Kurz & bündig

- Junglandwirtin Anina Ritler ist auf dem Betrieb «Bürli-Schiirli» in Oberwald VS angestellt.
- Die Ausbildungszeit war nicht immer einfach.
- Einschneidend war die Auflösung des Lehrvertrages auf dem zweiten Lehrbetrieb.
- Und in der Berufsschule musste sie sich immer wieder gegen Sprüche, Vorurteile und Sexismus durchsetzen.
- Als Nächstes nimmt Ritler die BLS und die Meisterprüfung in Angriff.
- Danach will sie einen eigenen Betrieb im Goms führen – vielleicht das «Bürli-Schiirli».

In feinen Linien sind sie auf der Innenseite von Anina Ritlers Oberarm tätowiert: Die Berge aus dem Goms, dem obersten Talabschnitt des Oberwallis.

«Das Goms liegt mir sehr am Herzen und ich möchte auf jeden Fall hier einen Betrieb übernehmen», sagt die junge Landwirtin. Der Erhalt von kleinen und mittleren Familienbetrieben in den Voralpen und Alpen ist ihr ein wichtiges Anliegen. «Ohne diese Betriebe würden die Alpen verbuschen, der Tourismus darunter leiden und die Abwanderung weiter voranschreiten.»

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Nervenkitzel in den Gommer Steilhängen

Anina Ritler liebt die Arbeit mit dem Motormäher und dem Mähtraktor im steilen Gelände. Steile Hänge gibt es im Goms zur Genüge. «Etwas Nervenkitzel gehört dazu», gesteht die junge Landwirtin und grinst. «Nach getaner Arbeit bin ich schon ein bisschen stolz, wenn ich sehe, welch steile Hänge ich gemäht habe.»

Generell sei die Arbeit im Sommer auf dem Betrieb «Bürli-Schiirli» in Oberwald VS stundenmässig weniger streng, weil es weniger Gästebewirtung auf dem Betrieb gäbe. Körperlich sei der Sommer aber anspruchsvoller: das Heuen, die Weidepflege und das Aufräumen von Lawinenfeldern mache einen grossen Teil der Arbeit aus.

Wobei Letzteres überhaupt nicht zu Ritlers Lieblingsarbeit gehört. «Das Räumen der Lawinenfelder zieht sich oft bis in den August», sagt Ritler. Mit dem Traktor und der Seilwinde ziehe sie mit ihrem Chef die Stämme heraus und reche das Lawinenfeld ab. Danach müsse man wieder warten, bis noch mehr Schnee geschmolzen sei. Dann geht die Prozedur wieder von vorne los.

Anina Ritler ist 20 Jahre alt und wuchs in Steg VS auf, aber nicht auf einem Bauernhof. «Nicht einmal ein Haustier hatten wir», scherzt Ritler. Sie verbrachte ihre Freizeit oft auf dem Betrieb «Bürli-Schiirli» von ihrer Gotte Carmen und deren Mann Egon Hischier in Oberwald VS. Auf dem Betrieb «Bürli-Schiirli» begann sie im 2016 die Lehre als Landwirtin.

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100 Gründe, die gegen den Beruf Landwirtin sprechen

Der Berufswunsch von Anina Ritler kam für ihre Eltern sehr unerwartet. «Für ihre einzige Tochter haben sich meine Eltern einen feminineren Beruf vorgestellt», sagt Ritler und lacht, «oder dass ich ans Gymnasium gehe und studiere». Doch das konnte sich die zackige junge Frau nicht vorstellen. Sie musste sich einiges anhören: Es sei schwierig, einen Partner zu finden, körperlich wahnsinnig streng, wenig frei und wenig Verdienst. Deshalb stellten Ritlers Eltern eine Bedingung: Ihre Tochter soll auf anderen Betrieben schnuppern, um einen anderen und hoffentlich realistischeren Einblick in die Landwirtschaft zu erhalten als auf dem Betrieb ihrer Gotte.

Anina Ritler setzte das sofort in die Tat um und trat eine Schnupperwoche auf dem Pfyngut in Susten VS an. Das Pfyngut ist ein grosser Gutsbetrieb mitten im Pfynwald, einem der grössten zusammenhängenden Föhrenwälder der Alpen.

Die Erlebnisse in dieser Schnupperwoche zeigten die Schattenseiten des Berufs in aller Deutlichkeit: «Es herrschte Dauerregen und es war enorm kalt», sagt Ritler und erinnert sich noch genau: Zum ersten Mal musste sie ein Kalb mit einer Lungenentzündung pflegen. Sie erlebte mit, wie ein Tier eingeschläfert und der Kadaver auf die Sammelstelle gebracht wurde. Für die Schülerin «ein «grauenhaftes Erlebnis».

Die Hoffnungen der Eltern, dass sich das Bauern für ihre Tochter nun erledigt hätte, waren von kurzer Dauer. «Ich wusste schon damals, dass es schwierige Phasen im Stall geben kann – und dass die schönen Zeiten in diesem Beruf überwiegen», sagt Ritler. Ihr Entscheid war felsenfest: Landwirtin soll ihr Beruf sein.

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Fehlendes Vertrauen führte zu Lehrabbruch

Drei Jahre später hat Anina Ritler den Landwirt EFZ im Sack und ist festangestellte Mitarbeiterin auf dem Betrieb Hischier. Während der Ausbildung gab es aber immer wieder Stolpersteine, beispielsweise im zweiten Lehrjahr.

Dieses begann Ritler auf dem landwirtschaftlichen Betrieb der Stiftung St. Josef. Das ist ein Alters-, Pflege- und Behindertenheim in Susten VS. Ritler wirkt nachdenklich: «Ich merkte sehr schnell, dass mein Ausbildner wenig Vertrauen in mich hatte.»

«Damals war ich noch nicht so selbstbewusst, das fehlende Vertrauen verunsicherte mich nur noch mehr und mir passierten Missgeschicke, die mir sonst nie passiert wären», erzählt Anina Ritler.

«Innert kürzester Zeit konnte ich kaum noch schlafen und essen.» Und was ihr am meisten Angst machte: Sie ging nicht mehr gerne in den Stall. «Mein damaliger Ausbildner traute mir die Arbeit mit den 50 Milchkühen absolut nicht zu», erzählt Ritler.

Für die damals 17-Jährige waren diese Ereignisse sehr belastend. Nach einem Gespräch zwischen ihr, ihrem Ausbildner und Ritlers Eltern einigten sie sich, das Lehrverhältnis aufzulösen. «Mein Ego war nach dem zweiten Lehrjahr ziemlich angeschlagen», sagt Ritler. Doch der Entscheid, ihre Ausbildung fortzusetzen und abzuschliessen, habe sie nie bereut.

«Die Kühe und das Melken sind ihre grosse Leidenschaft», sagt ihr Chef und Betriebsleiter Egon Hischier. Für ihn war es keine Frage, Anina Ritler für das zweite Lehrjahr sofort wieder einzustellen. Ihr grosses Engagement wurde auf dem «Bürli-Schiirli» dringend gebraucht.

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Langläufer sind die wichtigsten Kunden auf dem «Bürli-Schiirli»

Heute arbeiten Ritler und Hischier Hand in Hand auf dem Betrieb. Beim Melken wechseln sie sich ab: Ritler drei bis vier Tage, dann wieder Hischier. Im Winter herrscht auf dem «Bürli-Schiirli» Hochbetrieb. Durch seine Höhenlage ist das Goms das Langlauf-Eldorado schlechthin.

Das «Bürli-Schiirli» liegt direkt an der Langlaufloipe und ist ein beliebter Ort, um einzukehren. So kommt es, dass Ritler auch mal im Service, in der Backstube oder in der Gastro-Küche anzutreffen ist.

«Es ist hier schon speziell. Unsere Gäste sehen von der Sonnenterrasse direkt auf den Laufhof und auf das Hofareal, wo ich arbeite.» So komme es oft vor, dass sie auf landwirtschaftliche Themen angesprochen werde. «Ich erkläre die Zusammenhänge gerne», sagt Ritler. Etwa, warum man das Kalb der Kuh wegnehmen müsse, oder dass die Blacken-Bekämpfung mit Heisswasser nichts mit «Giftspritzerei» zu tun habe.

Am liebsten sei sie aber bei ihren Kühen oder auf einer Maschine. Letzteres beschränkt sich im Winter auf das Schneefräsen rund um den Betrieb. Ihr Chef Egon Hischier wundert es nicht, dass Anina Ritler sehr maschinenaffin ist: «Sie hat das Handling mit den Maschinen von Grund auf hier auf dem Betrieb gelernt, auch anspruchsvolle Arbeiten in steilem Gelände.»

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Wo fallen die Kosten an? Anina Ritler will es genau wissen

Die Fächer aus dem Kompetenzbereich «Arbeitsumfeld» mochte Ritler in der Berufsschule sehr. Die Vertiefung Milch schätzte sie besonders, weil es da konkrete Lösungsvorschläge für die Praxis gab. Als Beispiel nennt Ritler das ABC des Kuhkomforts. «Davon hätte ich gerne noch mehr gehabt.»

Anina Ritler fand es spannend, mit den Zahlen zu jonglieren, sei es in der Buchhaltung oder beim Berechnen der Maschinenkosten. «Ich finde es wichtig zu wissen, wie teuer mich eine Maschine zu stehen kommt, ob ich sie auslaste oder nicht.» Denn als angehende Betriebsleiterin ist es Ritler ein Anliegen, genau zu wissen, wo die Kosten anfallen: «Vor allem hier im Berggebiet kriegen wir nie eine so grosse Auslastung hin wie im Flachland.»

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Anina Ritler stellte viele Fragen – und eckte damit an

«Ich würde mich als eher fordernde Schülerin bezeichnen», sagt Ritler. Sie wollte es in der Schule jeweils genau wissen und stellte Fragen, wenn für sie etwas unklar war.

Ein Zuckerschlecken war die Berufsschule in Visp nicht. «Ich war oft das Ziel von dummen und verletzenden Sprüchen», sagt Ritler. «Entweder war es, weil ich nicht direkt aus der Landwirtschaft stamme oder es war der Fakt, dass ich eine Frau bin». Das habe sie wirklich schockiert. Unterkriegen liess sie sich aber nicht.

«Ich stellte einen Antrag, die Berufsschule des dritten Lehrjahres am Inforama in Zollikofen zu absolvieren», erzählt Ritler. Sie erhoffte sich dadurch, auch mehr über Ackerbau und Mechanisierung zu lernen. Ihr Antrag wurde aber vom Kanton Wallis abgelehnt. Erst nachdem sie einen Lehrbetrieb im bernischen Ballmoos gefunden hatte, wurde ihr Gesuch bewilligt.

Betriebsspiegel «Bürli-Schiirli»

Carmen und Egon Hischier, Oberwald VS

LN: 41 ha Grünland
Bewirtschaftung: Bio seit 2020
Tierbestand: 20 Milchkühe und 15 Rinder und Kälber
Betriebszweige: Milchproduktion, Direktvermarktung, Gästebewirtung
Arbeitskräfte: Betriebsleiterehepaar, Anina Ritler, im Sommer eine saisonale Arbeitskraft, im Winter zwei Vollzeit und fünf Teilzeit-Angestellte

www.bauernhof-wallis.ch

«Landwirt EFZ reicht mir nicht, um einen Betrieb zu führen»

Um den Anschluss an die Fächer Ackerbau und Mechanisierung zu schaffen, musste Ritler mächtig Gas geben. «Sie sprachen im Unterricht von Dingen, die ich noch nie gehört hatte», sagt Ritler. Am Ende schloss sie die Lehre als eine der Klassenbesten ab.

Trotzdem findet die junge Landwirtin deutliche Worte: «Das EFZ reicht mir nicht aus, um einen Betrieb zu führen.» Klar könne nach der Lehre jeder melken. «Aber einen Betrieb wirtschaftlich führen und die richtigen strategischen Entscheidungen treffen?» Ritler schüttelt den Kopf. «Ich bin überzeugt, dass man jemand an der Seite haben muss, der einem hilft, ansonsten ist man mit seinem Latein ziemlich schnell am Ende.»

Oder man mache eine höhere Ausbildung. Ab Herbst 2020 drückt Anina Ritler wieder die Schulbank. Zuerst die Betriebsleiterschule und anschliessend die Meisterprüfung. Beides will sie am Inforama Rütti absolvieren. Für Ritler macht es absolut Sinn, diese Weiterbildungen jetzt zu machen. Jetzt habe sie mehr Zeit, solange sie noch keinen eigenen Betrieb führe. Und dieses Ziel sieht sie klar vor Augen. Auf die Frage, wo sie sich in zehn Jahren sieht, muss Ritler keine Sekunde überlegen: «Als Betriebsleiterin und mit Familie auf dem Betrieb ‹Bürli-Schiirli›.»

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Erst die Ausbildung – dann der eigene Betrieb

Über eine allfällige Übergabe sprechen Ritler und Hischier offen und ehrlich. «Ich würde ihr den Betrieb sofort übergeben oder als ersten Schritt eine Gemeinschaft bilden», sagt ihr Chef Egon Hischier. Der Betrieb sei genug gross, dass zwei Familien davon leben können.

«Ich kann mir vorstellen, den Betrieb vor der Pension zu übergeben, «doch ich will Anina nicht zu einer voreiligen Entscheidung drängen.» Der 53-jährige würde dann noch mitarbeiten oder er könne sich auch vorstellen, etwas anderes zu machen. Das Ehepaar Hischier hat keine Kinder. Eine konkrete Lösung, wie die junge Landwirtin den Betrieb finanzieren könnte, müssen Hischiers und Ritler noch genau diskutieren.

«Aber weil ich noch so jung bin, haben wir abgemacht, dass ich jetzt zuerst die BLS und den Meister mache», erklärt Ritler. Danach, also in drei Jahren, würden sie besprechen, wie es mit dem Betrieb weitergeht.

Anina Ritler wohnt zusammen mit ihrem Freund Dario Imwinkelried in Obergesteln VS, fünf Autominuten von Oberwald. Er arbeitet als Landwirt auf einem Betrieb in Geschinen VS. Auch er hätte die Möglichkeit, den Betrieb seines Arbeitgebers ausserfamiliär zu übernehmen. «Das macht es nicht einfacher und sorgt immer wieder für Diskussionsstoff», sagt Anina Ritler und schmunzelt, «ein Luxusproblem».

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Anina Ritler hält es nicht lange ohne ihre Arbeit aus

Die junge Landwirtin zieht es im Moment überhaupt nicht in die Ferne. Von ihren vier Wochen Ferien pro Jahr macht sie jeweils eine Woche Strandferien. Zuletzt in Mallorca, heuer will sie nach Kreta gehen. «Und das Traktor-Pulling in Zimmerwald ist auch fix», sagt Ritler. Ansonsten mache sie nur tageweise frei. Sie lacht und gibt zu: «Lange halte ich es ohne die Arbeit auf dem Betrieb sowieso nicht aus.»

Aber für sie stimme das so. Obwohl eine Saison als Pistenfahrzeug-Fahrerin oder ein Alpsommer ihren Reiz hätten, könne sie sich das im Moment überhaupt nicht vorstellen.

In ihrer Freizeit ist sie im Samariterverein und im Jugendverein Obergoms tätig. Sie liest gerne, fährt Ski und hat in diesem Winter ihre erste Skitour unternommen.

Und was wurde aus den Bedenken, die Anina Ritlers Eltern zu Beginn ihrer Lehre hatten? «Das ist schon lange passé», sagt Ritler, «ich denke, meine Eltern sind ziemlich stolz auf mich.»

Nach dem Besuch von «die grüne» gibt es für die junge Landwirtin keine Pause. Beim Verabschieden stehen mindestens 20 langlaufbegeisterte Menschen vor der Beiz des «Bürli-Schiirli» und warten darauf, eingelassen zu werden. Bei einem feinen Stück Kuchen geniessen sie die Aussicht auf den Laufhof und auf die Weiten des Goms.

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