Noch ganz entspannt geht Anita Grolimund in die Hocke. Nun hoch konzentriert, fasst sie von unten her mit beiden Händen den pinkfarbenen Baumstamm vor sich und stemmt sich langsam hoch. Einen Moment lang balanciert die 1.68 Meter grosse Brünette das rund vier Meter lange und 18 Kilo schwere Holz, bevor sie den Stamm in einem hohen Bogen von sich wirft. 

Einige Meter weiter trifft der Stamm mit dem oberen Ende auf die Erde und überschlägt sich. Mit einem Jubelschrei springt Anita in die Höhe. «Habt ihr das gesehen. Das Überschlagen ist mir noch nie gelungen», ruft sie ihren Clan-Kollegen zu. 

Anita Grolimund ist eine von zwei aktiven Clan-Frauen, die bei den Black Sheep Highlandern im solothurnischen Hägendorf trainieren. Der «Clan» ist ein gut schweizerischer Verein, der sich jede Woche in den fünf Disziplinen der Highlandgames übt. Die 33-jährige Buchhalterin ist seit rund einem Jahr dabei. «Ich bin schon seit meinen Teenager-Tagen ein grosser Schottland-Fan», erzählt sie. «Die Landschaft, die Leute: Bin ich dort, fühle ich mich jedes Mal wie zu Hause.» Nach dem Besuch eines Highlandgames in der Schweiz fragte sie bei den Black Sheep Highlandern wegen eines Probetrainings nach. «Ich war am Anfang ziemlich nervös, wurde aber freundlich aufgenommen.» 

Fünfmal Kraft und Können

Das erste Training bescherte Anita zwar einen gehörigen Muskelkater. Doch das tat ihrer Begeisterung keinen Abbruch. Sie wollte weitermachen, und zwar mit Vollgas. Seither trainiert sie jeden Mittwoch auf dem Highlandgames-Platz des Clans beim Schützenhaus Hägendorf, macht zusätzlich Krafttraining. «Hier darf ich auch mal ‹ruch› sein, das gefällt mir so», strahlt sie. 

Die Lieblingsdisziplin von Stefanie Frey, der zweiten aktiven Clan-Frau, ist der Gewichthochwurf. Sie wirft das 12,7 Kilo schwere Metallstück an einem Ring fünf Meter hoch und hält damit den Schweizer Rekord bei den Highlandgames-Athletinnen. Stefanie Frey fällt auf. Auf ihre muskulösen Schultern und Arme dürfte so mancher Mann neidisch sein, ihre vielen Tattoos ziehen die Blicke auf sich. «Ich mache seit 17 Jahren Kraftsport», erklärt die 34-jährige Plattenlegerin mit fast schon schüchternem Lächeln. Kraftsport auf hohem Niveau.

Mit der eigenen Kraft spielen

Schon mit 16 Jahren interessierte sie sich fürs Armdrücken. «Eine Zeit lang machte ich das sogar professionell», erzählt sie. Stefanie Frey wurde Schweizer Meisterin und Vize-Europameisterin in dieser Disziplin. Dann begann sie mit dem Bankdrücken, stemmte bis zu 125 Kilogramm und den Weltmeistertitel. 

Zu den Black Sheep Highlandern kam sie vor rund sechs Monaten über ihren Lebenspartner Simeon Brügger, der dem Verein als Präsident vorsteht. Wie Anita Grolimund gehört sie zu den erst rund 15 Frauen im Land, die bei der Schweizerischen Highlandgames-Organisation für Wettkämpfe lizenziert sind. «Von den Männern werden wir Frauen bei den Wettkämpfen gut akzeptiert», sagt Stefanie Frey. «Die Kontakte unter den Frauen sind ebenfalls unkompliziert und herzlich, auch wenn wir uns in den Wettkämpfen nicht schenken.» Überhaupt seien der Zusammenhalt und die Stimmung unter den Highlandgames-Athletinnen und Athleten gut. «Wir sind wie eine Familie.»

Wochenenden im Kilt

Seit sie bei den Black Sheep Highlandern aktiv sind, fahren die beiden Frauen viele Wochenenden zu Wettkämpfen in der ganzen Schweiz und im nahen Ausland. Diesen Sommer organisierten der Highland-Clan aus dem Mittelland zudem erstmals selbst ein Highlandgame in Hägendorf. «Die Wettkämpfe und das Fest waren ein voller Erfolg, es kamen rund 5500 Leute», erzählt Anita Grolimund. «Aber da wir den Event alle neben unseren eigentlichen Jobs organisierten, stiessen wir auch an unsere Grenzen.»

Und wenn mal kein Wettkampf ist? Dann sehen die Freizeitaktivitäten der beiden Highlanderinnen ähnlich aus wie bei vielen anderen Frauen: Anita Grolimund ist zusätzlich im Bogenverein Zofingen aktiv und verbringt gerne viel Zeit mit Patenkind Emilia und Neffe Giosuè. Stefanie Frey ist «ganz vernarrt» in ihren Hund Adi, eine französische Bulldogge, und baut mit ihrem Lebenspartner das Wohnhaus um. 

Weitere Informationen:

www.black-sheep-highlanders.ch

www.hgaos.ch: Website der Highlandgames Association of Switzerland

 

Schottische Tradition weltweit

Die Highlandgames waren ursprünglich ein Bestandteil der Treffen der Clans in den schottischen Highlands. Noch heute gibt es in Schottland jährlich bis zu 100 Highlandgames, sie finden aber auch in vielen anderen Ländern statt. Seit 1980 gibt es auch Weltmeisterschaften.

Neben den eigentlichen Wettkämpfen sind die Highlandgames heute jeweils ein Volksfest mit traditioneller Dudelsackmusik, irisch-keltischem Rock und oft auch mit Mittelaltermärkten. 

In der Schweiz gibt es inzwischen rund zwölf Clans. An verschiedenen Orten finden jedes Jahr Highland-
games statt, unter anderem in Fehraltorf, Luzern und Hägendorf, die jeweils tausende von Besuchern anlocken. 

 

 

Die fünf Disziplinen

«tossing the caber» Baumstammüberschlag

Es muss ein Holzstamm verwendet werden. Der Baumstamm wird so geworfen, dass er sich überschlägt und anschliessend möglichst gerade auf den Boden fällt, also nicht zur Seite kippt. Der Stamm ist bei Männern fünf bis fünfeinhalb Meter lang, bei Frauen maximal viereinhalb Meter.

«putting the stone» Steinstossen

Beim Steinstossen gelten die gleichen Regeln wie beim Kugelstossen. Jede einarmige Stosstechnik ist erlaubt. Die Gewichte liegen bei sieben bis 13 Kilo für Männer und vier bis acht Kilo für Frauen.

«weight for distance» Gewichtweitwurf

Das Gewicht ist dabei durch eine Kette oder ein Seil mit einem Handgriff verbunden. Während des Wurfs muss immer mindestens ein Fuss im Abwurfbereich bleiben. Die Gewichte liegen bei 12,7 bis 25,4 Kilo bei den Männern und bei 6,35 Kilo bei den Frauen. 

«scottish hammer» Hammerwurf

Der schottische Hammer ist eine Metallkugel an einem stabilen Stab. Der Wurf erfolgt mit dem Rücken zur Wurfrichtung und aus dem Stand. Eine Körperdrehung ist nicht erlaubt. Die Gewichte betragen 7,25 bis 10 Kilo bei den Männern und 5,4 Kilo bei den Frauen. 

«weight over the bar» Gewichthochwurf

Dabei muss ein Gewicht mit einer Hand und rückwärts über eine Stange geworfen werden. Material und Form des Gewichts können beliebig gewählt werden. Die Wettkämpfer entscheiden selber, bei welcher Höhe sie einsteigen. Die Gewichte betragen für Männern 19 bis 25,4 Kilo, für Frauen 12,7 Kilo.