Eine einsame Insel, zerklüftete Hügel, schroffe Felsen und herausfordernde Wetterbedingungen: Stóra Dímun bietet die ideale Kulisse für ein Drama oder einen Krimi.

Dabei ist das Leben auf einer der kleinsten bewohnten Inseln der Färöer sehr beschaulich. Hier leben vier Erwachsene, fünf Kinder und viele Tiere: Hunde, Mutterschafe, Lämmer, Kühe, Pferde und Hühner.

Nur mit dem Helikopter

Um sie kennenzulernen, braucht es einen Helikopter, der von der Hauptstadt Tórshavn zur Insel fliegt. Mitten im Herzen des Nordatlantiks gelegen, können Schiffe lediglich im Sommer und nur bei gutem Wetter anlegen. 

Eva úr Dímun ist auf Stóra Dímun aufgewachsen. Sie gehört zur achten Generation, die hier Landwirtschaft betreibt, gemeinsam mit ihrem Mann Jógvan Jón, ihrem Bruder Janus und dessen Frau Erla.

Ein unaufgeregtes Leben

Die 40-Jährige mit der sonnengegerbten Haut ist unkompliziert, lädt zum Kaffee in ihre Küche ein. Besucher fühlen sich willkommen. Eva beschreibt ihren Alltag als unaufgeregt «Unser Leben ist nicht so spannend, wie es auf den ersten Blick aussehen mag», sagt sie. «Wir sind gut ausgerüstet.»

Denn Stóra Dímun liegt zwar sehr abgelegen, auf moderne Technik müssen die Bewohner aber nicht verzichten. Waschmaschine, Tumbler oder Staubsauger gehören genauso selbstverständlich zum Haushalt wie andernorts.

Im Wohnzimmer läuft im Fernseher ein Fussballspiel der englischen Liga; im Büro steht ein Computer und das Handy ist oft im Einsatz.

Schafe überall

Doch es gibt durchaus Einschränkungen: Spontane Ausflüge sind wegen der Insellage nicht realisierbar. Schnell Lebensmittel oder Kleider in Tórshavn einkaufen? Unmöglich. «Wir müssen alles frühzeitig planen», sagt sie und präzisiert: «Die Witterung ist der entscheidende Faktor, ob der Helikopter abhebt.

Bei schlechtem Wetter fliegt er nicht.» Ohne grosse Emotionen erzählt die Landwirtin, wie das Wetter im Minutentakt wechseln kann. Dann verwandelt sich der blaue Himmel plötzlich in ein düsteres Grau und Nebel zieht auf. Regentropfen fallen, nur um wenig später von der Sonne getrocknet zu werden.

Für Aussenstehende mögen solche Bedingungen herausfordernd sein, nicht für Eva. «Auf unserem Hof gibt es immer eine Aufgabe, egal wie das Wetter ist.»

Qualität wichtiger als Quantität

Ein kleiner Traktor dient als Hilfsmittel, aber vieles muss von Hand erledigt werden. Pflanzmaschine oder Melkroboter? Fehlanzeige. Während sich die meisten Bauernhöfe laut der 40-Jährigen spezialisiert haben, gibt es auf dieser Insel mehrere Produktionszweige.

«Für uns ist die Qualität wichtiger als die Quantität.» Schafe stellen für die beiden Familien die Lebensgrundlage dar. Sie sind hier omnipräsent. «Die Bevölkerung auf Stóra Dímun hat stets von ihnen gelebt», sagt Eva.

Ab Mitte September beginnt das Schlachten der Lämmer. Die Schaffelle verarbeiten die Bewohner im Winter in der eigenen Gerberei. Das Fleisch wird mindestens sechs Wochen fermentiert – oder für Nicht-Einheimische anders ausgedrückt: Im Prinzip vergammelt es.

Die Färinger nennen diese alte Tradition «Ræst». Dabei sind Temperatur, Luftfeuchtigkeit und der Gesundheitszustand der Tiere wichtig.

«Ræst»: Der Kopf schreit Nein

Im Trocknungshaus hängt so ein gräuliches Überbleibsel eines Lamms. Ein eigenwilliger, undefinierbarer Geruch füllt den ganzen Raum. Er signalisiert dem Kopf: Ich  will das Fleisch nicht essen, auf keinen Fall.

Kaum zu glauben: Die Spezialität gehört zu den Kassenschlagern der Insel und wird vor allem an Privatkunden verkauft, ein kleiner Teil geht an Grossisten. Wer zu Besuch ist, muss das «Ræst»-Produkt versuchen.

Sich drücken? Gibt es nicht. Evas Mann schneidet in der Küche ein Stück ab. «Streu ein wenig Salz darüber», sagt Jógvan Jón bestimmt. Verteilt sich das Fleisch erst einmal im Gaumen, erinnert es ein wenig an Blauschimmelkäse. Ein unerwarteter, aber angenehmer Geschmack.

Ein eingespieltes Team

Der 46-Jährige nickt anerkennend; er blickt zu seiner Frau. Evas herzliche Art kommt zum Vorschein. Die blauen Augen glänzen und mit einem Schmunzeln auf dem Gesicht sagt sie: «Es ist besser, als es am Anfang riecht.»

Ob beruflich oder privat: Jógvan und Eva sind ein eingespieltes Team. Das ist gut spürbar. Das Paar lernte sich kennen, als Eva nach der landwirtschaftlichen Schule in Norwegen das Lehrerseminar in der Hauptstadt Tórshavn absolvierte. Dort traf sie Jógvan Jón. Er entschied sich für ein Leben auf Stóra Dímun – vor rund 15 Jahren liessen sie sich hier nieder.

Möglichst autark

Stolz zeigt Eva nun auf das Gemüse auf dem Tisch. Der Anbau sei nicht einfach. Auf den Färöern spielen die Kälte und Feuchtigkeit eine entscheidende Rolle. So wachsen etwa Kohlrabi und diverse Rüben; Die Nachfrage sei gross. Kartoffeln, Karotten und Salat benötigen die neun Personen für den Eigengebrauch.

Eine Milchkuh und Hühner werden ebenfalls nur zur Selbstversorgung gehalten. Benötigen die Familien Waren wie Mehl oder Zucker, bringt diese der Helikopter aus der Hauptstadt – auf Vorbestellung.

Auf Stóra Dímun ist Gleichberechtigung bei der Arbeit gelebter Alltag. Alle müssen mit anpacken. «Wir teilen die Tätigkeiten nicht nach Mann oder Frau auf. Das funktioniert bei dieser Betriebsgrösse nicht», sagt Eva. Ihre Grosseltern und Eltern handhabten das bereits so, nun wird es an die Kinder weitervermittelt.

Der Insel-Lebensstil

Dass diese nichts vermissen – davon ist Eva überzeugt: «Wirst du an einem Platz wie diesem geboren, ist das deine Welt, deine Wirklichkeit. Du denkst nicht an das, was du nicht hast.» Im Gegenteil: Sie spricht von einem «privilegierten Leben», erwähnt immer wieder ihre Familie und jene ihres Bruders.

Obwohl die neun Menschen eng beieinander leben, besuchen sie sich mehrmals täglich. Nachdem sie am Morgen gemeinsam die Rüben geerntet haben, essen sie am Nachmittag in der Küche Kuchen.

Am Abend trinken die Erwachsenen zusammen ein Bier, lachen und diskutieren viel. «Wir haben gelernt, dass wir uns nicht immer einig sein müssen.» Das zu akzeptieren, sei sehr wichtig. Evas oberstes Gebot ist allerdings: «Wir sind froh, haben wir uns.»

Ihren Alltag möchte Eva mit niemandem tauschen. Abgesehen vom Wetter und der fehlenden Möglichkeit, spontan wegzufahren, habe das abgeschiedene Leben etliche Vorteile. «Es ist sehr friedlich.»

Freude an den kleinen Dingen

Der Fokus sei auf die wesentlichen Dinge gerichtet. «Wir bestimmen selber, wie unser Tag aussieht.» Die diversen Tätigkeiten begleiten sie ständig, lassen sie nicht los, wenn sie schlafen geht.

Dann blickt sie mit ihrem Mann auf die getane Arbeit zurück und bespricht mit ihm, was ansteht. Am Morgen drehen sich die Gedanken in gleicher Weise darum: «Habe ich die Augen einmal aufgeschlagen, versuche ich mir eine Übersicht zu verschaffen», sagt Eva.

Sie liebt ihr Leben auf der isolierten Insel. Das verrät das Leuchten in den Augen. «Am meisten mag ich die kleinen Dinge, die zu erledigen sind.» Für einen vollkommenen Tag erfordert es keine teuren Geschenke oder schöne Kleidung. «Er ist perfekt, wenn alle zufrieden ins Bett gehen und glücklich sind.»

Ob eines der Kinder im Erwachsenenalter auch auf Stóra Dímun glücklich wird? Evas Blick wandert ins Nebenzimmer durch das Fenster. Draussen sind grüne Wiesen, das raue Meer und die unbewohnte Nachbarinsel Lítla Dímun zu sehen. «Das wird die Zeit weisen.»

Der Nachwuchs sei vorhanden; die Hoffnung bestehe. «Übernimmst du das hier nur, weil du dich verpflichtet fühlst, kannst du nicht auf Stóra Dímun wohnen», sagt sie. «Das ist ein Lebensstil, den du wählst.»

 

Die Färöer

Die Färöer befinden sich zwischen den britischen Inseln, Norwegen und Island. Die Inselgruppe gehört zwar zu Dänemark, verwaltet sich aber selbst. Sie hat ein eigenes Parlament, eine eigene Flagge und gehört nicht zur EU. Die Färinger haben ihre eigene Sprache. Abgeleitet vom Altnordischen, ist Färöisch mit Isländisch, Norwegisch, Dänisch und Schwedisch verwandt. Über 50'000 Personen leben auf den Färöern. Es gibt mehr Schafe als Einwohner.