„In den letzten Jahrzehnten haben die Bestände der Mehlschwalbe in der Schweiz um mehr als ein Drittel abgenommen“, sagt Monika Jung von ARNAL, Büro für Natur und Landschaft AG in Herisau. Im Auftrag des Kantons Appenzell Innerrhoden hat das Büro alle Landwirte im Kanton angeschrieben mit der Bitte, ihre Schwalbenbestände zu melden.

Auf der Roten Liste

In der Schweiz kommen vor allem die Rauch- und die Mehlschwalbe vor. Nicht immer lassen sie sich auf den ersten Blick unterscheiden. Typisch für die Rauchschwalbe sind die zwei langen Schwanzspiesse und die rotbraune Kehle. Die Mehlschwalbe lässt sich an ihrem weissen Bürzel erkennen, der beim Flug deutlich sichtbar ist. Ihr Bestand hat so stark abgenommen, dass sie auf der Roten Liste der Vogelarten steht, das heisst, ihr Vorkommen ist potentiell gefährdet.

Nistplatz muss stimmen

Schwalben sind in der Bevölkerung beliebt. Sie gelten als Vorboten des Frühlings und als Glücksbringer. Vor allem in der Landwirtschaft sind Schwalben sehr geschätzt, denn sie jagen Fliegen und Mücken, die im Sommer Mensch und Tier belästigen. Die Rauchschwalbe ist eng mit der Landwirtschaft verbunden, da sie ihre Nester bevorzugt in Ställen baut und zwar am liebsten in alten Anbindeställen, wo es warm ist und keine Zugluft auftritt, vorausgesetzt dass es eine genügend grosse Öffnung gibt, durch die sie in den Stall gelangen.

Oft fehlen geeignete Nistplätze. Rauch- und Mehlschwalben „kleben“ ihre Nester mit natürlichem Schlamm als Mörtel an eine Wand oder an einen Deckenbalken. In neuen Ställen sind die Dachträger, die Leimbinder, oft gehobelt, so dass das Nest keinen Halt daran findet, oder Deckenbalken, die den Schwalbennestern Schutz geben, fehlen ganz. Hier ist die Hilfe des Landwirtes gefragt. Er kann zum Beispiel eine Leiste an die Wand oder an einen Balken nageln, so dass diese als Unterlage für das Nest dient. Auch Kunstnester am richtigen Ort nehmen Schwalben an. Bei der Platzierung ist darauf zu achten, dass Katzen und Marder sie nicht erreichen. In modernen Freilaufställen sind zugluftgeschützte Plätze wichtig.

Einfache Hilfe für den Nestbau

Im Gegensatz zu den Rauchschwalben bauen Mehlschwalben ihre Nester nicht im Stall, sondern unter Vordächern; ursprünglich nutzten sie Felsen zum Nestbau. Mehlschwalben bringen ihre Nester nicht nur an landwirtschaftlichen Gebäuden an, sondern wählen sich auch in Wohngebieten Gebäude aus, von wo aus sie gut Fliegen und Mücken jagen können. Der Mensch kann der Mehlschwalbe geeignete Nistplätze anbieten, indem er die Wand unter dem Dachvorsprung rau verputzt oder Kunstnester anbringt. Bretter unter den Nestern verhindern, dass der Kot der Tiere hinunterfällt und die Vögel sich bei den Hausbewohnern unbeliebt machen.

Während Rauchschwalben im Stall ihr Nest in einigem Abstand zueinander bauen, platzieren Mehlschwalben ihre Nester eng nebeneinander. Sie sind Koloniebrüter. Auch in der Art des Nestes gibt es Unterschiede. Diese sind zu beachten, wenn man Schwalben Kunstnester anbietet. Während das halbkugelige Nest der Rauchschwalbe oben offen ist, gibt es am Nest der Mehlschwalbe nur ein kleines Einschlupfloch, erklärt Monika Jung.

Rekordverdächtige Vögel

Schwalben sind in vielerlei Hinsicht für den Menschen faszinierend. Etwa 150‘000 Insekten bringt ein Schwalbenpaar zu seinen Jungen ins Nest; für den Nestbau sind 700 bis 1‘500 Lehmkügelchen notwendig und im Herbst legen die Schwalben Strecken von ca. 6‘000 km in ihr Winterquartier in Afrika zurück. Sie erbringen dabei eine Flugleistung von durchschnittlich 200 km pro Tag. Auf ihrer Reise und im Winterquartier sind sie vielen Gefahren ausgesetzt. Oft werden sie in Netzen gefangen, da sie in armen Ländern der Bevölkerung als Nahrung dienen. Nur etwa 50 % der Schwalben kehren zu uns aus Afrika zurück. Die Tessiner Ornithologin Chiara Scandolare hat mittels moderner Satellitentelemetrie herausgefunden, dass die Rauchschwalben aus der Magadinoebene zum Cross River Nationalpark in Nigeria fliegen. Dort sollen sich auf kleinen Flächen bis zu mehrere Millionen Rauchschwalben versammeln.

Lebensbedingungen verbessern

Was die Schweiz zur Förderung der Schwalben tun kann, ist im Gesamten betrachtet wohl nur ein kleiner Beitrag, aber für die Erhaltung des Bestandes in der Schweiz spielt es eine entscheidende Rolle. Das Anbieten von geeigneten Nistplätzen ist ein Weg, den Vögeln zu helfen, der andere Weg ist, die Nahrungsgrundlage sicher zu stellen. In einer Landschaft, in welcher immer mehr Boden versiegelt wird und die landwirtschaftliche Nutzung intensiver wird, gibt es immer weniger Insekten. Naturnahe Lebensräume wie Blumenwiesen und Sträucher, aber auch Dachbegrünungen oder Teiche fördern das Vorkommen vieler Insektenarten und damit auch das Nahrungsangebot der Schwalben. Indem diese die Insekten dezimieren, bewahren sie im Gegensatz zu Insektiziden das ökologische Gleichgewicht.

Schwalben passen sich an

„Wenn es kalt wird, dann hat es schnell keine Fliegen mehr im Stall“, sagt ein Landwirt, der 20 bis 25 Rauchschwalbenpaare in seinem Stall hat. Die Schwalben finden dann auch draussen wenig Nahrung. Der Kälteeinbruch Ende April dieses Jahres hat ihnen das Leben schwer gemacht, sagt Jung, doch zum Glück hatten die meisten noch nicht mit der Brut begonnen. In dieser Zeit wichen sie in tiefere Lagen aus, wo es nicht so kalt war. Selbst, wenn einmal eine Brut ausfällt, können die Vögel das wieder kompensieren. Doch gegen die sich schleichend verschlechternden Lebensbedingungen können sich die Schwalben nicht wehren. Hier gilt es anzusetzen, wenn man den Schwalbenbestand in der Schweiz erhalten möchte.

Michael Götz, lid