Der letzte Monat stand bei mir ganz im Zeichen von Frühlingsgefühlen. Ich kann Ihnen sogar ziemlich genau sagen, seit wann das so ist. Seit dem 19. Februar nämlich. Nicht, dass ich mich an diesem Tag frisch verliebt hätte– oder etwas dergleichen. Nein, der 19. Februar war ein schöner Tag mit für die Jahreszeit überdurchschnittlich stark wärmender Sonne. Das Thermometer stieg bei uns zu Hause im Reusstal auf über 10 Grad. Und was hat das alles nun mit Frühlingsgefühlen zu tun? Nun, ich stellte an diesem Tag die Fallen für den Rapsstängelrüssler auf.

Ist Ihnen noch immer nicht klar, was da smit Frühlingsgefühlen zu schaffen hat? Tatsächlich bedeutete dieser Tag einen markanten Bruch für mich. Zuvor: Winter.

Nicht, dass ich die letzten Monate nur auf der faulen Haut gelegen hätte. Aber es gab durchaus Tage, da war es schwer, Motivation zu finden. Soll ich die Hochstamm-Obstbäume bereits schneiden? Nicht unbedingt heute, das hat ja noch Zeit. Gleiches galt für die meisten anderen Arbeiten ausserhalb des Stalls. Ich konnte, musste aber nicht unbedingt.

Im Winter stand auch ziemlich viel Bürokram und Planung auf dem Programm – auch etwas, was in vielen Fällen eine flexible Deadline hat. So kam es, dass ich mich selber immer wieder pushen und motivieren musste, um nicht zu sehr in eine Art Winterstarre zu fallen. Mit unterschiedlichem Erfolg.

Anders ist es seit dem 19. Februar und dem Aufstellen der Fallen für den Rapsstängelrüssler. Ab diesem Moment galt: Ich muss (und will) die optimalen Zeitfenster für die Arbeiten im Ackerbau erwischen. Egal ob Bodenbearbeitung, Saat, Düngung, Pflegearbeiten, Güllen oder Misten: Der Kalender, das Wetter und die Vegetation geben den Takt vor. Seit dem 19. Februar ist der erste Arbeitsschritt an jedem Tag: Die App mit dem Wetterbericht konsultieren. Dann wird entschieden, wie der Tagesplan aussieht.

Ich bin froh, dass das so ist. Es «kribbelet», wenn es draussen auf den Feldern wieder losgeht. Dies, obwohl eigentlich nichts Revolutionäres zu erwarten ist: Der Raps streckt sich, der Weizen beginnt zu schossen, das Gras wächst, die Kartoffeln durchstossen irgendwann die Dämme … und trotzdem geht all das eben mit Frühlingsgefühlen einher.

Jedes Jahr unterscheidet sich ein klein wenig vom Vorjahr, besonders im Ackerbau. Die Böden sind feuchter, die Nährstoffgehalte tiefer, die Bestände dichter, der Schädlingsdruck geringer … Zum Glück ist das so. Wäre es anders – nämlich jedes Jahr genau gleich – wüsste ich nicht, ob da noch Frühlingsgefühle aufkommen würden. Vielleicht eher das Gefühl, dass ich in die Berufsberatung gehen und mich nach einem neuen Job umsehen sollte. 

Ich weiss noch, wie ich als Kind im Fernsehen eine Miss Schweiz Wahl gesehen habe. Eine der Kandidatinnen antwortete damals auf die Frage, was ihr an der Schweiz besonders gut gefalle: «Unsere vier Jahreszeiten.» Ich und meine Brüder lachten uns krumm über diese in unseren Augen dämlichen Antwort. 

Heute sehe ich das anders. Ich war in Ländern, die keine vier Jahreszeiten kennen, sondern nur Regen- und Trockenzeit. Mir gefallen unsere vier Jahreszeiten tatsächlich auch sehr gut. Ich könnte nicht sagen, dass ich eine Lieblings-Jahreszeit hätte. Der Schritt vom Winter zum Frühling bringt für mich aber deutlich die grösste Veränderung. Einerseits, was den Arbeitsalltag betrifft, andererseits aber auch auf emotionaler Ebene. Agronomische Frühlingsgefühle eben. 

Ich werde im Frühling wacher, aufmerksamer, will keinen Moment verpassen. Und wenn es – wie zum Frühlingsbeginn 2021 – lange schön ist, muss gar nicht ums Verrecken jedes Zeitfenster für die Feldarbeit genutzt werden. Es bietet sich dann sogar auch die Gelegenheit, die Felder und Wälder dabei zu beobachten, wie auch sie im Gleichschritt mit mir aus dem Wintermodus erwachen. Und das finde ich – gleich wie die Miss Schweiz Kandidatin damals – einfach nur schön.

 

«Plötzlich Bauer»

Sebastian Hagenbuch ist Landwirt und Agronom. Er bewirtschaftet mit seinen Eltern einen Betrieb mit zwei Standorten im Freiamt AG. Er arbeitet in einem Teilzeitpensum als Redaktor Pflanzenbau für «die grüne».

Hagenbuch begann sich erst spät für die Landwirtschaft zu interessieren. In seiner Kolumne erzählt er von Alltäglichem und Ausser-gewöhnlichem, wechselt ab zwischen Innen- und Aussensicht, immer mit kritischen Blick und einem Augenzwinkern.