Hinter Rigitrac steckt Sepp Knüsel (63), ein begnadeter Landmaschinen-Entwickler und -Händler aus Küssnacht SZ. Schon früh hat Knüsel eng mit seinen Lieferanten zusammengearbeitet, um deren Produkte zu verbessern. Schliesslich baute er selber Maschinen, insbesondere Bandrechen und Front-Mähwerke.

Mit dem Strukturwandel in der Schweizer Landwirtschaft wurden die Bauern-Betriebe weniger, dafür grösser. Gekauft werden heute weniger Maschinen, die dafür umso grösser und leistungsfähiger sein müssen. Die für Berggebiete lebenswichtigen Eigenschaften wie Wendigkeit und Kipp
sicherheit sollten sie aber behalten.

Zwar importiert Knüsel seit vielen Jahren italienische Mäh-Traktoren von Antonio Carraro. Doch die stiessen bei der Grösse an eine obere Grenze.

Als Sepp Knüsel für sein selbst konstruiertes neues Front-Mähwerk einen grösseren Mäh-Traktor wollte, machte Carraro nicht mit, obwohl sie immer wieder Knüsel-Ideen in ihre Maschinen integriert haben. Für Antonio Carraro lohnt sich die Entwicklung angesichts der zu erwartenden kleinen Stückzahlen nicht.

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Den ersten Rigitrac präsentierte Sepp Knüsel 2003

Das bewog Sepp Knüsel, in Küssnacht SZ selber einen Traktor zu bauen. Denn nur grösser und grösser – wie im amerikanischen Mittleren Westen – geht nicht in der Berg-Landwirtschaft. Am Berg wirken die Kräfte anders auf die Maschinen, als in der flachen Prärie. Und das wird schnell einmal gefährlich. Sepp Knüsel erklärt das, in dem er Dreiecke auf ein Blatt zeichnet, um die Lasten am Traktor zu zeigen.

«Sein» Traktor sollte anders sein als die Standard-Traktoren. 2003 war es soweit, Sepp Knüsel präsentierte den Schweizer Landwirten den ersten Rigitrac. Der Name setzt sich zusammen aus dem alles überragenden Bergmassiv in der Zentralschweiz, der Rigi auf 1800 m ü. M., und dem englischen Begriff für Traktor.

Ein Rigitrac-Traktor verliert nie die Bodenhaftung

In den Jahren vor dem ersten Rigitrac hatten sich die von Sepp Knüsel entwickelten Front-Mähwerke auf dem Schweizer Markt durchgesetzt. Front-Mähwerke belasten die Vorderachse und entlasten die Hinterachse des Traktors. Damit steigt aber die Gefahr, dass die Hinterräder nicht mehr greifen.

Wenn dann plötzlich ein Rad die Bodenhaftung verliert, wird es für den Fahrer gefährlich. Das Risiko lässt sich zwar mit Gegengewichten hinten am Traktor mindern, aber nicht ausschalten. Und das Gesamtgewicht steigt damit wieder an, die Landschäden werden grösser. Und genau das wollte man ja mit modernen Traktoren vermeiden.

Aber die Physik ist unerbittlich. Der Schwerpunkt der Maschine wandert in Schräglage am Steilhang in die Höhe und zur Seite. Die Kräfte wachsen exponentiell mit der Grösse der Maschine – und damit die Zahl der tragischen Unfälle.

«In der Schweiz passierten 2018 zu viele schwere Traktorenunfälle», sagt Sepp Knüsel. Auf den staubigen, ausgedörrten Böden verloren die Traktoren-Räder noch schneller die Traktion.

Das Rigitrac Mittel-Drehgelenk verbindet zwei einzelne Rahmen

Und genau da macht der Rigitrac alles anders: Standard-Traktoren mit grossen Rädern hinten und kleinen Rädern vorne wurden entwickelt, als die Arbeit vor allem hinten am Traktor stattfand. Wenn vorne eine grössere Last ist, braucht es dort auch grössere Räder. Für Mähwerke, Front-Lader und alles andere, was die Front-Zapfwelle antreibt und die Front-Hydraulik anhebt.

Denn die Topografie der Schweizer Berg-Heimetli hat sich nicht verändert. Nur wird das Land dieser Heimetli nicht mehr mit einem Rapid-Einachser bewirtschaftet, sondern mit einem Traktor. Und der kommt sinnvollerweise nicht aus dem amerikanischen Mittleren Westen, wo die Welt flach ist bis hinter den Horizont.

Aus all diesen Gründen hat der 
Rigitrac neben den gleich grossen 
Rädern vorne und hinten auch eine Allrad-Lenkung. Mit dieser kann der Rigitrac praktisch auf seiner eigenen Länge wenden.

Doch das wichtigste Element des Rigitracs ist das Mittel-Drehgelenk. Im Standard-Traktor bilden Motor und Getriebe quasi den Rahmen. Der Rigitrac besteht aus zwei einzelnen Rahmen, die mit dem Mittel-Dreh-gelenk verbunden sind. Der vordere Rahmen trägt Motor und Vorderachse. Der hintere Rahmen trägt die Kabine, das stufenlose hydrostatische Getriebe und die Hinterachse.

Das verändert die Fahreigenschaften des Rigitracs radikal. Die Räder verlieren nie die Haftung, weil sich auf unebenem Terrain der Traktor kontrolliert verdreht, statt dass ein Rad in der Luft hängt.

Bei Tests mit Auffangketten kippte deshalb ein Rigitrac erst bei einer viel steileren Seiten-Neigung als ein Standard-Traktor. Und genau in diesem Schrägen-Bereich liegen viele Grundstücke, die vor zwanzig Jahren von Hand oder mit kleinen Maschinen bewirtschaftet wurden.

Die Konstruktion des Rigitrac führt zu 
einer anderen Lastverteilung

Sepp Knüsels Konstruktion reduziert nicht nur die Unfallgefahr. Sie führt zu einer anderen Geometrie und Lastverteilung innerhalb des Fahrzeugs. Dank dem Mittel-Drehgelenk ist der hintere Rahmen mit Getriebe, Kabine und Hinterachse das Gegengewicht zur vorne angekoppelten Maschine. Ein Buckel unter einem Hinterrad führt nicht mehr dazu, dass sich vorne das Mähwerk in den Boden eingräbt.

Ob hinten oder vorne mit Anbaugeräten gearbeitet wird, ist unwichtig. Die Geräte fahren achsgeführt immer genau in der richtigen Höhe, egal was die Räder am andern Ende des Traktors gerade machen.

Zudem gibt es einen automatischen hydro-pneumatischen Niveau-Ausgleich, der seinen Weg von Citroën-Personenwagen mittlerweile in viele Spezialmaschinen gefunden hat. Damit wird der Traktor unabhängig von der Gewichtsverteilung immer genau in derselben Position gehalten.

Rigitrac ist eine Familiensache mit einem starken Team dahinter

Mit zwei Maschinen-Ingenieuren und einem Elektro-Ingenieur entwickelt Sepp Knüsel seine Rigitrac-Traktoren komplett in Eigenregie. Rund acht Mitarbeiter fertigen die meisten Teile und bauen sie in Küssnacht SZ zusammen: 30 neue Rigitrac-Traktoren fahren dort jedes Jahr aus der Halle.

Das Potenzial für eine Erhöhung der Jahres-Stückzahl ist da. Aber im Vergleich zu den internationalen Landtechnik-Konzernen ist Rigitrac sehr klein. Alleine die SDF-Fabrik im norditalienischen Treviglio produziert 100 Traktoren am Tag. Die Jahres-Produktion von Rigitrac rollt in Treviglio schon vor der Znüni-Pause aus der Halle.

Ob Achsen oder Motoren, Knüsel hat nicht die Mengenrabatte wie andere Firmen, die bei grossen Herstellern Komponenten kaufen. «Deutz fängt erst bei einer Bestellung von mehr als 1000 Motoren an, über den Preis zu verhandeln», sagt er. Aber Sepp Knüsel kauft immer nur dreissig Motoren aufs Mal. Seine Stückzahlen sind so klein, dass er alles über Kleinmengen beziehen muss. Von Anfang an zahlt er für jedes Teil höhere Preise als ein Grosskunde.

Dazu kommt, dass er im Hochlohn-Land Schweiz viele Teile selber herstellt und viele Zulieferer aus der Schweiz berücksichtigt.
«Wir geben unserer Lieferanten 
lange Vorlaufzeiten. Damit können wir zu besseren Konditionen einkaufen und von der hohen Schweizer Qualität profitieren. Uns ist nicht die Gewinn-Optimierung am wichtigsten, sondern die Sicherstellung der Arbeitsplätze in der Schweiz – und für den Kunden das perfekte Produkt», sagt Knüsel.

Sepp Knüsel baut seine 
Rigitrac-Traktoren «für die Ewigkeit»

Und diese Qualität verteidigt Sepp Knüsel fanatisch. Jedes Stahlteil hat eine saubere Facette, nirgends durchsticht eine Braue die Pulverbeschichtung, nirgends gibt es Schweiss-
Spritzer. Was anderswo aus Plastik eingebaut wird, ist am Rigitrac Aluminium.

Ab der Qualität des Rigitracs würde sich jeder Konzern die Haare raufen: alles aufwändiger, alles teurer, alles gebaut für die Ewigkeit. Welcher Hersteller macht das noch? Wenn die Aktionäre darauf drängen, dass alle paar Jahre ein neues Modell verkauft werden muss? Sepp Knüsel will das nicht. Seine Traktoren sollen ewig halten.

Wie lange ewig ist, weiss er aber bis heute nicht. Alle in den letzten 15 Jahren gebauten Traktoren sind noch 
in Betrieb, manche mittlerweile mit mehreren Tausend Betriebsstunden.

Das Familienunternehmen 
Rigitrac kann mit den Grossen mithalten

Trotz der kleinen Serien und der hohen Qualität kann Sepp Knüsel mit den teuren Marktführern aus Europa und Übersee preislich mithalten. Das schafft er mit «Sparen am richtigen Ort»: Es gibt bei Rigitrac in Küssnacht SZ kein grosses Hauptquartier und keinen administrativen Wasserkopf. Trotzdem sagt Sepp Knüsel «Wir freuen uns ab jedem Kunden, der zusätzlich ein anderes Produkt bei uns kauft wie ein Mähwerk oder ein Bandrechen.»

Bei Knüsels arbeitet die ganze Familie mit. Gerade übernimmt die zweite Generation das Steuer: Tochter Theres (31) ist Geschäftsführerin. Unterstützt wird sie von ihren Schwestern Edith (34, Werbung und Personal), Doris (29, Administration) und Ruth (27, Montage). Vater Sepp und Mutter Marlis arbeiten im Hintergrund weiter.

Knüsels Traktoren-Familie umfasst mittlerweile drei Modelle: den kleinen RT75, den mittleren RT95 und ganz neu den grossen RT150 mit 
150 PS. Diese Maschine ist für Lohnunternehmer und Grossbetriebe gedacht, die auch in der Schweiz immer zahlreicher werden. Trotz ihrer Betriebsgrösse haben sie dieselben Probleme mit der Topografie und der 
Sicherheit ihrer Fahrzeuge, wie der Kleinbauer.

Wer einen Rigitrac-Traktor bestellt,
 kann beim Bau zuschauen

Marlis und Sepp Knüsel und ihre Töchter wollen auch weiterhin unabhängig bleiben. Die Kunden schätzen das. Praktisch jeder Landwirt, der einen Rigitrac bestellt, kommt während dem Bau mindestens einmal vorbei, um zu schauen, wie sein Traktor entsteht. Wo gibt es das sonst?

Mit dem Rigitrac RT150 hat Sepp Knüsel aber noch lange nicht «den Traktor fertig erfunden». Sepp Knüsel arbeitet an einem anderen Traktor, der die Zukunft 
der Landwirtschaft vorwegnehmen soll: der Batterie-elektrische Rigitrac SKE50 Electric-Traktor.

Knüsel hat sich genau überlegt, wo das Fahrzeug zum Einsatz kommen soll. Am Anfang sollen das vor allem Kommunen sein. Diese brauchen zuverlässige und sichere Traktoren, die auch früh morgens möglichst leise durch die Wohnquartiere fahren. Lärmreduktion ist heute auch für 
viele Landwirte ein Thema, die von Wohngebieten «umzingelt» werden.

Der Strom kommt von der Solaranlage auf dem Dach

In der Landwirtschaft kann der Rigitrac SKE50 Electric über die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach aufgeladen werden. Das ist nämlich Sepp Knüsels neue grosse Leidenschaft: Solarstrom in Kombination mit Stützbatterien. Auf seinen Werkhallen hat er eine PV-Anlage installiert, die den ganzen Betrieb mit Energie versorgt – wenn nicht gerade jemand stundenlang elektrisch schweisst. Rigitracs werden so grösstenteils mit Solarstrom vom Dach ihrer eigenen Werkhallen gebaut.

Landwirtschaftliche Betriebe können genauso mit Solarstrom arbeiten. Dann fährt der Rigitrac SKE50 Electric als kleinerer «Hof-Traktor», der Heuballen mit dem Frontlader herum wuchtet und kaum je weiter als einen Kilometer vom Hof entfernt ist, komplett mit Strom vom Dach.

Weil der «Hof-Traktor» ohnehin auf dem Hof steht, dient er gleichzeitig als Stützbatterie für alle andern elektrischen Anlagen, die von der Solaranlage betrieben werden. Von der Melkmaschine bis zur Heubelüftung. Auf diese Weise können Landwirte ohne die mittlerweile nicht mehr existierende Förderung durch die kostendeckende Einspeisevergütung KEV Solaranlagen profitabel betreiben.

Dank der Eigenverbrauchs-Regel sind Solaranlagen-Betreiber nicht mehr verpflichtet, ihren Strom ins Netz einzuspeisen. So können sie praktisch den ganzen Strom im Hof verbrauchen und damit auch den Rigitrac SKE50 Electric antreiben.

60 bis 80 Prozent des Energie-Verbrauches auf einem Hof entfallen heute auf den Diesel-Verbrauch der landwirtschaftlichen Maschinen. Da gibt es grosses Spar-Potenzial mit Strom vom Dach.

Rigitrac ist als kleiner Hersteller den Grossen immer einen Schritt voraus

Der Prototyp des neuen Rigitrac SKE50 Electric ist ein voll einsetzbarer Kommunal-Traktor. Für die Serienfahrzeuge werden die Batterien und viele andere Details aber modifiziert und leistungsfähiger konstruiert.

Und immer, wenn Sepp Knüsels Smartphone piept, könnte es eine neue Idee sein. Denn er verfolgt damit nicht die Nachrichten, sondern die Entwicklungen in der Energie- und Elektrotechnik. Grosse Hoffnungen setzt er in die Feststoff-Batterie, die keinen flüssigen Elektrolyten mehr benötigt und damit kompakter, sicherer und vor allem leistungsfähiger wird.

Und dann gibt es noch ein paar Ideen, über die Sepp Knüsel nicht sprechen will. «Das kommt dann noch», sagt er. «Als kleiner Hersteller muss man den Grossen immer mit einer guten Idee voraus sein».