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Frau Claas-Mühlhäuser, welches ist ihre liebste Claas-Maschine?

Cathrina Claas-Mühlhäuser: Trotz aller Zuneigung für unsere Traktoren, Feldhäcklser und die Futterernte-Technik – es ist der grosse Lexion. Claas lebt und atmet Mähdrescher, das ist unser Hintergrund. Mein Vater hat mir ganz, ganz oft erzählt, wie mein Grossvater mit den Strohbindern begonnen hat. Später hielten es alle für verrückt, dass die Ernte in einem Arbeitsgang möglich sein sollte.

Mein Vater ist 1926 geboren, als 1936 der Mäh-Dresch-Binder erschienen ist, hat er das live miterlebt. Für mich hat das nicht nur einen geschichtlichen Charakter, sondern ist mir sehr nahe.

Fahren Sie selber Mähdrescher und Traktor?

Ich kann beides und mache es auf unserem Hof in England auch gerne. Aber ich glaube, ein Lohnunternehmer würde mich eher nicht fahren lassen. (lacht)

Mein Vater ist ja nicht nur Ingenieur, sondern auch Landwirt mit Leib und Seele. Wir hatten deshalb immer einen Hof in der Familie. Mein Vater hat mir beigebracht, dass man Landtechnik immer von der landwirtschaftlichen Seite her denken muss. Natürlich spielt die maschinenbauliche Seite und jetzt die digitale Seite auch eine Rolle.

Aber man muss vom Kunden her denken und dann verstehen, wo das Problem liegt, weil manchmal die Lösung ja ganz anders aussieht. Das versuche ich zu beherzigen in allem, was ich tue. Und es fällt mir immer leichter, je mehr Erfahrung ich auf dem eigenen Hof sammeln darf.

Wie sieht denn Ihr Alltag aus Vorsitzende des Aufsichtsrats von Claas aus?

Das ist schwer zu beschreiben – ein bisschen wie «beschreiben Sie mal Ihr ­Leben». Ich bin nicht Geschäftsführerin, sondern Vorsitzende des Aufsichtsrates und des Gesellschafter-Ausschusses. Das ist ein Vollzeit-Job, wenn ich meinen Job vernünftig machen will. In der Schweiz entspricht das am ehesten einem Verwaltungsratsvorsitz.

Was machen Sie da konkret?

Routine gibt es nicht. Wir haben zwar Sitzungszyklen für beide Gremien, in denen ich den Vorsitz habe. Ich bereite viel vor, aber stärker auf der strategischen Ebene. Das hat sich stark verändert, seit Thomas Böck im Oktober 2019 die Funktion als Vorsitzender der Konzernleitung von Claas übernommen hat. Vorher habe ich viel tiefer auch ins Operative reingeschaut.

Bei allen Spielregeln, die man – klar – im Unternehmen auch braucht, glaube ich ganz klar an Selbstverantwortung als Führungsprinzip. Wir sind in vielen Hinsichten dezentral organisiert.

Ich möchte gerne, dass jeder Mensch das, wofür er verantwortlich ist, auch umsetzt und dafür gerade steht. Das schafft auf der einen Seite Freiheiten, aber eben auch Verantwortlichkeit und Vertrauen. In Summe führt das zu einer guten Zusammenarbeit.

Mein Wunsch ist es, die gewonnene Zeit zu nutzen, um mehr zu Kunden und Vertriebspartnern weltweit zu reisen. Allerdings muss ich in diesem Punkt leider abwarten, wie sich die Covid-19-Pandemie entwickelt.

Wo führen Sie anders als Ihr Vater, der das das Unternehmen ja stark geprägt hat?

Ich hatte fast zwanzig Jahre Zeit, mich darauf vorzubereiten. Ich konnte bei meinem Vater in die Lehre gehen, wenn Sie so wollen. Er hat sehr viel operativer geführt als ich. So habe ich die Rolle auch geerbt damals. Und ich habe alle seine Rücksprachen und Termine mitgemacht. Da er aber fast fünfzig Jahre älter ist als ich, war er schon Ende siebzig, als ich eingestiegen bin. Also ich war 29 und er war 78. Ich hätte mir da gerne noch ein bisschen mehr externe Erfahrungen gewünscht. Aber das ging halt nicht, weil die Mannschaft wollte wissen, wie es weitergeht. Und es hat mir dann auch sehr viel Freude bereitet.

Mein Vater als Vertreter der Kriegsgeneration wurde anders geprägt. Er ist kein sehr hierarchischer Mensch, hat aber schon eine starke Kontrolle ausgeübt. Und er war mit sehr viel Liebe zum Detail unterwegs.

Berücksichtigen muss man auch, dass sich die Unternehmensgrösse stark verändert hat.

Was hat das ausgelöst?

Als ich dazukam, hatten wir gerade den Bereich «Traktor» übernommen. Und die Firma war einfach so gross und so komplex geworden, dass man die Art der Unternehmensführung so, wie mein Vater das gemacht hat, so nicht mehr beibehalten konnte.

Und dazu kam ja auch, dass ich kein Ingenieur bin. Ich bin Betriebswirt und habe sicherlich ein gutes Verständnis von Landwirtschaft und Technik. Und deswegen musste ich mir sowieso einen eigenen Weg suchen, wie ich damit umgehe.

Wie sieht dieser Weg aus?

Bevor ich überhaupt angefangen habe, konnte ich die für Claas wichtigsten Länder bereisen. Mir wurde schnell klar, dass ich zu wenig über die lokalen Anwendungsmöglichkeiten unserer Produkte wusste. Wie sollte ich aber ohne diese Kenntnis strategische Entscheidungen treffen?

Ich musste also erst einmal die Landwirtschaft vor Ort sehen, um zu verstehen, was dort jeweils angebaut wird.

Deswegen weiss ich, was im Mittleren Westen der USA wächst, und ich weiss, was in Ostchina wächst. Ich habe dort Kunden und Händler besucht, unsere Standorte und sehr viele Gespräche geführt. Bei der Gelegenheit konnte ich viel Wissen verdichten, weil ich eben fast überall einmal gewesen bin. Von Kasachstan bis Brasilien, zumindest kurz.

Wie wichtig ist der Schweizer Markt?

Der Schweizer Markt ist einer der anspruchsvollsten der Welt, weil die Ansprüche einfach sehr hoch sind, was Qualität und Leistung angeht. Ausserdem können die Schweizer besonders gut rechnen, glaube ich. (lacht)

Ich persönlich denke, wenn sich ein Produkt diesbezüglich in der Schweiz durchsetzt, dann wird es so hoffentlich überall in Europa der Fall sein.

Sie arbeiten in der Schweiz mit Fenaco zusammen – wieso?

Das ist historisch gewachsen, wir haben ja zuerst mit dem Familienunternehmen Serco zusammengearbeitet.

Serco Landtechnik wurde von Fenaco übernommen. Ich pflege ein gutes, herzliches Verhältnis zu Werner Berger (Vorsitzender der Geschäftsführung Serco) und Martin Keller (Vorsitzender der Fenaco-Geschäftsleitung).

Wir sind sehr glücklich mit unseren Partnern in der Schweiz, denn die Rolle des Vertriebspartners vor Ort ist enorm wichtig und wir respektieren das auch sehr. Für uns ist das lebenswichtig, dass die Vertriebspartner mit uns gemeinsam und mit gemeinsamen Spielregeln und Vereinbarungen selbstständig arbeiten und in Eigenregie erfolgreich sind und den Kunden erfolgreich machen. Darum geht es ja im Grunde.

Was ist die Rolle der Vertriebspartner?

Nur der Vertriebspartner vor Ort kann eine so intensive Verbindung zum Kunden erreichen, wie sie nötig ist, um ihn vor Ort jederzeit bestmöglich zu unterstützen. Unsere Aufgabe als Hersteller ist es, modernste, hochwertige Produkte zu entwickeln und zu produzieren. Wir müssen daran arbeiten, dass wir den besten Ersatzteilservice bieten, dass wir die besten logistischen Prozesse haben und dass wir die am besten ausgebildeten Mitarbeiter haben um all dies zu leisten.

Aber die Arbeit vor Ort und mit dem Endkunden, das ist ganz klar Aufgabe des Vertriebspartners. Je erfolgreicher er diese Rolle ausfüllt, desto wirtschaftlich erfolgreicher wird es dann auch für den Kunden und für uns sein.

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen in der Landwirtschaft?

Tatsächlich in der Umwelt. Allerdings nicht beim CO2-Ausstoss allein, sondern in mangelndem oder veraltetem landwirtschaftlichen Wissen. Da muss ich gedanklich weg aus Deutschland, weg aus Europa, weg aus der Schweiz. Wir haben alle mal in Erdkunde etwas gelernt über Überdüngung, Versalzung und Verwüstung. Erinnern Sie sich noch dran?

Ich habe einiges davon auf meinen Reisen auch live gesehen und glaube, dass das tatsächlich das grosse Thema ist. Das Klima verändert sich ausserdem. Gleichzeitig gibt es Regionen, in denen die Menschen mit moderner landwirtschaftlicher Methodik und Technik mehr herausholen könnten. Und dabei gleichzeitig die Umwelt schützen.

Welche Rolle spielt dabei Digitalisierung?

In der Vergangenheit haben wir Einzelmaschinen optimiert. Dann war der nächste Schritt, eine Koordination zwischen den Maschinen hinzubekommen, also «Machine to Machine». Der nächste Schritt ist das Gesamtsystem, denn im Grunde will der Landwirt als Unternehmer ja alle Arbeiten möglichst gut im Blick behalten.

Unternehmerische Entscheidungen kann ich aber nur treffen, wenn ich Daten habe und analysieren kann. Dazu brauche ich eine Plattform wie Barto. Damit kann ich am Ende des Tages sagen, ich habe tatsächlich eine Kraftstoffeinsparung pro Hektar von x Franken. Oder ich muss an meinen Maschinenkosten pro Hektar arbeiten. Vielleicht habe ich den falschen Traktor? Vielleicht ist der ja sogar zu gross für mich oder ich kann das mit ein bisschen weniger Power machen.

Lässt sich das wirklich in die Praxis umsetzen?

Ich kann es jetzt nur von unserem Betrieb sagen: Unser Betriebsleiter macht das heute schon. Ich sehe da ganz genau, wie viel er pro Hektar ausgibt für was, also für Saatgut, für Dünger, für Kraftstoff.

Ich finde das sehr erhellend und dann habe ich mit dem Betriebsleiter eine andere Diskussion über die Reinvestitionen, als wenn ich das nicht weiss. Sonst kann ich ja quasi nur den Daumen in die Luft strecken und sagen, mein Erfahrungswert ist so ...

Aber bringt das auch für kleine Betriebe etwas?

Viele denken, Digitalisierung ist ja viel zu teuer. Aber eigentlich sind Plattformen wie Barto genau für den, der vielleicht keine Mitarbeiter hat, und sich auf die Hof- und Feldarbeit konzentrieren will. Als Landwirt will ich nach zehn, zwölf Stunden mit der Maschine auf dem Acker nicht abends noch drei weitere Stunden an der Dokumentation arbeiten. In dem Moment, wo ich merke, dass es auch anders geht, nämlich einfach und zuverlässig, werde ich das bestimmt nicht mehr tun.

Wie erkennen Sie bei Claas, welche Maschinen die Landwirte brauchen?

Grundsätzlich bleiben wir bei unserem Leisten und machen das, was wir gut machen, also Mähdrescher, Traktoren und Futterernte-Maschinen. Wir haben keine Pläne, unser Produktportfolio auf, z. B. Bodenbearbeitung auszudehnen. Und da geht es dann vor allem darum, sinnvoll zu planen, also die Maschinengenerationen aneinanderzureihen. Wenn eine neue Generation des Lexion entsteht, dann weiss ich das acht Jahre vorher. Und dann müssen wir vorher definieren, welchen Mehrwert diese Maschine für den Kunden erzielen soll, wie zum Beispiel 25 Prozent mehr Durchsatz-Leistung haben, 10 Prozent Dieseleinsparung oder ein neues Cemos-System zur Selbstoptimierung.

Dieses sogenannte Lastenheft wird sorgfältig vorbereitet und ist immer eine Mischung zwischen Kundenwünschen via Vertrieb und Produktmanagement und Anwendungen, die sich aus neuen Technologien ergeben und quasi neu erfunden werden. Ich sage immer, es ist immer zu wenig Geld und zu wenig Zeit für alles da. Aber wenn das mal irgendwann nicht mehr so wäre, dann haben wir als Firma zu wenig Ideen.

Wieso hat Claas nicht mehrere Marken unter einem Dach?

Man sollte ja annehmen, dass ein Investitionsgut wie die Landmaschine ein sehr nüchternes Produkt ist: Eines bei dem unsere Kunden, die ja Unternehmer sind, nüchtern den Bleistift in die Hand nehmen und rechnen und dann überlegen, was kommt ‹hinten› raus? Und welche Maschine will ich jetzt haben? Und wo habe ich am besten verhandelt?

Was massiv unterschätzt wird, ist die Emotion, die damit verbunden ist. Und ich glaube, dass die Identifikation mit der Marke nur über eine einzige Marke auch tatsächlich darstellbar ist. Für uns als Familie Claas ist das natürlich ganz besonders emotional – unser Name steht schliesslich auf jeder Maschine.

Claas in der Schweiz
In der Schweiz ist Serco Landtechnik der Vertriebspartner für Claas-Maschinen.
Der digitale Hofmanager Barto baut auf dem Claas-Datenmanagementsystem 365FarmNet auf.
2019 konnte Claas 90 neue Traktoren-Zulassungen verzeichnen. Bis Juli 2020 waren es 63 (Juli 2019: kumuliert 65 Traktoren).
Weltweit verkauft Claas pro Jahr rund 6000 Mähdrescher, davon konnten 2019 zehn Neumaschinen und fünf gebrauchte Maschinen in der Schweiz verkauft werden.

Claas
Das Unternehmen mit Hauptsitz im westfälischen Harsewinkel DE ist europäischer Marktführer bei Mähdreschern. Die Weltmarktführerschaft besitzt Claas mit einer weiteren grossen Produktgruppe, den selbstfahrenden Feldhäckslern. Auf Spitzenplätzen in weltweiter Agrartechnik liegt Claas auch mit Traktoren sowie mit landwirtschaftlichen Pressen und Grünland-Erntemaschinen.
Zur Produktpalette gehört ebenfalls modernste landwirtschaftliche Informationstechnologie. Claas beschäftigt über 11'400 Mitarbeiter weltweit und erzielte im Geschäftsjahr 2019 einen Umsatz von 3,8 Mia Euro.

Zur Peron
Cathrina Claas-Mühlhäuser (45) ist seit Oktober 2010 Aufsichtsratsvorsitzende (Verwaltungsrats-Präsidentin) von Claas. Seit April 2020 ist sie ebenfalls Vorsitzende vom Gesellschafter-Auschuss, ihr Vater Helmut Claas ist Ehrenvorsitzender.
Cathrina Claas-Mühlhäuser hat in St. Gallen an der HSG Betriebswirtschaft studiert.
Die britische Harper Adams University hat Cathrina Claas-Mühlhäuser 2018 die Ehrendoktorwürde verliehen, in Anerkennung ihres wesentlichen Beitrages zur internationalen Wirtschaftsentwicklung, insbesondere im Hinblick auf neue Märkte für Landtechnik.
Cathrina Claas-Mülhäuser ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Frankfurt am Main.