Der Innerrhoder Stefan Müller ist neuer Präsident der Landwirtschaftsdirektoren-Konferenz LDK. Als Regierungsrat und Nebenerwerbs-Landwirt ist Müller ein vielbeschäftigter Mann. Vor dem Interview war er bei Bundesrat Guy Parmelin, danach muss er weiter zur nächsten Sitzung der Landwirtschaftsdirektoren. Trotz Termindruck kommt aber immer wieder der Appenzeller Humor durch.

Herr Müller, eigentlich sind Sie ja gar nicht Landwirtschaftsdirektor von Appenzell Innerrhoden ...

(lachend) Das stimmt. Wir sagen Landeshauptmann – nicht zu verwechseln mit dem Innerrhoder Landammann, dem Präsidenten der Kantonsregierung.

Die Zukunft der Landwirtschaft in Innerrhoden

Appenzell Innerrhoden hat als kleinster Schweizer Kanton nur 16'000 Einwohner und ist flächenmässig fast so klein wie Basel-Stadt. Dafür ist die Landwirtschaftsfläche grösser als in jedem anderen Kanton: 56 Prozent von Innerrhoden. Ist das eine Chance oder ein Handicap?

Das ist kein Handicap, gar nicht. Bei uns hat die Landwirtschaft noch einen grossen Stellenwert. Dass wir mit 1000 Beschäftigten in der Landwirtschaft einen so grossen Anteil der Bevölkerung im primären Wirtschaftssektor haben, ist eine Chance.

Wir zeigen damit, dass die traditionelle Landwirtschaft neben der modernen Industrie/Gewerbe und den modernen Dienstleistungen funktionieren kann.

In Appenzell Innerrhoden gab es 2002 noch 622 Landwirtschaftsbetriebe, heute sind es nur noch 429 Betriebe – ein Verlust von einem Drittel in zwanzig Jahren. Können Sie diesen Strukturwandel aufhalten?

Nein, wir werden leider noch viele Landwirtschaftsbetriebe verlieren. Die Frage ist nur, wie schnell. Diese Entwicklung können wir nicht aufhalten, aber ich gehe davon aus, dass sich die Situation beruhigen wird.

Sie selbst bewirtschaften im Nebenerwerb den Landwirtschaftsbetrieb Ihrer Familie. Ich nehme an, das ist ein typischer Graslandbetrieb?

Unser Graslandbetrieb ist typisch für Innerrhoden, ein klassischer Bergbetrieb in der Bergzone II. Wir halten Mutterkühe, Schafe und Hühner.

Und Sie führen den Betrieb konventionell, mit IP-Suisse oder Bio?

Wir sind ein ÖLN-Betrieb und bei Mutterkuh Schweiz.

Ich frage, weil in Innerrhoden die grüne Knospe von Bio Suisse eher ein Mauerblümchen ist. Nur sieben Prozent der Landwirtschaftsbetriebe werden biologisch bewirtschaftet, drei Mal weniger als im Schweizer Durchschnitt. Dabei wäre doch gerade der Bergkanton Innerrhoden prädestiniert dafür. Zum Vergleich: Graubünden hat fast 70 Prozent Bio-Betriebe, also zehn Mal mehr. Ist das die sprichwörtliche Appenzeller Sturheit? Oder gibt es dafür einen anderen Grund?

(lachend) Da gibt es schon auch einen anderen Grund. Viele Innerrhoder Bauernfamilien nutzen die innere Aufstockung, um ihre bodenabhängigen, kleinflächigen Landwirtschaftsbetriebe zu erhalten. Sie stocken mit Schweinen, Geflügel und Mastkälbern auf.

Für den zweiten Grund ist unser Betrieb ein gutes Beispiel. Wir wirtschaften schon lange biologisch – aber wir haben einen grossen Anteil Dauerweide, die ohne Einzelstockbehandlung von Problempflanzen mit Herbiziden schwierig zu bewirtschaften ist.

Und der Innerrhoder Landwirt ist ein Bauer, der rund um sein Haus Ordnung haben möchte. Deshalb ist der Schritt zu Bio Suisse bei uns ein bisschen grösser als in anderen Kantonen.

Die Landwirtschaftsdirektoren-Konferenz LDK war bisher eher unauffällig

Sie sind seit Juli 2022 Präsident der Konferenz der kantonalen Landwirtschaftsdirektoren LDK. Welche Aufgaben hat dieser Zusammenschluss der Regierungsräte konkret?

Die Landwirtschaftsdirektoren-Konferenz vertritt die Landwirtschaft der Kantone gegenüber dem Bund, sowie den Branchenpartnern innerhalb und ausserhalb der Landwirtschaft. Und natürlich gegenüber den anderen kantonalen Direktorenkonferenzen.

Die LDK regelt den Vollzug der Gesetze in den Kantonen, aber auch die Beratung und  Bildung in der Landwirtschaft. Und natürlich gehört es auch zu den Aufgaben der LDK, die Agrarpolitik weiterzuentwickeln.

Die Landwirtschaftsdirektoren-Konferenz ist damit ein wichtiger Player in der Schweizer Agrarpolitik, auf Regierungsebene und auf Fachebene.

Mein Eindruck ist, dass die LDK das bisher sehr unauffällig gemacht hat.

Ja, das kann sein. Gegen aussen ist die LDK nicht wahnsinnig wahrnehmbar, obwohl im Hintergrund sehr viel läuft. Wir suchen Lösungen mit dem Parlament, mit dem Bundesrat und  der Bundesverwaltung sowie mit den Branchenpartnern. Die Kommunikation gegen aussen war bisher eher zurückhaltend. Vielleicht müsste die LDK wirklich offensiver werden.

Die Kommunikation nach aussen ist das eine, die ins Bundeshaus das andere. Hat die LDK in der Bundesverwaltung und im Bundesrat überhaupt etwas zu melden? Eigentlich erlässt ja der Bund die Gesetze für die Landwirtschaft – und die Kantone müssen sie gehauen wie gestochen umsetzen.

Die Landwirtschaftsdirektoren konnten ihre Position gegenüber Parlament, Verwaltung und Bundesrat stärken. Wir treffen jetzt regelmässig den Wirtschaftsminister – ich war ja gerade vor diesem Interview bei Bundesrat Guy Parmelin. Wir haben aber auch einen intensiven Austausch mit dem Bundesamt für Landwirtschaft BLW und dem Bundesamt für Umwelt Bafu.

Und im Parlament ist die LDK vor allem bei den Ständeräten (als Vertreter der Kantone) absolut ein Begriff und eine wichtige Stimme. Bei wichtigen parlamentarischen Geschäften werden wir zu den Anhörungen in den Kommissionen eingeladen. Da sind wir eine starke Stimme. Man hört sie einfach gegen aussen weniger.

Bei der letzten geplanten Agrar-Reform war die LDK dafür nicht zu überhören. Die AP 22+ von Ex-Bundesrat Schneider-Ammann und Ex-BLW-Direktor Lehmann hat die LDK klar und deutlich abgelehnt.

Da ist ziemlich viel falsch gelaufen. Die Konferenz der Landwirtschaftsdirektoren und die Konferenz der Landwirtschaftsämter KOLAS wurden viel zu wenig in den Prozess dieser Agrar-Reform mit einbezogen. Diese wurde teilweise im BLW im stillen Kämmerlein geschrieben. Das konnte nicht gut gehen.

Wenn ich jetzt aber den neuesten Postulats-Bericht zur zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik anschaue, dann hat Bundesbern schon dazugelernt.

Seither wird vieles aus der AP 22+ abgelöst durch das Verordnungspaket Pa. Iv. 19.475 oder durch den gerade erwähnten Postulats-Bericht.

Die Landwirtschaftspolitik machen immer noch der Bundesrat und das Parlament

Seit 2019 hat die LDK einen neuen Ansprechpartner im Bundesamt für Landwirtschaft. Der neue BLW-Direktor Christian Hofer kommt aus einer Bauernfamilie, hat an der ETH Agronomie studiert und war vorher Leiter des Landwirtschaftsamtes im Kanton Bern. Macht das die Kommunikation besser?

BLW-Direktor Christian Hofer konnte im Landwirtschaftsamt des Kantons Bern Erfahrungen sammeln. Es hilft schon einmal, wenn unser Ansprechpartner beim BLW die Anliegen der Kantone kennt. Und was ich auch merke: Hofer will mit den Kantonen zusammenarbeiten. Es knistert manchmal noch ein bisschen im Gebälk, aber der Wille zum Dialog und zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit ist da.

Und für uns ist wertvoll, dass Hofer aus einer Bauernfamilie kommt und als Agronom ETH viel Know-how mitbringt. Wir müssen uns jetzt nur noch finden. (lacht)

Was es nicht einfacher macht: Als BLW-Direktor führt Christian Hofer über 250 MitarbeiterInnen. Er muss mit diesen nach Lösungen für die Landwirtschaftspolitik suchen.

Also stimmt das Bonmot, dass der BLW-Direktor und der Wirtschaftsminister von ihrem eigenen Bundesamt regiert werden?

(lachend) Das hoffe ich nicht. Darum will ich ja hie und da auch bewusst mit dem Chef selber reden, und das ist Bundesrat Parmelin. Die politische Musik spielt am Schluss nicht im Bundesamt für Landwirtschaft BLW, sondern beim Bundesrat und im Parlament.

Das Interview wurde in Absprache mit Stefan Müller zur besseren Verständlichkeit bearbeitet und gekürzt.