Mutterkuhhaltung war in den 1960er-Jahren in der Schweiz eine Alternative zur Überproduktion in der Milchwirtschaft. Und heute? Wir stellen Franziska Schawalder von Mutterkuh Schweiz 17 kritische Fragen, die man im «AgrarPodcast» (siehe oben) auch hören kann:

1. Die Milch-Krise hält an: Ist der Umstieg auf Mutterkuhhaltung noch zu empfehlen oder fehlt es hier auch an der Nachfrage?

Der Umstieg auf Mutterkuhhaltung ist unverändert interessant. Die Marktnachfrage ist da und wir suchen Betriebe im Grünlandgebiet und Betriebsleiter mit Freude an Kühen und Kälbern.

2. Erträgt der Markt noch weitere Umsteiger oder kommen so die Preise weiter unter Druck und die bisherigen Produzenten leiden?

Beim Natura-Veal suchen wir mit Hochdruck neue Betriebe. Bisher ist es gelungen, die Preise stabil zu halten, und Mutterkuh Schweiz setzt alles daran, dass das in Zukunft so bleibt.

3. Wieso wird nicht häufiger auf Natura-Veal gesetzt (besserer Absatz und bessere Preise)?

Das Label Natura-Veal wurde vor elf Jahren lanciert. Die Mengenentwicklung mit Wachstums-Steigerungen von 1500 Tieren pro Jahr ist positiv, aber wir haben noch Ausbaubedarf. Seit September 2019 sind neue Betriebe nur für die Natura-Veal Produktion anerkannt. Wir werden sicher neue Produzenten gewinnen. Mehr und mehr liefern bisherige Natura-Beef-Betriebe einzelne Natura-Veal-Tiere.

Zwischenzeitlich ist die neue Produktionstechnik gut erprobt, aber Natura-Veal verlangt einen höheren Arbeitsaufwand. Vor allem, wenn mit Zusatzkälbern gearbeitet wird. Für Natura-Veal ist die Frühreife entscheidend. Mit dem Zuchtwert für die Fettabdeckung ist väterlicherseits eine wichtige Hilfestellung vorhanden.

Die wirtschaftlichen Zahlen sind dem Natura-Beef ebenbürtig und die beiden Produkte ergänzen sich gut. Mutterkuh Schweiz muss die Mengenansprüche sowohl für Natura-Beef wie auch für Natura-Veal erfüllen.

4. Muss man als Mutterkuhhalter Direktvermarktung in sein Konzept einbeziehen, damit man genügend Wertschöpfung erzielen kann?

Die Direktvermarktung ist für die Mutterkuhhalter eine grosse Chance. Die Kuh-Kalb-Bilder prägen sich bei den Konsumenten ein. Bei der Direktvermarktung müssen aber viele Leistungen selbst erbracht werden, um die Wertschöpfung zu steigern. Und das verlangt einen grösseren Arbeitsaufwand. Das verkaufstechnische Geschick kommt dazu. Ob sich die Direktvermarktung effektiv lohnt, hängt somit stark von der Arbeits-Situation und Motivations-Situation ab.

Da die Labels von Mutterkuh Schweiz bei Konsumierenden bekannt und beliebt sind, kann mittels Direktvermarktung ein guter Stundenlohn erwirtschaftet werden. Dank den auf hohem Niveau stabilen Marktpreisen von Natura-Veal und Natura-Beef erzielt die Mutterkuhhaltung aber auch ohne Direktvermarktung eine gute Wertschöpfung.

5. Gelingt es am Markt, den nötigen Preis für den Mehrwert der artgerechten Mutterkuhhaltung zu erzielen?

Ja. Die Programme von Mutterkuh Schweiz sind durchlässig. Somit kann der Absatz gesteuert und eine latente Über- oder Unterproduktionen verhindert werden. Eine weitere Massnahme ist, dass bis auf Weiteres keine Produktionsbetriebe für Natura-Beef und Natura-Beef-Bio zugelassen werden. Das erlaubt, die Menge an Natura-Beef-Fleisch zu produzieren, die abgesetzt wird. Somit hält sich der Preis stabil.

6. Ist es nicht unverantwortlich, im produktiven Mittelland auf extensive Mutterkuhhaltung zu setzen, wenn mit einer anderen Produktionsform deutlich mehr Nahrungsmittel hergestellt werden könnten?

Die Mutterkühe halten dort Einzug, wo vorher Milchkühe gehalten wurden. Wir stellen eine klare Lokalisierung in Grünlandregionen fest. Es gibt aber auch Betriebe, die im Ackerbaugebiet erfolgreich Mutterkühe halten. Ihnen gelingt es, die Fruchtfolge und die Fütterung so zu wählen, dass die Flächennutzung optimal ist. Auch auf Ackerbaubetrieben gibt es Grünflächen, und es fällt Raufutter an. Mutterkuh Schweiz vertritt aber klar die Haltung, dass die Nahrungsmittelkonkurrenz beachtet werden muss.

7. Lohnt sich die Umstellung auf Mutterkuhhaltung nur, wenn bestehende Infrastruktur günstig umgenutzt werden kann?

Bestehende Infrastrukturen nutzen zu können ist eine Idealsituation. Aber auch Betriebe, die neu bauen, kommen zu guten Lösungen. Es ist wie bei vielem: Wer das Vorhaben frühzeitig angeht und damit die Bauplanung, das Bewilligungsverfahren, die Finanzierung und die Eigenleistung in Ruhe abklären kann, der spart Geld und hat das bessere Resultat.

Grundsätzlich ist es aber schon so, dass für Mutterkühe keine teuren Ställe gebaut werden können. Kaltställe sind günstiger und auch für die Tiergesundheit ideal. Das Stallsystem ist auch immer in Kombination mit den übrigen Betriebszweigen zu sehen, zum Beispiel, wenn viel Stroh aus dem Ackerbau anfällt.

8. Was tun Landwirte, die auf Mutterkuhhaltung umgestellt haben und nicht zufrieden sind? Steigen sie ganz aus der Tierhaltung aus?

Die Umstellung auf die Mutterkuhhaltung erfordert Planung bezüglich Vermarktung, Stallungen, Fütterung, Genetik, Management und Finanzen. Mutterkuh Schweiz bietet dazu eine Beratung an.

Dem allergrössten Teil der Betriebe gelingt eine erfolgreiche Umstellung. Bei Misserfolgen stellen wir oft fest, dass die Mutterkuhhaltung als letzte Hoffnung gewählt worden ist und die Erfolgschancen schon zum vornherein beschränkt waren.

9. Gibt es Landwirte, die von Mutterkuh- auf Milchkuhhaltung wechseln?

Das kann es geben und das stört uns auch nicht.

10. Können Grossraubtiere wie Wolf und Luchs auch für Mutterkuhherden zu einem Problem werden?

Die starke Zunahme der Wolfspopulation ist ein Problem für die Mutterkuhhaltung. Der Kontakt mit Grossraubtieren kann Auswirkungen auf das Verhalten der Herde haben (Tiere sind verängstigt, können aggressiv reagieren). Dies kann zu gefährlichen Situationen für die Landwirte und Hirten, aber auch für Wanderer führen.

Hier gibt es eine rechtliche Unsicherheit. In Art. 56 des OR ist geregelt, dass ein Tierhalter für Schäden haftet, die ein Tier anrichtet, wenn er nicht nachweisen kann, dass er seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen ist. Die Mutterkuhhalter fürchten sich vor juristischen und finanziellen Konsequenzen, falls es infolge Grossraubtier-Kontakt zu einem Unfall mit verletzten Personen kommt.

Es kommt auch immer wieder zu Rissen von Kälbern. Videoaufnahmen vom letzten Sommer im Waadtländer Jura zeigen, dass sich die Wölfe für ihre Angriffe nicht nur junge Kälber aussuchen. Dort erfolgte ein Angriff auf ein sechs Monate altes Kalb. Nur dank der entschiedenen Gegenwehr der Kühe ist das Kalb nicht ernsthaft verletzt worden. Weil bei einem Angriff häufig junge Kälber betroffen sind, werden gewisse Forderungen laut, Abkalbungen auf Weiden zu verbieten. Dagegen wehrt sich Mutterkuh Schweiz entschieden.

11. Profitieren andere Rindfleischproduzenten (z.B. Grossviehmast) indirekt von der Mutterkuhhaltung, weil diese zu einem positiven Image von Rindfleisch generell beiträgt?

Mutterkuh Schweiz ist klar der Auffassung, dass die Vorzüge der Mutterkuhhaltung, ihre augenfällige Qualität der Produktion und die ausgezeichnete Qualität der Produkte für die gesamte Landwirtschaft eine Leuchtturm-Funktion haben.

12. Was raten Sie einem Landwirt mit einer Milchvieh-Herde von 25 Holstein-Tieren, der aus arbeitswirtschaftlichen Gründen auf Mutterkuhhaltung umstellen möchte?

Unsere Berater fragen die Landwirte und Landwirtinnen zuerst, wo sie und ihre Familie heute stehen und wie ihr Ziel aussieht. Und selbstverständlich nehmen sie eine Beurteilung des Betriebes vor. Auch Mutterkühe verlangen Überwachung, Pflege und Fachkenntnisse, das wird teilweise unterschätzt.

Wir stellen fest, dass geschickte Milchviehhalter auch gute Mutterkuhhalter werden. Im genannten Fall ist die Umstellungsplanung wichtig:

  • Welche Produktionsrichtung wird bevorzugt?
  • Bis wann können die Umbauten gemacht werden?
  • Wann ist der beste Zeitpunkt für den Tierwechsel?

Mit Natura-Veal bietet Mutterkuh Schweiz eine ideale Produktion für Mutterkuhhalter an.

13. Wird der Frage nach dem Absatz bei der Umstellung zu wenig Gewicht gegeben?

Wir denken nicht. Die Berater von Mutterkuh Schweiz erklären Interessierten die Vorzüge der verschiedenen Produkte und Absatzkanäle. Wichtig ist aber, dass die Abklärungen frühzeitig gestartet werden. Zeit spart Geld.

14. Was sind die häufigsten Gründe für eine Umstellung auf Mutterkuhhaltung?

Wir stellen unterschiedliche Gründe fest, die wichtigsten Gründe sind:

  • Tiefer Milchpreis und keine Aussicht auf Besserung
  • Arbeitsüberlastung
  • Keine Freizeit (die junge Generation will nicht 365 Tage im Jahr an den Betrieb gebunden sein)
  • Stallungen müssen saniert werden
  • Flächennutzung soll extensiviert werden

15. Macht ihnen die Diskussion um Fleischersatz-Produkte Sorgen?

Sorgen machen wir uns nicht. Wir beobachten aber die Diskussion. Wenn wir an unseren Werten in Bezug auf Tierwohl, Ökologie, Produktequalität und Fairtrade festhalten, werden wir profitieren.

16. Gerade bei der Mutterkuhhaltung ist das Verladen von nicht so zahmen Tiere ein Stressfaktor. Könnte sich hier die Hofschlachtung grossflächiger durchsetzen?

Die meisten Betriebe haben die Herdenführung im Griff, diese umfasst weit mehr als nur das Verladen. Gute Installationen sind ein Muss und das Handling ist geübt. Mutterkuh Schweiz wiegt nicht zwischen den verschiedenen Schlachtmethoden ab. Entscheidend ist die Prozessqualität, nicht der Weg.

17. Hat Natura-Beef das Potenzial, sich auch in der Gastronomie mehr Marktanteile zu erobern?

Der Anteil an Fleisch aus Mutterkuhhaltung in der Gastronomie ist noch klein. Im letzten Jahr konnten rund 6000 Tiere in diesen Zweig geliefert werden. Die Corona-Pandemie verursacht einen Rückschlag.

Die Perspektiven sind aber gut, hier liegt ein Zukunftsfeld. Gesellschaftlich zeichnet sich ab, dass die Ernährung immer wichtiger wird. Die Erwartungen der Konsumenten an die Lebensmittel verändern sich. Das Tierwohl und die Methoden, wie Nahrung produziert wird, erhält mehr Gewicht.