Rebecca Scheidegger tritt nicht auf, sie ist einfach da. Leise, ruhig, aber bestimmt. Die Frau aus Münsingen BE ist wie ihr Vorgänger Andreas Ritter eine zurückhaltende Person. Zu zurückhaltend, um sich in der Milchbranche Gehör zu verschaffen? Nimmt man andere Frauen, die öffentlich zum Milchmarkt Stellung nehmen (müssen), wie Sibylle Umiker von der Emmi-Konzernkommunikation oder Carol Aschwanden, Kommunikationsleiterin der Genossenschaft Zentralschweizer Milchproduzenten als Referenz, könnte man diesem Reflex erliegen. Denn Aschwanden und Umiker sind kommunikativ, fast laut. Beide sagen, was sie zu sagen haben und scheuen sich nicht, neugierige Journalistenfragen kritisch zu kommentieren.

Brücken bauen statt polarisieren

Rebecca Scheidegger ist anders. Wird sie gefragt, lässt sie sich mit der Antwort Zeit. Sie wägt ab und differenziert, ohne dabei unsicher zu wirken. «Ich will nicht polarisieren», sagt die 35-Jährige über sich selbst. Stattdessen wolle sie als Brückenbauerin vermittelnd wirken. Dass es einfachere Aufgaben gibt, als in der Milchbranche Brücken zwischen Produzenten, Verarbeitern und den Konsumenten zu bauen, weiss auch sie. Der Druck auf die Milchbranche ist gross, Streitigkeiten über die Lactofama sind gerade in der Ostschweiz ein Thema, die schlechte wirtschaftliche Situation vieler Milchwirtschaftsbetriebe sowieso. Deshalb aber einfach nur zuzuschauen und politische Forderungen zu stellen, ist für Scheidegger keine Option. Sie will mitgestalten und im Rahmen des Möglichen ihren Beitrag zur Zukunft der Milchwirtschaft leisten. Dazu wählt sie einen zupackenden und proaktiven Weg.

Optionen für die Zukunft entwickeln

«Wir müssen Optionen und Szenarien entwickeln, wie wir in Zukunft auf Veränderungen im Markt und in der Politik reagieren wollen», sagt die Ingenieur-Agronomin. 2007 hat sie das Agrarwirtschaft-Studium an der Schweizerischen Hochschule für Landwirtschaft (heute HAFL), abgeschlossen und unter anderem beim Verband des Früchte-, Gemüse- und Kartoffelhandels Swisscofel den Bereich Markt geleitet. Den Wechsel von Bern nach Gossau SG hat sie bewusst vollzogen. In Bern lernte sie mehr über die Abnehmerseite, die Gross- und Detailhändler und die Vertriebsstrukturen. «Mein Herz schlägt aber seit jeher für die Produzenten», sagt sie. Diesem Wunsch könne sie nun folgen, und sich für die Produzenten und ihre Anliegen einsetzen. Gerade die Milchproduzenten leiden unter der aktuellen Marktlage. Entsprechend steigt auch der Druck auf ihre politische Vertretung, «etwas zu unternehmen.» Rebecca Scheidegger weiss das. Sie weiss aber auch, dass es kleine Schritte sind, die eine Branche langsam nach vorne bringen.

Als Frau andere Ansätze

Dass sie sich als Frau in einer Männerdomäne behaupten muss, macht ihr keine Sorgen, im Gegenteil. Ohne gefragt zu werden sagt sie: «Es liegt in der Natur der Sache, dass ich andere Ansätze habe und vielleicht auch neue Wege gehe. Mit den vorhandenen Ressourcen auf der Geschäftsstelle ist das eine gute Kombination», sagt Rebecca Scheidegger.

Scheidegger räumt ein, dass es bei der Basis trotzdem noch vereinzelt Vorbehalte gebe. Sie kann das nachvollziehen, lässt sich davon aber nicht beirren. Denn sie sucht nicht das Rampenlicht, sondern Lösungen. Sie möchte im Hintergrund Leute zusammenbringen. Sie will helfen, neue Perspektiven für ihre Mitglieder zu entwickeln. Sie habe gelernt, hartnäckig zu sein und sich durchzubeissen. Zudem arbeite sie gerne mit Menschen zusammen, wirkt moderierend und verbindend. Sie sieht ihre Aufgabe darin, als Scharnier die Verbindung zwischen Landwirt und Konsument zu stärken. Sie will den Landwirten helfen, dass diese ein klareres Bild ihrer Zukunft entwickeln können. Eine Zukunft, bei der Landwirte mehr Geld aus dem Verkauf ihrer Produkte lösen können, gemeinsam nach aussen auftreten und sich nicht in inneren Auseinandersetzungen aufreiben. Sie will helfen, dass Milchbauern das Optimum aus ihren Standortfaktoren herausholen und dabei die Umwelt und ihre Mitmenschen berücksichtigen können.

Aus Fehlern lernen

Dass dabei einzelne Projekte in Zukunft durchaus scheitern könnten, ist Rebecca Scheidegger bewusst. Angst davor hat sie nicht, «denn bei meinen vorherigen Anstellungen haben wir auch Projekte lanciert, die wir dann wieder beerdigen mussten - das gehört zum Unternehmertum.» Sie hat Erfahrung darin, Projekte dann zu sistieren, wenn sie nicht den gewünschten Erfolg bringen.

Damit dürfte sie besser umgehen können, als man denkt. Denn während gerade ältere Semester oft Schwierigkeiten haben, Fehler zuzugeben, ist das für Scheidegger kein grosses Problem. Ihr steht der eigene Stolz nicht im Weg, sie will zuerst die Sache und den Inhalt klären. Sie mag weder auf den Mann spielen, noch mit kühnen Ideen aufwarten. Stattdessen versucht sie, zuzuhören und Lösungen zu finden, die umsetzbar sind und schliesslich von allen getragen werden.

Hansjürg Jäger