Frau Onken, wie häufig kommen Affären vor?

Sehr häufig, wie ich bei den Recherchen zu meinem letzten Buch merkte. Wenn man genau hinhört, war fast jeder und jede schon mal in solch einer Dreiecksbeziehung: als Geliebte, als Seitenspringerin oder als Betrogene. Ich habe mich damals in die Fachliteratur vertieft und fand spannende Aussagen. So läuft zum Beispiel jede Affäre nach einem bestimmten Schema ab. Und in dem Moment, wo einer der drei aus dem Schema ausbricht, wird es sehr brenzlig für alle. Dann kommt grosse Not auf, Männer wie Frauen wissen nicht mehr ein und aus. Daher gründete ich zusammen mit zwei Berufskolleginnen S.O.S. Affäre.

Welche Seite meldet sich am häufigsten?

Alle drei: Seitenspringerinnen, Betrogene und Geliebte, die ausbrechen wollen. Bei den Geliebten gibt es einen grossen Leidensdruck, weil sie immer die Nr. 2 sind. Vor allem in der Vorweihnachtszeit, wenn die Familie des Liebhabers im Vordergrund steht, bekommen wir regelmässig Mails. Wenn es hart auf hart kommt, entscheiden sich übrigens die meisten Liebhaber dafür, bei ihrer Frau zu bleiben. 

Was beschäftigt die Seitenspringerin?

Die muss extrem viel organisieren, ist ständig unter Starkstrom. Sie muss ihr eigenes Leben und die Nebenbeziehung auf die Reihe kriegen, schauen, dass nichts herauskommt, und mit der inneren Zerrissenheit klarkommen. Irgendwann ist sie einfach nur noch erschöpft. 

Gibt es Gemeinsamkeiten bei den Affären?

Sie laufen meist nach einem bestimmten Muster ab. Die Betrogene spielt dabei eine wichtige Rolle im Ganzen. Denn eines dieser Muster ist, dass sie blind und taub ist gegen alle Anzeichen und Hinweise. Wenn sie es dann doch herausfindet, lässt sie sich abspeisen mit Ausreden wie: «Das ist nichts Ernstes, wir haben nur geflirtet.» Dann kommt peu-à-peu alles ans Licht. Aber erst wenn die ganze Geschichte auf dem Tisch ist, muss sie sich damit auseinandersetzen, dann kommt die grosse Krise. Vorher hält man sich an Konstrukten fest. 

Warum ist das Verheimlichen so wichtig?

Weil es sonst keine Affäre ist und keinen Spass macht. Das Heimliche macht den besonderen Flair der Affäreaus. Dadurch, dass Parallelwelten entstehen, kann man in der Aussenbeziehung die Regeln nochmals neu setzen und alle Wünsche in einem anderen Umfeld platzieren. 

Ist Fremdgehen ein Männerthema?
Keineswegs. Viele Frauen führen über lange Zeit ein sehr raffiniertes Doppelleben. 

Was reizt Frauen an einer Affäre?

Oft erzählen mir Frauen, sie hätten in der Affäre erstmals das Gefühl zu leben. Sie spüren ihre Weiblichkeit, ihre Energie. Weil der Kick des Risikos ständig dabei ist, das jagt das Adrenalin hoch. Die Affäre hindert sie daran, bei lebendigen Leib zu sterben, gibt dem Leben einen neuen Sinn. Das ist oft ein Aufrüttler.

Warum ein Aufrüttler?

Selbst wenn sich die Frau von ihrem Mann trennt, geht sie meist nicht zum Geliebten. Oft ist er nur ein Sprungbrett in die Sehnsucht hinein, «hey, ich muss ein anderes Leben gestalten». Und auch, weil es viel einfacher ist, in einer neuen Beziehung oder Affäre gleich am Anfang die Regeln festzulegen. Das kann man nach 20 Jahren Ehe kaum mehr durchbringen. 

Ist es vor allem die sexuelle Untreue, die den Betrogenen so zusetzt?

Da gibt es unterschiedliche Auffassungen. Für die einen ist es die sexuelle Untreue, für die anderen, dass der Liebesteil abwandert. Ganz schwierig ist der Vertrauensverlust, dass man lange Zeit angelogen wurde. Besser wäre sicher, wenn der fremdgehende Partner die Affäre bei der ersten Frage sofort zugibt und nicht weiter lügt. Weiter lügen, macht das Leiden nur schlimmer, das Ganze noch viel brutaler. 

Bringt eine Affäre der Betrogenen neben Leid auch etwas Positives?

Auf den ersten Blick nicht. Doch sie kann die Krise als Hinweis nehmen bei sich selbst zu schauen, was sie eigentlich will. Oft findet sie dann heraus, dass ihr die Beziehung, so wie sie war, schon lange nicht mehr gepasst hat. Nun hat sie die Möglichkeit, bei sich selbst aufzuräumen: Was will ich? Welche Kompromisse will ich nicht mehr machen? Doch es ist natürlich bequemer, in der Opferhaltung zu bleiben. Oder man entscheidet sich, sich zu arrangieren, sei es aus familiären oder wirtschaftlichen Gründen, oder um nach Aussen den Schein zu waren. Doch das funktioniert auf die Länge nicht.

Wie reagiert ein Mann, dem seine Frau eine Affäre beichtet?

Wichtig ist in so einem Fall, dass sie sich auf das Schlimmste einstellt und jemanden in der Nähe hat, der notfalls einschreiten kann. Denn selbst der friedlichste Mann kann dann ausrasten, auch wenn man meint, ihn seit 30 Jahren zu kennen. Das sind so archaische Prinzipien. Frauen, die finanziell abhängig sind, sollen sich vor einer solchen Eröffnung um ihre Finanzen kümmern. Denn verletzte Männer setzen dort den Schraubenzieher an, wo es wehtut, und das ist oft das Geld.

Wie reagieren Frauen?

Sie flüchten eher in Depressionen, in die Aggression gegen sich, in die Opferrolle und werden dadurch noch ungeliebter. 

Funktioniert verzeihen?

Die Beziehung hat noch eine Chance, wenn beide wirklich mitziehen, sich an die gemeinsam vereinbarten Regeln des Verzeihens halten. Es braucht oft auch eine Art Wiedergutmachung. Eine Frau verlangte zum Beispiel von ihrem Mann, dass er die Kinder übernimmt, damit sie in eine Kur gehen kann. Eine andere, dass er das Arbeitspensum reduziert. Wichtig ist auch: Wenn man als Betrogene die Beziehung wirklich weiterführen und verzeihen will, muss man die Opferrolle loslassen. Fatal ist, wenn man noch jahrelang stichelt und das Thema bei jeder Gelegenheit wieder aufs Tapet bringt. Oft hilft auch die Zeit. 

Also können Langzeit-beziehungen funktionieren?

Manchmal braucht es Beziehungstiefs, damit man sich wieder begegnet. Damit man sich wieder klar sagen kann: «Ja, ich will mit dir». Man kann eine Affäre nicht vorbeugen. Aber es lohnt sich, fortlaufend die Bedürfnisse, Wünsche und Fantasien in der Beziehung zu aktualisieren und auch den Mut zu haben, einmal etwas Unorthodoxes zu formulieren. Wir bringen das Auto auch regelmässig in den Service, passen zweimal jährlich die Reifen dem aktuellen Klima an. In einer Beziehung braucht ebenfalls regelmässige «Unterhaltsarbeiten», damit nicht plötzlich bei voller Fahrt ein Rad abfällt.  

Weitere Informationen:

www.sos-affaere.ch

 

 

Buchtipp

Maya Onken

Nestkälte 

200 Seiten, Edition Xanthippe, Fr. 29.80