Es ist der 8. April, morgens um 4.00 Uhr. Ich stehe am Frühkartoffelfeld und prüfe das Vlies auf den Frühkartoffeln, schaue erneut zum Himmel und dann wieder auf den Temperaturverlauf der Wetter-Messstation in Payerne VD. Soll ich die Frostberegnung starten oder noch warten? Kommt Nebel vom Murtensee her und verhindert den Bodenfrost? Schliesslich starte ich die Bewässerungspumpe per SMS. Im Scheinwerfer des Autos prüfe ich die Regner.

Frostberegnung – Wer macht das noch?

Später beim Melken gehen mir Gedanken durch den Kopf. Wer macht das noch, die Frostberegnung? Früher war diese Massnahme allgegenwärtig. Wer macht das in Zukunft, wenn meine Generation langsam kürzertreten möchte? Gerade auf Gemüse- oder intensiven Ackerbaubetrieben herrscht akuter Fachkräftemangel. Eine sinkende Anzahl an Betriebsleitern und Betriebsleiterinnen trägt immer mehr Kompetenzen, mehr Risiken und mehr Verantwortung. Auch die Führung der Mitarbeitenden lastet auf denselben Personen. Wir Bauern und Bäuerinnen sind eigentlich schon Multi-Talente. Eigentlich sollten wir mit unseren täglichen Arbeiten, Sorgen und Freuden mal an die Öffentlichkeit. Damit die Bevölkerung auch versteht, was wir eigentlich leisten.

Manchmal, wenn ich unter Menschen ausserhalb der Landwirtschaft ein wenig provokativ unterwegs bin, sage ich: «Lehrer sein kann jeder, der oder die Kinder erzogen hat – Bauer sein, das hält kaum ein Branchenfremder aus. Entweder scheitert es am Durchhaltewillen oder am betriebswirtschaftlichen Flair. Oder er oder sie ist nicht bereit, so viel Risiko einzugehen. Bauern, das ist im Frühjahr anpflanzen, viel Kapital und Arbeit in die Kultur investieren und mit Flair, Wetterglück und Erfahrung einen Ertrag erwirtschaften. Eigentlich krass: Ein Handwerker stellt eine Rechnung, wir Bauern müssen schauen, dass wir die Vollkosten mit den Branchen- oder Saisonpreisen decken können. Als ich noch Inforama-Mitarbeiter war, haben mir die Gemüsegärtner immer gesagt: «Du hast den Lohn.» Recht hatten sie, gewiss. Bist du auf einer Lohnliste, hast du den Lohn – Bauer sein ist anders.

Immer abhängiger von Importen

Dann kommt mir der Bericht zur wirtschaftlichen Landesversorgung des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) vom 31. März 2025 in den Sinn, in dem Punkte wie beispielsweise die zunehmende Importabhängigkeit bei pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln aufgelistet werden. Die Landesversorgung ist zunehmend in Gefahr. Die Kuh Cina kommt in den Melkstand und guckt mich fragend an. Sie wird wohl spüren, wo meine Gedanken sind.

Später beim Morgenessen bespreche ich die Frostberegnung mit meinen Kindern. Lisa ist auf dem Sprung nach Grangeneuve FR, Alex hat vor der Oberstufenschule mehr Zeit. Das Spannungsfeld «mit der Frühkartoffelernte früh am Markt sein, Importe ablösen» versus «Risiko des Frühanbaus» wird rege besprochen und von den Kindern kommentiert. Im Nu gelangen wir zur Krautfäule und den resistenten Sorten. Immerhin haben wir heuer fast ausschliesslich Krautfäule-resistente oder -tolerante Kartoffelsorten im Portfolio. Und da kommt die Politik ins Spiel. Das Pflanzgut der neuen Sorten kommt ausschliesslich aus dem Ausland. Die Schweiz hinkt in Sachen neue Sorten hinterher. Das ist ein Widerspruch zum Bedürfnis der Konsumenten nach weniger Pflanzenschutz.

Politik und Bevölkerung haben die Situation nicht verstanden

Passend der Einwand des Sohnes, was eigentlich in der Politik falsch laufe. «Vieles», erwidere ich. Das Bundesamt für Landwirtschaft und Bundesbern haben die Situation noch nicht verstanden. Nach einer schlechten Kartoffelernte wurden Zusatzkontingente an Kartoffelimporten genehmigt für den Anschluss an die neue Ernte. Was wäre, wenn uns die Nachbarn Deutschland, Frankreich oder Holland das Pflanzgut für die aktuelle Auspflanzung nicht geliefert hätten? Die Bevölkerung in der Schweiz würde im kommenden Winter so richtig Hunger bekommen. Schuld daran wären dann natürlich die Bauern.

Am Ende des Frühstücks kommen wir zum Schluss, dass Bauer sein etwas ist, das du nur mit Freude machst und dabei gewillt bist, Kritik und Gegenwind einzustecken. Eigentlich sagt dir niemand Merci, sei es, dass du für die Frostberegnung aus dem Bett gehst oder dass du überhaupt noch Lebensmittel produzierst. Ein grosser Teil der Bevölkerung und vor allem das Bundesamt haben noch nicht verstanden, was passiert, wenn die Bauernfamilien wirklich die Schnauze voll haben. Bevor wir bei den Bauernprotesten anfangen, muss auch Alex zur Schule. Alex, der sich auf sein erstes Lehrjahr freut und schon heute spürt, dass die Politik so was von neben der Realität läuft.

Als ich diesen Beitrag nun schreibe, ist es Sonntag, der 27. April. Seit der Frostberegnung sind fast drei Wochen vergangen. Alex und ich haben die erste Probegrabung an Frühkartoffeln gegessen. Freude überwiegt, Berufsstolz kommt auf. Ohne Freude und Herz keine Bauern und Bäuerinnen. Ich hoffe für Alex und seine Schwestern, dass die Politik die Kurve noch kriegt. Eins ist klar: Ich werde mein Möglichstes dazu leisten.

Stefan Krähenbühl ist Bio-Landwirt in Greng FR