Kurz & bündig

- Die benötigte Menge Trockensubstanz (mindestens ein Kilo pro Kalb und Tag in den ersten drei Wochen) muss in der richtigen Flüssigkeitsmenge verabreicht werden. Das sind mindestens acht Liter Vollmilch oder mindestens sechs Liter Vollmilch mit 20 g Ergänzungspulver.
- Wird die Tränke für junge Kälber durch zu viel Ergänzungspulver konzentriert zu stark, führt dies zur Überforderung des Darmes und somit zu Durchfall, Trinkschwäche und letztendlich zu Kümmerern.
- Werden Kälber «gross gehungert», statt ausreichend mit Milch versorgt, können sie später ihr Potenzial an Wachstum und Milchleistung nicht ausschöpfen: Die sog. metabolische Programmierung funktioniert nicht.

Beim Besuch durch den Tierarzt klagt der Landwirt über viele kranke Kälber. Jedes zweite Kalb trinke schlecht und erkranke in der ersten Lebenswoche an Durchfall. Oft kämen später noch Fieber und Lungenentzündung dazu, berichtet er.

Abgänge gäbe es zwar kaum, aber ein Grossteil der Tiere müsse antibiotisch behandelt werden und kümmere trotzdem, erzählt er weiter. Bei der Kotuntersuchung mittels Schnelltest konnten die häufigsten Durchfallerreger bei Kälbern in den ersten Lebenswochen (Rota- und Coronaviren, E.coli-Bakterien und Cryptosporidien) mehrfach nicht nachgewiesen werden.

Der Blick ins Behandlungsjournal bestätigt, dass die gleichen Kälber oft zuerst wegen Durchfall oder Trinkschwäche und später gegen Fieber und Lungenentzündung behandelt wurden.

Beim Gang zu den Kälberboxen zeigt sich folgendes Bild: Es ist kurz vor Mittagszeit, aber viele Kälber wirken leer und hungrig, sie suchen nach einem Nuckel. Ein Kalb zeigt erschwerte Atmung, bei diversen Tieren sind deutliche Durchfallspuren erkennbar. Mehrere Kälber stellen die Haare, wirken müde und wenig aufmerksam. Was ist hier passiert?

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Das Detektivspiel im Kälberstall beginnt mit dem ersten Lebenstag

Die Abklärungen des Tierarztes beginnen beim ersten Lebenstag des Kalbes:

  • Wie und in welcher Menge wird Kolostrum verabreicht? Der Landwirt berichtet, dass er alle Kälber so schnell wie möglich ad libitum mit frischem Kolostrum tränkt. Das übrig gebliebene Kolostrum wird bei der zweiten und dritten Mahlzeit vertränkt.
  • Was wird nach dem Kolostrum vertränkt? Die Kälber erhalten dann zwei Mal täglich zwei Liter Milch, also vier Liter Milch pro Tag.
  • Wie wird diese Milch angeboten? An jedem Kälberböxli kann mittels einer Vorrichtung eine zwei Liter-Nuckelflasche befestigt werden.
  • Wie steht es um die Hygiene der Flaschen und Nuckel? Die Flaschen werden täglich mit Waschmittel der Melkmaschine ausgewaschen und durchgespült.
  • Wird der Milch irgendetwas zugegeben? Ja, ab dem vierten Tag wird den Rationen von je zwei Liter Vollmilch noch zusätzlich circa 130 g Milchpulver (dies entspricht der Menge Milchpulver für einen Liter Wasser) hinzugefügt, um den «Nährstoffgehalt der Ration zu erhöhen», wie der Landwirt sagt. Wasser und Heu stehen immer zur Verfügung.

Warum werden diese Kälber nun also doch krank?

Kuhmilch enthält pro Liter circa 130 g Trockensubstanz (TS). Nach dem oben beschriebenen Verfahren erhalten die Kälber in der ersten Lebenswoche also zwei Mal täglich die TS-Menge von rund 390 g in einem konzentrierten Volumen von zwei Liter Tränke.

Grundsätzlich gilt, dass Kälber von der ersten bis zur dritten Lebenswoche pro Tag mindestens ein Kilogramm TS in Form von Milch oder Milchpulver in Wasser aufnehmen sollten. Bei einem mittleren TS-Gehalt von 130 g pro Liter Vollmilch bedeutet dies eine Tränkemenge von acht Liter Milch pro Tier und Tag. Die Zugabe von hochwertigem Ergänzungspulver ist empfehlenswert, da Vollmilch einen niedrigen Gehalt an Vitaminen und Mineralstoffen aufweist. Wichtig dabei ist, dass in den ersten Lebenswochen die Konzentration (TS-Gehalt) von maximal 150 g pro Liter eingehalten und nicht überschritten wird.

Auch wenn die Kälber Wasser zur freien Verfügung haben, trinken sie in diesem jungen Alter noch nicht genug, um damit die TS-Konzentration im Labmagen entsprechend anzupassen.

Die Verdauung im Labmagen wird dadurch gestört und ungenügend verdaute Bestandteile gelangen in den Darm. Dies kann dazu führen, dass der Körper versucht, die Konzentration im Darm zu verdünnen, indem er Wasser aus dem Körper in den Darm zieht, was in einem sogenannten osmotischen Durchfall resultiert.

Hinzu kommt, dass ein grosser Teil des Immunsystems des Kalbes von der Darmgesundheit abhängig ist. Wenn das junge Kalb nun in den ersten Tagen an Durchfall erkrankt, schwächt dies das Immunsystem und macht es anfällig für andere Erkrankungen wie zum Beispiel Lungenentzündungen.

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Kolostrum für den optimalen Start ins Leben

Die optimale Kolostrumversorgung ist die mit Abstand wichtigste Massnahme zur Immunprophylaxe junger Kälber. Oberstes Ziel einer optimierten Kälberaufzucht ist es, dass jedes Kalb in den ersten vier bis sechs Lebensstunden zwei bis vier Liter sauber ermolkenes Erstgemelk (Kolostrum) einer eutergesunden Kuh aufnimmt.

Dies sollte möglichst sofort nach dem Abkalben noch in der Abkalbebox erfolgen, da der Saugreflex bei spontan geborenen Kälbern 20 bis 30 Minuten nach der Geburt am stärksten ausgeprägt ist. Eine ungenügende Kolostrumversorgung des Kalbes kann nachträglich nicht kompensiert oder ersetzt werden.

Ad libitum-Tränke wegen der metabolischen Programmierung

Die ad libitum-Tränke gilt heute als die optimale Methode, um bereits in den ersten Lebenswochen tägliche Zunahmen von 700 bis 1000 g zu erreichen.

Das Prinzip ist, dass die Kälber – wie in der Mutterkuhhaltung – Milch zur freien Verfügung haben und die metabolische Programmierung ausnützen können. Metabolische Programmierung bedeutet, dass durch die optimale Nährstoffversorgung mit der ad libitum-Tränke in den ersten Lebenswochen viele Zellen in den Organen angelegt oder programmiert werden.

Oder anders gesagt: Der Organismus des Kalbes wird nicht auf «Sparflamme» oder «Hungersnot» programmiert, sondern auf Hochtouren gebracht. Dies hat langfristige Auswirkungen auf die Entwicklung der Organe und die spätere Milchleistung ist höher, weil mehr milchproduzierende Zellen im Kälberalter angelegt bzw. programmiert wurden.

Alternativ kann «semi ad libitum» getränkt werden: Darunter versteht man das Anbieten einer grossen, aber limitierten Menge Milch, z.B. drei Mal täglich je drei bis vier Liter oder zwei Mal täglich je vier bis fünf Liter.

Wie ging es weiter auf dem Betrieb?

Der Landwirt entschied sich aus arbeitswirtschaftlichen Gründen für die «semi ad libitum»-Variante. Er schaffte sich ein Milchtaxi an und stellt seinen Kälbern nun drei Mal täglich drei Liter Vollmilch bzw. Milchpulver in Wasser (125 bis 130 g pro Liter Wasser) zur Verfügung. Durch eine neue Vorrichtung können nun herkömmliche Nuckeleimer befestigt werden, in welchen grössere Tränkemengen Platz finden.

Drei Monate nach der Umstellung auf die «semi ad libitum»-Tränke berichtet der Landwirt, dass die Tiere kaum mehr an Durchfall erkranken und trinkschwache Kälber selten geworden seien. Auch Lungenentzündungen würden deutlich weniger oft auftreten und die Tiere sähen besser aus.

Besonders auffallend und erfreulich sei, dass die Kälber nun vor Energie strotzen und in ihren Boxen herum springen, was sie früher niemals gemacht hätten. Die Kälber hungern also nicht mehr, sondern sind satt und zufrieden.

Aus dem Alltag der KGD-Tierärzte . . .

Fall-Beispiele und Lösungs-Vorschläge aus dem Alltag der Tierärzte des Kälber-Gesundheitsdienst (KGD). In dieser Folge von Helen Huber, Tierärztin beim Schweizer Kälbergesundheitsdienst.