Was ist Ergonomie?

Ergonomie ist in Stall, Feld und Maschinenraum wichtig, weil dort die körperlichen Belastungen am grössten sind. Grundsätzlich geht es bei der Ergonomie um die Anpassung der Arbeitsbedingungen an die physischen und psychischen Grenzen des Menschen.

Wikipedia nennt als Ziel der Ergonomie, die Arbeitsbedingungen, den Arbeitsablauf und die Anordnung der zu greifenden Gegenstände räumlich und zeitlich optimiert anzuordnen. Ausserdem werden die Arbeitsgeräte für eine Aufgabe so optimiert, dass das Arbeitsergebnis (qualitativ und wirtschaftlich) optimal wird. Zuletzt sollen die arbeitenden Menschen möglichst wenig ermüden oder gar geschädigt werden, auch wenn sie die Arbeit über Jahre hinweg ausüben.

Schädliche Bewegungen vermeiden

Manuelle Dippsysteme erfordern Druck auf den Becher, um die Lösung aufzuschäumen. Bei einer Herde mit 40 Kühen heisst das: 320 Mal pro Melkvorgang drücken. Das kann den Karpaltunnel am Handgelenk schädigen. Automatisierte Systeme schonen Hände und Handgelenke.

Die Hand sollte niemals über Schulterhöhe angehoben werden müssen. Startschalter sollten sich in Hüfthöhe befinden.

Das Melkzeug optimal anhängen

Eine Agroscope-Studie aus dem Jahr 2015 sagt, dass für MelkerInnen zwar der Melkstand ergonomisch günstiger ist als das Melken im Anbindestall. Trotzdem leiden viele LandwirtInnen unter Muskel-Skelett-Erkrankungen im Bereich der Arme, des Nackens und der Schultern. Ausserdem kann das Anhängen des Melkzeugs zu Problemen im Bereich der Unterarme und Handgelenke führen. Die Analyse hat gezeigt, dass während dem gesamten Arbeitsschritt «Melkzeug-Anhängen» niemals alle Gelenke in einem ergonomisch günstigen Bereich liegen können.

Lösen lässt sich das Problem nicht komplett, doch eine angepasste Höhe der Standfläche hilft. Melken regelmässig mehrere Personen abwechselnd eine Herde, empfehlen die VerfasserInnen der Studie bei Neubauten einen Hubboden.

Zudem weisen sie darauf hin, dass die Euterbodenhöhe einen erheblichen Einfluss auf die Variation der idealen Standflächenhöhe habe. Deshalb sei es auch wichtig, die mittlere Euterbodenhöhe der Herde gut abzuschätzen.

Die Arbeitsumgebung verbessern

Im Melkstand ist gute Beleuchtung (200 Lux) wichtig. Andreas Niederhäuser vom Melkforum rät zu Lichtbändern im Dach. Sinnvoll ist auch, in Höhe der Kuhbeine Lampen anzubringen. Zu vermeiden sind Durchzug und Feuchtigkeit.

Klare, einfache Abläufe

Ideal ist, wenn die Kühe vom Warteraum in den Melkstand kommen, ohne dass die Melkerin diesen verlassen muss. Denn das Erklimmen der Stufen beansprucht die Knie und zudem geht Zeit verloren.

Beim Melken von hinten oder in Fischgrät-Anordnung gibt der Melker den Rhythmus vor. Bei einem Karussell ist die Versuchung gross, die Anlage etwas schneller laufen zu lassen. Allerdings besteht so das Risiko, nicht mithalten zu können. Das Ergebnis: Stress, Unbequemlichkeit und Fehler. Die Anlage muss sich dem Rhythmus des Melkers anpassen und nicht umgekehrt!

Das Gewicht reduzieren

Wörtlich ins Gewicht fällt bei der täglichen Arbeit das Anhängen des Melkzeugs.

Werden beim Melkzeug die Becherhülsen aus Edelstahl durch solche aus Kunststoff ersetzten, ergibt das eine Gewichtsreduktion von 1100 Gramm. Das macht bei auf 40 Kühe gerechnet insgesamt über 30 Tonnen Gewichtsreduktion pro Jahr aus.

Oder anders ausgedrückt: Bei einem Gewichtsunterschied von rund einem Kilo sind es bei 40 Kühen 80 Kilogramm, die pro Tag mehr bewegt werden müssen. Dies belastet Arme und Schultern.

 

Die optimale Höhe berechnen

Agroscope hat zwei Formeln ermittelt, aus denen sich die optimale Höhe der Standfläche berechnen lässt. Dazu muss zuerst der «Koeffizient» bestimmt werden.

Dieser ergibt sich aus dieser Formel:(Standflächenhöhe + Euterbodenhöhe) ÷ Körpergrösse

Danach ergibt sich die optimale Standflächenhöhe aus der Formel:(Körpergrösse (cm) × Koeffizient) − Euterbodenhöhe

Etwas einfacher, aber wohl weniger präzise ist diese Empfehlung für Fischgrät-Melkstände: Die empfohlene Arbeitshöhe im Melkstand mit Fischgrät-Anordnung entspricht der halben Körpergrösse des Melkers. Beim Melken von hinten muss zu diesem Ergebnis noch 10 cm addiert werden.

Unfälle und Schmerzen

Unfälle passieren sehr oft durch Stolpern oder Stürzen. Die Suva registriert jährlich rund 200 000 Stolper-/Sturzunfälle. Dies entspricht der Einwohnerzahl der Stadt Genf.

Schmerzen entstehen oft auch durch Überlastungen. Das können einseitige Belastungen oder repetitive Bewegungen sein. Dazu gehören das Anhängen des Melkzeugs oder das Dippen.

Stabil stehen

Physiotherapeut und Ergonom Mike Freudiger sagt, dass die Regel, Lasten mit geradem Rücken zu heben, veraltet sei. Wichtig sind Aspekte wie stabiler Stand, Lasten nahe am Körper zu halten (Hebelgesetz) und das Verhindern von Rumpfrotationen mit Gewicht in den Armen.

Hilfsmittel einsetzen

Ob es Hilfsmittel – wie etwa einen Hubboden – braucht, ist von Betrieb zu Betrieb verschieden. Die Entscheidung soll mit allen, die mitarbeiten, besprochen werden: Sonst wird im ungünstigsten Fall ein Hilfsmittel beschafft, das gar nicht brauchbar ist. Zu bedenken gilt es, dass ein Ausfalltag zwischen 500 bis 1000 Franken kostet. Eine Investition in Hilfsmittel, die den Alltag sicherer und gesünder machen, lohnt sich also.

 

Quellen

- Mike Freudiger, Physiotherapeut und Ergonom, Geschäftsführer physio Praxis für Sport und Ergonomie GmbH in Zollikofen BE.
- Tipps von Boumatic
- «Optimierung der Arbeitshaltung beim Anhängen des Melkzeuges», Agroscope Transfer, Nr. 102/2015
- Andreas Niederhäuser, Leiter Melkforum, Zollikofen