Lavendel ist die populärste aller aromatischen Pflanzen. Sein Duft, seine Farbe und seine wohltuenden, gar heilenden Qualitäten begeistern. Als Nischenprodukt wird es auch in der Ostschweiz angebaut und verarbeitet. Beispiel Dotnacht TG: Hummeln fliegen gereizt um die Blüten, Schmetterlinge fühlen sich von Farbe und Duft 
gleichermassen angezogen. «Es ist eine schöne Arbeit, und ich bekam keine Bienenstiche», freut sich Roger Jäggli, der erstmals Lavendel bei der «Dütschenmühle» von Hand erntet.



Martin Gysin, Biolandwirt und Hofbesitzer in Dotnacht, baut seit 2003 Lavendel für die Ceres Heilmittel AG in Kesswil TG. Er hat Roger Jäggli in den Thurgau eingeladen. «Statt im Bodensee zu plantschen, gibt es hier ein 
Lavendelbad mit Tausenden von Blüten», lacht Jäggli, beugt sich über die rund 50 Zentimeter hohen Heilpflanzen und zieht die blauen bis violetten Blüten und Knospen mit zwei Fingern vom Stiel.

Die Landwirtin und Seniorin Annegret Gysin, gut geschützt mit einem Sonnenhut, sitzt am Feldrand auf einem Harass und begutachtet den Lavendel. Sie freut sich an dieser uralten Kulturpflanze. «Es duftet einfach himmlisch», sagt sie und fährt mit der Hand vorsichtig über den Lavendel. Um gehaltvolles Ausgangsmaterial zu bekommen, wird in Dotnacht bis zum Spätnachmittag geerntet. Vor 41 Jahren hat die Familie Gysin den Hof mit 15 Hektaren Land über-
nommen, seit 1990 wird auf der «Dütschenmühle» am Chemibach biologischer Landbau betrieben. Zehn Helferinnen und Helfer ernten das 250 Quadratmeter grosse Feld ab. Am Ende des Tages werden es exakt 33,8 Kilo Lavendelblüten und -knospen sein.

Ortswechsel: Lengwil TG,  über dem Bodensee. Seit der Ceres-Gründung 1991 bezieht das Heilmittelunternehmen ihre Pflanzen zu einem grossen Teil von der biologisch-dynamischen Gärtnerei «Ekkharthof» in Lengwil-Oberhofen. In der anthroposophischen Sonderschule mit Wohnheim leben und arbeiten rund 200 Menschen mit einer Behinderung. Etwa dreissig Ekkharthof- und Ceres-Mitarbeitende haben heuer 51 Kilo Lavendelblüten gepflückt. Es sei eine schöne Gemeinschaftsarbeit, und selten wären so viele Behinderte bei der Ernte mit dabei gewesen, sagt eine junge Gärtnerin. Lavendel aus dem Thurgau sei «von hervorragender Qualität» und zeichne sich durch ein rundes und harmonisches Gesamt­aroma aus, bestätigt Matthias Plath, Produktionsleiter Arzneipflanzenbau der Ceres Heilmittel AG in Kesswil. Die nerven­stärkende Droge hilft gegen Verspannungen, Hautunreinheiten und vieles mehr.

Zufrieden mit der Ernte, 
nicht aber mit dem Preis

Mit den vielen Eigenschaften des «blauen Goldes» verdienen einige auch Geld. Der Kilopreis von frischen Lavendelblüten liegt – je nach Anbieter – um die 50 Franken. Ein Fläschchen mit 20 Milliliter «Lavandula»-Urtinktur von Ceres kostet im Handel 31,30 Franken. Das homöopathische Arzneimittel ist apotheken- und drogerienpflichtig, aber rezeptfrei.
«Ich bin zufrieden mit der Ernte, nur der Preis, den mir das Unternehmen dafür bezahlt, ist knapp», sagt Biolandwirt Martin Gysin. Er betreibt den Hof als Nebenerwerb. Um die 50 Franken bezahle ihm Ceres für seinen Biolavendel pro Kilogramm. Allein 1000 Franken kosten seine Erntehelfer. Das bleibt kaum mehr etwas übrig.
Trotzdem möchte Gysin den Lavendelanbau ausbauen. Ceres bezieht bewusst alle Pflanzen, die sie verarbeitet aus der näheren Umgebung, erklärt Ceres-Produktionsleiter Matthias Plath. Das Unternehmen strebe einen guten und engen Kontakt zu ihren Lieferanten an, daher sei die räumliche Nähe zur Verarbeitung von grossem Vorteil.

Handarbeit bestimmt den Produktionsprozess

«Das Lavendelpflücken ist eine sehr aufwendige Arbeit», weiss Raphael Stucki. Der Umweltingenieur ist beim Heilmittelunternehmen in Kesswil für die Wildpflanzensammlung zuständig. Stucki kontrollierte vor Ort die Ernte und sammelt barfuss selbst beflissen Blüten. Vor dem Mittagessen wird der frische Lavendel nach Kesswil zur Herstellung von Lavendel-Urtinkturen gebracht. Dort wird die Teilernte mit biologisch hergestelltem Alkohol in der Mörsermühle verrieben. Der Alkoholgehalt wird dafür von 94 auf die vorgeschriebenen 86 Prozent durch Beigabe von gereinigtem Wasser verdünnt und die Mischung in der Mühle weiterverarbeitet. Sorgfältige Auswahl und Handarbeit bestimmen den Produktionsprozess beim Ostschweizer Hersteller von Urtinkturen und homöopathischen Arzneien.

Neben den Anbauflächen im Thurgau gibt es noch Kulturen im Wallis, in unmittelbarer Nähe zum neuen Ceres-Produktionsstandort in Nax VS. «In den letzten Jahren konnten dort drei neue Lavendel-Anbauer hinzugewonnen werden, um die Versorgung mit Blüten aus Schweizer Produktion zu sichern. In diesem Jahr verarbeitet Ceres an den 
beiden Standorten im Thurgau und im Wallis über 250 Kilo 
Blüten. Wir hoffen, den Bedarf decken zu können», sagt Matthias Plath.      

Urs Oskar Keller