Am Anfang wollte sie nicht. «Ich mache doch nichts Besonderes», wehrte Verena Harzenmoser ab, als Produzent Manuel Schweizer anfragte, ob sie bei einem Dokumentarfilm über aktive Senioren mitmachen würde. Doch das Resultat gefällt ihr nun recht gut. «Ich musste mich bei den Dreharbeiten nicht verstellen und seit der Film läuft, bekam ich schon positive Reaktionen von Chur bis Bern.»
Spätestens, wenn man im Film sieht, wie die 86-Jährige über eine Waldböschung hinabspringt, weder vor Brombeerranken noch vor steilen Hängen zurückschreckt, weiss man, warum die Wahl auf die St. Gallerin gefallen ist.
40 Jahre Orientierungsläuferin
Verena Harzenmoser ist schon seit fast 40 Jahren Orientierungsläuferin. Sie hatte damit begonnen, als sie ihre älteste Tochter immer zu Orientierungsläufen (OL) fuhr und nicht einfach nur warten wollte. «Also fing ich halt an, ebenfalls mitzumachen.» Seither ist sie in der OL-Gruppe St. Gallen/Appenzell aktiv. «Vor allem im Frühling und im Herbst bin ich fast jedes Wochenende an einem Lauf irgendwo in der Schweiz.»
Das Ziel bei einem OL ist, mithilfe von Karte und Kompass möglichst schnell und auf einfachstem Weg die auf der Karte markierten Posten in der richtigen Reihenfolge zu finden. Jüngere Semester orientieren sich mit Karten im Massstab 1:15 000. «Wir Senioren bekommen Karten im Massstab 1:10 000. «Wenn alle Posten eng beieinander eingezeichnet sind, haben meine Augen dennoch manchmal Mühe.»
Bergauf geht es etwas langsamer
Ihre Kondition, doch die sei noch recht gut. «Wenn es lange bergauf geht, komme ich schon ausser Atem und passe mein Tempo an. Doch nur gehen statt rennen, das schaffe ich einfach nicht, auch wenn mir meine Töchter schon lange sagen, ich solle langsamer machen.»
Sie wisse inzwischen aber aus Erfahrung, dass sie am Anfang nicht zu schnell einsteigen dürfe. «Sonst werde ich innerlich unruhig, wenn ich einen Posten nicht gleich finde. Dann suche ich nervös herum statt einfach stehen zu bleiben und mir die Karte nochmals in Ruhe anzusehen.» Und wenn sie sich tatsächlich mal völlig verirrt? Verena Harzenmoser zuckt gelassen die Schultern. «Irgendwann kommt immer jemand, den man fragen kann.» Zudem müsse man seinen elektronischen Badge an jedem Posten registrieren lassen. «So wissen am Schluss die Veranstalter, ob sie noch jemanden suchen müssen.» Doch das sei ihr noch nie passiert.
Bewegtes Leben
Verena Harzenmoser tritt dem Leben entspannt gegenüber, kennt aber auch Krisen und schwere Zeiten. Aufgewachsen ist sie im thurgauischen Bürglen. Sie machte eine Lehre bei der Post, zog nach St. Gallen und heiratete. Kurz vor der Geburt des dritten Kindes starb ihr Mann, sie musste fortan den Sohn und die beiden Töchter alleine grossziehen. WenigeJahre später erkrankte sie an Brustkrebs. «Damals gab es noch keine Chemotherapie und die Bestrahlungen haben mich sehr mitgenommen.» Heute wisse sie manchmal nicht mehr, wie sie das alles geschafft habe. «Doch irgendwie ging es dann immer.»
Schon früher mit den Kindern ging sie gerne wandern und skifahren. Seit 60 Jahren turnt sie zudem im gleichen Turnverein, jeden Mittwochabend. Zudem ist sie regelmässig mit dem SAC auf Bergtouren. «Früher hatte ich noch das Haus und den Garten, da war ich ständig in Bewegung. Heute spaziere ich zweimal die Woche rund 50 Minuten zu einem Bauernhof, um mir frische Milch zu holen.»
Gern querfeldein
Beim OL läuft Verena Harzenmoser am liebsten abseits der Wege durch die Wälder, allein. «Ich bin gern für mich unterwegs.» Und auch mit 86 Jahren ist sie keineswegs zimperlich. Sie rutsch auch einmal auf dem Hosenboden einen Hang hinunter, wenn es sein muss, stolpert hin und wieder über einen Ast, der unter einer Laubschicht verborgen liegt, handelt sich blaue Flecken ein oder rennt durch knöcheltiefen Neuschnee. «Es macht mir einfach unglaublich Freude, einen Posten zu finden. Das gibt mir einen richtigen Adrenalinkick.»
Vor einigen Wochen, an einem OL auf der Schwägalp, habe es ausgerechnet bei ihrem Start angefangen wie aus Kübeln zu giessen, erzählt sie. «Ich war in kürzerster Zeit tropfnass und meine Hosen so schwer vom Wasser, dass sie anfingen zu rutschen. Doch so lange ich in Bewegung bin, merke ich Nässe und Kälte kaum.»
Weltmeisterlich
Auch mit über 80 konnte Verena Harzenmoser noch einige sportliche Erfolge erringen. So wurde sie zum Beispiel vor drei Jahren Schweizer Meisterin im Sprint. Und an der OL-Weltmeisterschaft in der estnischen Hauptstadt Tallinn im vergangenen Jahr gewann sie eine Goldmedaille. «Bei den internationalen Wettkämpfen kann ich jeweils in der Kategorie Ü-85 starten. Bei den nationalen Wettkämpfen gibt es das gar nicht, da laufe ich gegen 75-Jährige, was manchmal schon mühsam ist.»
Diesen Sommer war sie gemeinsam mit einer ihrer Töchter eine Woche in Schweden am grössten OL der Welt mit rund 15 000 Teilnehmern. Und nächstes Jahr? «Vielleicht die OL-Weltmeisterschaft in Dänemark». Doch gross planen wolle sie nicht und manchmal denke sie auch ans Aufhören. «Doch dann packt es mich wieder und ich freue mich auf den nächsten guten Lauf.»
Film «Aktiv ins Alter»
Der Dokumentarfilm gibt Einblicke in das Leben von sechs Schweizer Senioren im Alter zwischen 59 und 102, die ihre Leidenschaft leben. Das macht sie glücklich, warum also im Alter damit aufhören?
Der Film läuft in Kinos in der ganzen Schweiz.
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