Futtergrundlage und die Senkung der Betriebskosten.

Vollweide ist nicht 
jedermanns Sache

Wie Markus Höltschi, Berater und Lehrer vom Berufsbildungszentrum Natur und Ernährung (BBZN) in Hohenrain LU, sagt, ist die Arrondierung der Betriebe häufig ein Problem. «Denkarbeiten können ausserdem sehr anstrengend sein», berichtet Höltschi weiter, da die Anforderungen  an das Wissen der Landwirt bei der Vollweidehaltung bedeutend höher seien.

Peter Thomet, Dozent für Futterbau und Futterkonservierung an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL), sagt ausserdem, dass die graslandbasierte Weideproduktion zu wenig kostenintensiv sei. Daraus folge, dass es weder für Futtermühlen, Medikamentenhersteller, Düngemittelfabrikanten noch für Landmaschinenhersteller interessant sei, in diese Produktionsrichtung zu investieren. Denn mit einer graslandbasierten Milchproduktion würden die Verkaufszahlen von Medikamenten, Kraftfutter, Düngemittel und Landmaschinen sinken, was so gar nicht im Interesse dieser Firmen sei.

Ressourcen besser nutzen

Thomet, Höltschi und viele mehr haben sich an der internationalen Weidetagung für die bessere Nutzung der Ressourcen stark gemacht. Durchgeführt wurde die Tagung von der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Futterbaus (AGFF) am 21. und 22. August in Zollikofen BE. Gekommen sind 130 Gäste aus der Schweiz, Deutschland, Österreich und Luxemburg.

An der Tagung wurde auch festgestellt, dass es zu einem guten Teil an den Bauern selbst liegt, dass die weidebasierte Milchproduktion nicht breiter angewendet wird. Denn grosse, und damit auch schwere Kühe seien heute das Mass der Dinge.

Laut Peter Thomet sind aber gerade die grossrahmigen Kühe weniger effizient in der Umset
zung des Futters als kleinere 
Kühe. Ausserdem seien hoch-
gezüchtete Tiere für die Weidehaltung nur bedingt geeignet, da Probleme mit der Eutergesundheit oder der Fruchtbarkeit auftreten könnten. Thomet fordert deshalb auch, dass die Selektionspraktiken überdacht werden.

Trotzdem sei die Kuhgenetik für die Weidehaltung nur ein Nischenprodukt, hielt ein Besucher, der für Swissgenetics arbeitet, bei der Abschlussdiskussion fest. Mitverantwortlich für die derzeitige Situation sei auch die Selektion nach der Milchleistung pro Kuh. Doch dieser Parameter führe in die falsche Richtung, ist Markus Höltschi überzeugt. Seiner Ansicht nach müsste die Flächeneffizienz viel stärker berücksichtigt werden. Zum Beispiel indem die Milchleistung pro Fläche oder der Arbeitsverdienst pro Fläche beurteilt würde.

Tiefe Produktionskosten 
machen robuster

Und gerade der Arbeitsverdienst ist bei der Weidehaltung im direkten Vergleich mit der Stallhaltung fast doppelt so hoch. Das besagt zumindest eine Studie, die Markus Höltschi zusammen mit der Agroscope in Tänikon von 2008 bis 2010 durchgeführt hat. Verglichen wurde eine Stallherde mit 24 Kühen und eine Weideherde mit 28 Kühen. Gemessen an der Leistung pro Kuh hat die Stallherde besser abgeschnitten als die Weideherde, mit einer mittle
ren Milchproduktionsmenge von 
7990 kg je Kuh.

Im Vergleich hat die Weideherde «nur» 5922 kg Milch je Kuh und Jahr produziert. Auch der Futterzukauf wäre kurzfristig durch die höheren Milchmengen noch tragbar. Zwar hätte die Stallhaltung ein höheres Ertragspotenzial. Allerdings würde die Stallhaltung bei einem Milchpreis, der tiefer als 60 Rappen je Kilo liegt, nicht mehr rentieren, führte Markus Höltschi aus.

Die Weidehaltung hingegen wäre auch mit einem Milchpreis von 46 Rappen noch rentabel. Grund dafür seien die tieferen Gesamtkosten der Weidehaltung und die tieferen Kosten für die Futterkonservierung.

Weniger Milch - höheres Einkommen

Obwohl die Weideherde weniger Milch produziert, liesse sich ein höheres Einkommen erzielen, erklärte Höltschi weiter. Die Nebenprodukte liessen sich während der Versuchsdauer besser verkaufen. So führt die Weidehaltung auch zu einer gewissen Diversifizierung eines Bauernhofs. Letztlich sei es aber der geringere Arbeitszeitaufwand, der die Arbeitsproduktivität um fast das Doppelte ansteigen lasse, erläuterte Höltschi weiter.  

Vollweide scheitert oft an den Rahmenbedingungen

Trotzdem, die meisten Landwirte können aufgrund struktureller Einschränkungen nicht auf ein Vollweidesystem umstellen. Zu oft seien die Betriebe schlecht arrondiert, die Genetik  nicht ideal oder aber auch die ideelle Barriere zu gross. So erklärte eine deutsche Agronomin, dass die Vorbehalte gegenüber Weidehaltung vor allem bei den Bauern am höchsten seien, die sich noch überhaupt nicht mit dem anderen System auseinandergesetzt hätten.

Hinzu komme, dass viele Bauern eine Mischform zwischen Weide- und Stallhaltung praktizieren würden. Die Kühe werden auf stallnahen Flächen geweidet, während das Gras von weiter entfernten Flächen eingebracht und frisch verfüttert wird.

Forschungsprojekt Optimierung kombinierter Systeme

Diese Erkenntnis hat sich in der Zwischenzeit auch in der Forschung durchgesetzt und zu einem neuen Projekt geführt. So spannen das BBZN Hohenrain und Schüpfheim LU, die HAFL und das Institut für Nutztierwissenschaften der Agroscope zusammen und führen eine neue Studie durch. Dabei soll das Milchproduktionssystem mit Eingrasen untersucht und Optimierungspotenzial sichtbar gemacht werden.

«Das Hauptziel des Projekts ist, praxistaugliche Optimierungsmöglichkeiten zu prüfen und entsprechende Empfehlungen für die Praxis zu erarbeiten», sagte Franziska Akert von der HAFL. Im Rahmen des Projekts werde der Wissenstransfer in die Praxis sehr stark gewichtet, weshalb auch 38 Versuchsbetriebe involviert werden, die bereits heute entweder mit einem Vollweidesystem oder einem kombinierten System mit Kraftfutter, Weide und frischem Gras arbeiten würden. Die Resultate sollen bis in vier Jahren vorliegen.

Trotzdem gibt es bei Weidesystemen Nachteile: Zum einen sind die höheren Methanemissionen aus Umweltsicht ein Problem. Andererseits ist der absolute Flächenbedarf für den Landwirt höher. «Damit kann der Zukauf von Kraftfutter aus Übersee günstiger sein als der Zukauf von Flächen», sagte darum Edmund Leiser von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen.

Hansjürg Jäger