Ab August 2022 verkauft die Migros neben Bio Suisse- und Demeter-Eiern nur noch konventionelle Schweizer Schaleneier, die nach dem IP-Suisse-Standard produziert werden. So weit, so gut.

Für den Mehraufwand erhalten die Schweizer Eier-Produzent von der Migros einen Mehrpreis, über den sich die Migros noch ausschweigt. Der Verkaufspreis im Laden bleibe aber gleich, die Migros werde diese Mehrkosten übernehmen. Auch das wäre so weit, so gut.

Ein interessantes Detail haben dabei aber viele übersehen: Die IP-Suisse übernimmt nämlich – notabene ohne Rücksprache mit den Produzenten – den strengeren Migros-Tierwohl-Standard:

  • mehr Auslauf pro Henne
  • eine «attraktiv strukturierte» Weide mit 80 Prozent intakter und geschlossener Grasnarbe
  • mehr Sitzfläche und Sandbäder, Schutz- und Schattenflächen

Mit einer Frist bis Ende 2023 gilt der Migros-Tierwohl-Standard auch für IP-Suisse-Produzenten ausserhalb des Migros-Kanals. «Unser Migros-Tierwohl-Standard ist nun in der ganzen Schweiz die Messlatte für IP-Suisse-Eier», schreibt der Detailhandels-Konzern mit 29 Milliarden Franken Umsatz selbstbewusst in seiner Migros-Medienmitteilung. 

Es ist ja nicht so, dass Migros (und Konkurrent Coop mit sogar 32 Milliarden Franken Umsatz) zum ersten Mal in der Schweizer Agrarpolitik mitreden. Das hier hat aber eine ganz neue Qualität: Migros bestimmt damit zum ersten Mal de jure die «Spielregeln» von IP-Suisse und de facto des ganzen Schweizer Eier-Marktes.

Wenn das geht – und offensichtlich geht es – dann könnte man auf die Idee kommen, dass die beiden Detailhändler umgekehrt auch die «Spielregeln» für die Konsumenten bestimmen könnten.

Migros und Coop könnten keine billigen Agrarprodukte aus dem Ausland mehr importieren, mit dem sie die Schweizer Agrarprodukte konkurrieren, die nach höchsten Tierwohl-Standards produziert werden und damit naturgemäss teurer sind. Und gleichzeitig könnten die Detailhändler von den Konsumenten einen angemessenen Preis für Schweizer Agrarprodukte verlangen und die Mehreinnahmen an unsere Landwirte weitergeben.

Das wäre nur zum Besten für unsere Gesellschaft und unsere Landwirtschaft. So würde zum Beispiel der jährliche Pro-Kopf-Fleischkonsum der Schweizer von ungesunden 51 kg auf ein gesundes Mass zurückgehen, weil das Schweizer Fleisch ökonomisch und ideell wieder den Wert hätte, den es verdient.

Die inländische Fleischproduktion würde mit einer Erhöhung der Fleischpreise sicher auch zurückgehen, dafür könnten die Landwirte ihre Mehreinnahmen in das von den Konsumenten gewünschte Tierwohl investieren. Es wäre eine Win-Win-Win-Situation für alle Beteiligten.

Um den Juristen und Lobbyisten von Migros und Coop gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Solche Import-Vorschriften wären auch WTO-konform, wenn die importierten Produkte der «öffentlichen Moral» der Schweiz widersprechen. Und was bei Gänseleber aus Stopfmast funktioniert, geht auch mit Import-Geflügelfleisch (37'500 t/Jahr) oder Import-Rindfleisch (23'600 t/Jahr), das auf Kosten des Tierwohls produziert wurde.

Ich gebe zu, das tönt nicht nur revolutionär – das wäre auch revolutionär. Aber wenn Migros und Coop schon Politik machen wollen, dann sollen sie das gefälligst nicht auf Kosten der Schweizer Landwirte tun, sondern die Last auf die ganze Gesellschaft verteilen. Schliesslich profitieren auch alle davon.

Was meinen Sie? Gehe ich mit meinem Gedankenspiel zu weit?