In der Land- und Ernährungswirtschaft reden so viele Player mit, dass es schwierig oder gar unmöglich ist, einen Konsens zu finden: Produzentinnen und Produzenten, Handel, Konsumentinnen und Konsumenten, Verbände, Gesellschaft, Verwaltung und Politik. Und alle verlangen sie Lösungen. Lösungen für mehr Nachhaltigkeit, Innovation, Wirtschaftlichkeit, Ökologie, Digitalisierung etc. Und immer wieder betonen alle, dass die Landwirtschaft Teil der Lösung sei und auch sein wolle. Und trotz bereits reger und langer geführter Diskussionen wurde die Zauberformel, wie eine universelle Lösung aussehen soll, noch nicht gefunden. Auch nicht am diesjährigen Podium des Berner Bauernverbandes.

Zu viele Köche?

Zwar waren sich die Teilnehmenden des Podiums in Münsingen mehr oder weniger einig, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen müsste: so ökologisch und nachhaltig und gleichzeitig produktiv wie möglich, mit der richtigen Prise Innovation, höchstens einem Mindestmass an administrativem Aufwand und nötiger Bürokratie und das ganze zuletzt mit einem anständigen Preis abgegolten. Eine Win-win-Situation für Produktion, Umwelt, Konsum, Wirtschaft und Verwaltung respektive Politik wäre das ideale Ziel – der von den Podiumsteilnehmenden gezeichnete Weg zum Ziel könnte unterschiedlicher allerdings nicht sein. Viel mehr zeigte die Podiumsdiskussion deutlich die allzu verschiedenen Ansichten zwischen Politik, Verwaltung, Verbänden und sogar unter den einzelnen landwirtschaftlichen Produzentinnen und Produzenten selbst auf.

Mehr Markt – weniger Freihandel

So ist für Marc Lehmann, der auf seinem Betrieb in Oberbottigen 60 Milchkühe und 70 Rinder hält, der Weg der Landwirtschaft der Zukunft mit weniger Ämtern, Verwaltung und Politik gesäumt, dafür mit mehr Markt. Der freie Markt regle vieles und dies, ohne dass es noch zusätzlich künstliche Massnahmen brauche, argumentierte er. Und auf einem freien Markt seien Schweizer Produkte durchaus gefragt, ist Marc Lehmann überzeugt. So brauche es auch den Labelsalat nicht: «Der Schweizer Standard reicht völlig aus.» Ausserdem sei seine Generation (Generation Y/Millennials) fähig genug, aus der Landwirtschaft das meiste herauszuholen und gleichzeitig ressourcenschonend zu produzieren. Wer nachhaltig wirtschaftlich Landwirtschaft betreiben wolle, dem sei das logisch.

Ansichten, die sich allerdings kaum mit denen von Christine Badertscher decken. Die Grüne-Nationalrätin und Präsidentin des Oberaargauer Bauernvereins hat ein ganz anderes Bild, wie die Schweizer Landwirtschaft der Zukunft funktionieren sollte und plädiert unter anderem für den Zollschutz: «Ich will fairen Handel statt Freihandel.» In der Landwirtschaftspolitik gehe das «Big Picture», das grosse Ganze, ausserdem viel zu oft vergessen und man kümmere sich zu gerne nur um die eigenen kleinen Schweizer Gärtli. Im Kleinen betrachtet sei die Schweizer Landwirtschaft denn auch tatsächlich schon sehr gut unterwegs – als reiches und privilegiertes Land mit den entsprechenden Möglichkeiten, gehe es aber eben auch darum, besser zu sein als andere, mehr zu tun und eine Vorbildfunktion zu übernehmen.

[IMG 2]

Mehr Wertschöpfung – weniger Direktzahlungen

Adrian Brönnimann seinerseits äusserte den Wunsch nach mehr Autonomie für die Landwirtschaft und folglich mehr Wertschätzung. Die Produkte aus Ackerbau, Milchwirtschaft und Mastproduktion seiner Betriebsgemeinschaft in Englisberg hätten mehr Wert und sollten entsprechend auch mehr abwerfen: «Wenn wir weniger von Almosen in Form von Direktzahlungen und Staatsgeldern abhängig wären, müssten wir uns auch weniger rechtfertigen.» Dass die landwirtschaftlichen Produkte teilweise nicht über ihren Wert, sondern auch über Direktzahlungen abgeglichen werden, stellt für Marc Lehmann hingegen kein Problem dar: «Ich habe kein schlechtes Gewissen wegen Direktzahlungen, wir kennen sie in vielen Bereichen. Dort heissen sie zum Teil einfach anders – beispielsweise Lohnschutz.»

Entsprechend dem Motto des Podiums würden sich die podiumsteilnehmende Landwirtin und podiumsteilnehmenden Landwirte also tatsächlich mehr Ziele und weniger oder jedenfalls zielführendere Massnahmen wünschen. Michael Gysi, Direktor des Amts für Landwirtschaft und Natur des Kantons Bern (Lanat) gab allerdings zu bedenken, dass so lange das Direktzahlungssystem in Kraft sei, es eben auch von der Verwaltung und Politik definierte Massnahmen brauche, um am System teilhaben zu können: «Es braucht den Beweis, dass es für das ausgeschüttete Geld auch eine Gegenleistung gibt.» Und mit dem heutigen System werde auch das grosse Ganze, das «Big Picture», berücksichtigt: Mit den greifenden Massnahmen produziere die Schweizer Landwirtschaft nicht nur Lebensmittel, sondern auch andere Produkte wie Umweltleistungen und Tierwohl und werde für diese ebenfalls entschädigt.

[IMG 3]

Mehr Individualität

In ihrer Essenz wäre Landwirtschaft eigentlich sehr einfach: Landwirtinnen und Landwirte nutzen den Boden, um pflanzliche oder tierische Erzeugnisse zu produzieren. Alles was nach dieser groben Definition kommt, ist allerdings weder einfach noch ohne Weiteres in eine einzige Schublade zu stecken. So einfach Landwirtschaft im Grundsatz also ist, so viele verschiedene Töpfchen braucht’s, damit alle Wirtschaftszweige und Bereiche der Landwirtschaft irgendwo ihren Platz finden. Obstbau ist nicht mit Gemüsebau zu vergleichen, Gemüsebau nicht mit Ackerbau und Ackerbau nicht mit Nutztierhaltung. An den Land- und Ernährungswirtschaftstisch setzen sich dann noch Handel, Konsum, Verwaltung, Politik und weitere Player.

Entsprechend dem Schweizer Landwirtschaftsbild und der vielen diversen Betriebe wäre etwas mehr individueller Spielraum darum wünschenswert, formulierte schliesslich auch Aline Plüss, Landwirtin auf einem Bergbetrieb im Lütschental, ihren Weg für eine zukunftsorientierte und effizient funktionierende Landwirtschaft. Wie am Salatbuffet dürfte quasi jeder Betrieb aussuchen, was für ihn am besten passt und umzusetzen ist. Für mehr Individualität und Freiheit für Landwirtschaftsbetriebe plädiert auch Hans Jörg Rüegsegger, Präsident des Berner Bauernverbands. Obwohl er Teil des Verband-Verwaltung-Politik-Gefüges ist und er an mancher Vorschrift oder Gesetz mitdiskutiert und schlussendlich abgestimmt hat, würde auch er weniger Vorschriften und Gesetze begrüssen: «Mehr problemorientiertes Arbeiten in der Politik wäre gefragt – wir diskutieren über Zentimeter und Baubewilligungen und ignorieren die wahren Probleme.»

[IMG 4]