Bauernzeitung: Warum stimmen wir am 28. September schon zum dritten Mal über eine Volksinitiative «Für eine öffentliche Krankenkasse» ab?
FRITZ SCHOBER: In der Tat liegt die letzte Abstimmung mit dem Anliegen, eine Einheitskasse zu schaffen erst sieben Jahre zurück. 2007 wurde die damalige Vorlage von über 70 Prozent der Stimmenden abgelehnt. Bestimmt ist ein Grund, dass wir schon wieder über eine solche Vorlage abstimmen die Tatsache, dass die Gesundheitskosten allgemein stark steigen, was sich natürlich auf die Krankenkassenprämien auswirkt und zu politischen Vorstössen führt. Man könnte es aber auch als Zwängerei bezeichnen, dieses Anliegen so kurz nach einer Volksabstimmung mit einem eindeutigen Resultat wieder aufs Tapet zu bringen.

Warum kommt diese Idee immer wieder auf den Tisch?
SCHOBER: Die Initianten sind der nicht haltbaren Meinung, mit einer Einheitskasse könnte der Anstieg der Gesundheitskosten verhindert werden. Sie verkennen dabei, dass die Kostensteigerung nicht von den Kassen ausgelöst wird, sondern von den Leistungserbringern und durch die steigende Nachfrage durch die Bevölkerung verursacht wird. Nur gerade fünf Prozent der Krankenkassenprämie wird für die Verwaltung, inklusive Werbung und Marketing, verwendet. Das ist ein Wert, der in der Versicherungswirtschaft insbesondere auch im Vergleich zur Suva, extrem tief ist.

Wäre nur die Grundversicherung betroffen?
SCHOBER: Von der Einheitskasse wäre in der Tat nur die Grundversicherung betroffen. Gerade sie ist aber für die bäuerliche Bevölkerung von zentraler Bedeutung, weil die meisten über keine Zusatzversicherung verfügen.

Welche drei Gründe sprechen gegen die Einheitskasse im Allgemeinen und aus Sicht der Landwirtschaft im Speziellen?
SCHOBER: Erstens, die Bauernfamilien sind ganz eindeutig die Verlierer bei der Einführung der Einheitskasse. Die Möglichkeit, durch die richtige Wahl der Krankenkasse davon zu profitieren, dass die bäuerliche Bevölkerung weniger Gesundheitskosten verursacht und deshalb die Prämien moderat sind, würde dahin fallen.

Zweitens hätten die Schweizer keinerlei Möglichkeiten mehr, sich den passenden Krankenversicherer selber auszuwählen und in der Grundversicherung auch den Versicherungsschutz ihren Bedürfnissen anzupassen. Sie haben einfach den staatlichen Einheitsbrei zu beziehen.

Und drittens ist sehr zu befürchten, dass bei der Krankenkasse eine ähnlich Entwicklung eintreten würde, wie sie bei der staatlichen Invalidenversicherung eingetreten ist. Da die Kosten weiterhin sehr stark, wenn nicht noch stärker ansteigen werden, ist zu vermuten, dass die Krankenversicherung sehr bald hoch verschuldet ist und saniert werden muss. Der wohl kaum
abwendbare Abbau des Leistungskatalogs führt zu einer eigentlichen Zweiklassenmedizin, bei der die Personen mit tiefen Einkommen die Verlierer sind, denn sie können sich die Prämien für teure Zusatzversicherungen nicht leisten.

Welche drei Gründe zählen die Initianten auf, die für die Einheitskasse sprechen?
SCHOBER: Ich zitiere hier die im Abstimmungsbüchlein des Bundes publizierten Hauptanliegen und erlaube mir diese kurz zu kommentieren. Sie sind für mich nicht stichhaltig.

  1. Die Befürworter möchten die Prämien-Explosion stoppen. Dieses Anliegen ist wohl löblich, die Schaffung einer Einheitskasse ist aber der falsche Weg, da damit keine Kosten eingespart werden können.
  2. Der Pseudo-Wettbewerb auf Kosten der Versicherten soll abgeschafft werden. Wie bereits aufgeführt, verursachen die Krankenkassen sehr tiefe Verwaltungskosten. Es ist vorauszusehen, dass eine Einheitskasse, die keinerlei Konkurrenz zu befürchten hätte, wesentlich höher Verwaltungskosten verursachen würde. Ich verweise auf die Suva.
  3. Es wird hervorgehoben, dass private Kassen Prämiengelder verschleudern, um sich gegenseitig die guten Risiken abzujagen und politisches Lobbying für Abstimmungskampagnen zu finanzieren. Zusätzlich werden auch die hohen Löhne der Manager und der Verwaltungsräte angeprangert. Es gilt festzuhalten, dass die Werbe- und Marketingkosten der Krankenkassen in den fünf Prozent Verwaltungskosten inbegriffen sind. Weiter ist festzuhalten, dass das Lohnniveau bei einer öffentlichen Versicherungsanstalt kaum unter das Niveau, das die Krankenkassen heute im Durchschnitt aufweisen, fallen würde. Dass sich die Krankenkassen gegen die eigene Abschaffung wehren, ist wohl selbstverständlich und sehr zum Vorteil ihrer Versicherten.

Profitierten die kinderreichen Bauernfamilien und die Landbevölkerung von der Einheitskasse?
SCHOBER: Im Gegenteil: Es ist sehr umstritten, ob es in Zukunft noch möglich sein wird, Familien mit Kindern günstigere Prämien anzubieten als Einzelpersonen. Zumindest ein renommierter Rechtsprofessor kommt zum Schluss, dass besondere Kinderprämien nicht mehr statthaft
wären, sondern alle Versicherten einfach dieselbe Prämie zahlen müssten. Sicher ist aber, dass besondere Vorteile, wie sie heute von einzelnen Krankenkassen, die sich besonders für die bäuerliche Bevölkerung engagieren, für kinderreiche Familien angeboten werden, wegfallen würden.

Warum sind die Bauernverbände und die Agrisano entschiedene Gegner der Einheitskasse?
SCHOBER: Weil die bäuerliche Bevölkerung ganz eindeutig die grosse Verliererin bei der Einführung einer Einheitskasse wäre und von einem starken Prämienanstieg bei der Krankenversicherung betroffen wäre.

Was passierte, wenn das Volk am 28. September Ja sagte zur Einheitskasse?
SCHOBER: Die Krankenkassen werden enteignet und müssen aufgelöst werden. Sie haben ihre Reserven, die heute eigentlich den Versicherten gehören, in die neue kantonale Krankenversicherungsanstalt einzubringen. Der ganze Prozess wäre sehr, sehr kompliziert, würde Kosten von einigen Milliarden verursachen und Jahre beanspruchen.

Was soll die Bauernfamilie und die Landbevölkerung bei der Einheitskasse am 28. September abstimmen?
SCHOBER: Ich empfehle allen Stimmbürgern, den bäuerlichen aber ganz besonders, am 28. September zu ihrem eigenen Vorteil mit Überzeugung ein Nein in die Urne zu legen und im Vorfeld auch ihre Bekannten zu diesem Schritt zu bewegen.


Interview Hans Rüssli