Am 30. August ist Stichtag, dann können geübte Wettervorhersager an der Königskerze ablesen, wie der nächste Winter wird. Hans Gwerder liest die Pflanzen seit zehn Jahren und wie er betont, trafen seine Vorhersagen jeden Winter zu.
Viele Blüten, viel Schnee
«Es wird ein langer, kalter Winter. Im November gibt es etwas Schnee, dann wieder um Weihnachten und im Februar ziemlich viel», sagt Hans Gwerder und zeigt auf die gelben Blüten um den Stiel einer Königskerze (Verbascum thapsus) bei Ilanz im Kanton Graubünden. Wie er erklärt, teilt er in Gedanken den Blütenkolben in vier Bereiche – dieser bildet die ganze schneefähige Zeit ab.
Hat es wenige Blüten, bedeutet dies wenig Schnee, viele Blüten bedeuten viel Schnee. Ilanz liegt auf rund 700 m ü. M. und dies ist, wie er betont, ideal zum Ablesen: «So kann ich sicher gehen, dass die Prognose auch für die ganze Region oberhalb zutrifft.»
Gewerbetreibende fragen nach Prognosen
Der 68-Jährige wohnt seit sieben Jahren mit seiner Frau in der Gemeinde Tujetsch. Dort hat er bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad als «Wetterschmöcker» vom Tal, und sogar Gewerbetreibende fragen nach seinen Prognosen. «Wenn sie ungefähr wissen wollen, wann und wie viel Schnee es gibt, können sie besser planen, wie viel Personal sie brauchen», erklärt der gebürtige Urner und zeigt noch weitere besonders schöne Exemplare der Kleinblütigen Königskerze.
Königskerze mit behaartem Stängel
Es muss unbedingt die originale Königskerze mit wollig behaarten Stängeln und Blättern und den leuchtend gelben Blüten sein. Fast zum Verwechseln ähnlich sehen ihr die Königskerzen mit den glänzenden Blättern.[IMG 2]
Die Königskerze wächst auf mageren, sandigen Böden. «Ich bin jeden Frühling auf der Suche nach schönen Exemplaren an Orten, wo nicht gemäht wird. Ab Juli lese ich diese; Stichtag ist der 15. August (Maria Himmelfahrt), und eine zweite Prüfung erfolgt am 30. August», sagt er.
Vogelbeere für harten Winter
Durch den Klimawandel der vergangenen Jahrzehnte hat sich die Vegetationsperiode um 14 Tage verschoben, daher erfolgt eine zweite Ablesung zwei Wochen später.
Ein weiterer Anhaltspunkt, den ihm die Natur liefert, sind die Vogelbeeren: «Es hat sehr viele, und auch dies ist ein Zeichen für einen harten Winter. So haben die Vögel auch im Winter genügend Futter.»
Von den Bayern inspiriert
Der pensionierte VBS-Angestellte Hans Gwerder war und ist in seiner Freizeit immer schon sehr naturverbunden und betont: «Die Kommunikation zwischen Menschen und Natur finde ich sehr wichtig. Leider geht dies in der modernen Zeit immer mehr verloren.» Der Klimawandel bereitet ihm gewisse Sorgen. Dieser könnte alte Weisheiten und Kenntnisse bezüglich der Natur verdrängen.
Das Hobby des Wetterlesens hat Hans Gwerder mehr zufällig entdeckt, als er eine Reportage im Bayerischen Fernsehen sah. Dort sei die Wettervorhersage mit der Königskerze Tradition. «Ganze Rodelclubs planen ihre Rennen nach diesen Vorhersagen», erzählt er.
Früher hätten sich die Bergbauern vor allem beim Holzfällen auf die Vorhersagen der Wetterkerze verlassen. «Damals haben sie nämlich den Schnee gebraucht, um die geschlagenen Bäume per Pferdeschlitten ins Tal zu bringen», so Hans Gwerder, der auf dem Gütsch über viele Jahre meteorologischen Dienst gemacht hat.
Je grösser, je schöner, je besser
Das Wettervorhersagen anhand der Königskerze hat er sich autodidaktisch angeeignet, durch Tutorials und anhand von Büchern über diese Tradition. Wie er anfügt, brauche es nur geeignete Königskerzen – je schöner und grösser, umso besser.
Mal schauen, ob seine Vorhersage für den kommenden Winter auch wirklich zutrifft – aber wie war die nochmals? «Es gibt einen langen und kalten Winter. Es wird mehr Schnee geben als letzten Winter, aber auch nicht extrem viel. Die Winterliebhaber dürfen sich freuen», erklärt Hans Gwerder und lächelt.