Die Beziehungen zwischen Katze und Mensch werden viel enger und freundschaftlicher, als sie es zwischen zwei Katzen jemals sein könnten, hielt der Verhaltensforscher Paul Leyhausen fest. Woher diese Anschlussfähigkeit und Zuneigung an den Menschen bei einem Tier kommt, das in Freiheit seine Artgenossen ausserhalb der Paarungszeit meidet, ja manchmal sogar bekämpft, war auch für diesen mittlerweile verstorbenen Katzenkenner nur schwer erklärbar. Eine mögliche Begründung schien ihm, dass Menschen bei Katzen kindliche Triebe neu beleben können. Feststeht jedenfalls, dass sich dieses enge Miteinander bereits vor über 9000 Jahren herausgebildet hat. Katzen begleiten uns Zweibeiner tatsächlich seit der Jungsteinzeit.

«Die Katzen haben sich selber domestiziert.»

Der Zusammenschluss von Mensch und Katze nahm mit der einsetzenden Sesshaftigkeit und dem Beginn von Ackerbau und Viehzucht seinen Anfang. Solange nämlich die Menschen noch keine grossen Nahrungsmittelvorräte wie beispielsweise Getreidespeicher anlegten, worin sich zahlreiche Mäuse und Ratten tummelten, gab es keinen Grund, Katzen zu halten respektive sie zu domestizieren. Wobei, wer hat hier genau wen domestiziert, also unterworfen und in seine Abhängigkeit gebracht? Tatsächlich waren es die Katzen, die den ersten Schritt zum Menschen gemacht haben. Im Nahen Osten passierte es wohl zuerst, dass sich Katzen in menschliche Siedlungen schlichen, weil ihnen in den Vorratskammern viele Beutetiere, aber auch Wärme und Behaglichkeit geboten wurden.

Die Menschen fanden diese Besuche positiv, weil die Katzen so Mäuse eliminierten, und förderten dieses Verhalten mit Milchschalen, die sie den Katzen darboten, um sie anzulocken. «Die Katzen haben sich selber domestiziert, wobei bei einem so freiheitsliebenden und selbstständigen Tier kaum von Unterwerfung gesprochen werden kann», sagt Dennis Turner. Der gebürtige Amerikaner, der seit Jahrzehnten in der Schweiz lebt, kann als weltweit renommiertester Forscher zum Verhalten von Katzen sowie der Beziehung zwischen Menschen und Katzen bezeichnet werden. Turner dozierte an der Universität Zürich und der Azabu-Universität in Japan. Nach wie vor ist er sehr gefragt als Berater und Gutachter für Fragen rund um Katzen und betreut internationale Forschungsprojekte.

Verehrte Hausgenossen

Dass Menschen schon vor Tausenden von Jahren eine enge Bindung zu Katzen pflegten, die weit über deren Nutzung als Kammerjäger hinaus ging, beweisen Katzenskelette, die sich in unmittelbarer Nähe zu menschlichen Grabstätten befanden. Auf der Insel Zypern wurden bei einer Ausgrabung über 9000 Jahre alte Überreste von einer Katze neben menschlichen Gebeinen gefunden. Es ist jedoch schwierig festzustellen, ob es sich dabei bereits um eine Hauskatze oder eine noch halbwilde Katze handelte. Auch bei Fundstätten aus dem alten Ägypten wurden menschliche Skelette entdeckt, an deren Füssen eine Katze begraben war.

Zusammen mit den bildlichen Darstellungen von Katzen in Interaktion mit Menschen steht fest, dass diese Tiere im alten Ägypten geschätzte Mitglieder des Haushalts waren und nicht etwa nur vorübergehende Besucher. Weitere Textfunde und Abbildungen belegen, dass der Status der Katzen bei den alten Ägyptern sogar weit über den eines blossen Haustieres hinaus ging. Katzen genossen göttliche Verehrung und wurden mit dem Sonnengott Ra gleichgesetzt. Dessen Tochter, die Mondgöttin Bastet, wurde in Katzengestalt dargestellt.

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In den vergangenen Jahrhunderten wurden Katzen nicht nur im Haus oder der Vorratskammer geschätzt, sondern auch auf Transportschiffen, in Theatern und Fabriken, um dort Mäuse und Ratten davon abzuhalten, Nahrungsmittel, Kleidung oder Gerätschaften anzuknabbern. Erhard Oser schildert in seiner Publikation «Katze und Mensch. Die Geschichte einer Beziehung» anekdotenhaft, dass in den meisten englischen Postbüros Katzen gehalten wurden, die Mäuse daran hindern mussten, in Postsäcken zu nisten; wie der schwarze Kater des Theaters Berlin seinen Tätigkeitsbereich hinter der Kulisse ab und an frech verliess, um während einer Vorstellung über die Bühne zu spazieren. Oder, dass Henry Ford die Katzen im Polster- und Lederlager der Ford Company auch deshalb schätzte, weil ihr Schnurren sehr ähnlich wie das Surren von Ford-Motoren klang.

Stimmungsaufheller

Heutzutage werden Katzen zwar nicht mehr religiös verehrt und ausser auf Bauernhöfen müssen sie sich ihr Fressen kaum mehr selber beschaffen. Die Faszination, die sie auf uns moderne Menschen ausüben, ist jedoch ungebrochen. Doch welche Merkmale und Verhaltensweisen sind es, die uns an diesen Tieren derart gefallen? Katzen gelten als irrational, eigenwillig, unabhängig, ursprünglich, ruhig, elegant, reinlich und verschmust.

All dies seien Merkmale, die der Mensch schätzt, ja sogar bewundert, sagt Dennis Turner. Dazu kommt, dass Katzen erst seit rund 200 Jahren, also einer relativ kurzen Zeit gezüchtet werden und dies vor allem nach ihrem Aussehen, weniger nach dem Verhalten. So haben sie sich immer noch eine Ursprünglichkeit bewahrt. Katzen bringen ein Stück Natur in die eigene Stube. «Viele Menschen bewundern, wie sich Katzen einfach nehmen, was sie wollen, und sich nicht einfach in ein Schema pressen lassen», ergänzt Elisabeth Frick Tanner. Die Psychotherapeutin aus St. Gallen befasst sich mit der Wirkung von Tieren, im Besonderen auch Katzen, auf den Menschen und bezieht sie in ihre Therapie mit ein.

«Katzen wirken beruhigend und zugleich aktivierend auf Menschen.»

Therapeutische Interventionen mit diesen selbst-bestimmten Vierbeinern – wie dies funktionieren kann, ist schwer verständlich. «Wenn sie wollen, dann sind die Katzen dabei, und wenn nicht, dann entfernen sie sich. Mit Katzen ist keine gezielte Methode anwendbar, sie werden therapiebegleitend eingesetzt.» Katzenlehren Empathie und Respekt und ihre blosse Anwesenheit – dass die Patienten sie streicheln, füttern und auch mit ihnen spielen können – hat eine sehr positive Wirkung. Menschen können nämlich über den Kontakt mit Katzen Entspannung finden.

Ihr Schnurren beruhigt uns und durch ihre wunderbar verspielte Art lösen Katzen Begeisterung und Freude aus. «Die Vierbeiner wirken beruhigend und zugleich aktivierend. Es ist diese Widersprüchlichkeit, in der sich der Mensch ganz gut wiederfinden kann», so Elisabeth Frick Tanner. Eine Masterarbeit, die Dennis Turner betreute, vermochte aufzuzeigen, wie die Interaktion mit einer Katze negative Stimmungen deutlich anheben kann. Auffällig war dabei, dass die Stimmungsbereiche von Frauen stärker beeinflusst wurden als diejenigen von Männern.

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Gleichberechtigte Partner

Tatsächlich ist es so, dass Katzen zu Frauen einen engeren Draht haben. Auch um diesem Phänomen auf die Spur zu kommen, hat Turner eine Studie durchgeführt, an der Männer, Frauen, Jungen und Mädchen sowie 30 Katzen beteiligt waren. In der ersten Versuchsanordnung mussten die Menschen fünf Minuten lang lesen und durften sich nicht um die anwesende Katze kümmern. Da waren keinerlei Präferenzen von männlichen oder weiblichen Personen sichtbar. In der zweiten Versuchsanordnung waren nun Interaktionen mit der Katze erlaubt. Unterschiede konnten in erster Linie im menschlichen Verhalten festgehalten werden. Denn Frauen begaben sich viel eher auf die Ebene der Katze, während Männer auf dem Stuhl sitzen blieben. Frauen redeten häufiger mit den Katzen und in einer höheren Tonlage. Dies scheint den Katzen zu gefallen, weshalb sie eher die Nähe zu Frauen suchen und mit ihnen schwatzen. Dennis Turner gibt jedoch Entwarnung für alle männlichen Katzenfreunde: «Es ist durchaus möglich, dass Katzen auch mit Männern sehr enge Beziehungen pflegen.»

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Gar zu eng sollte diese Beziehung aber doch nicht sein und die Katze nicht in den Status eines humanen Partners gehoben werden, wird doch vor Vermenschlichung von Tieren gemeinhin abgeraten. Doch Dennis Turner winkt ab. Menschliche Gedanken in ein Tier projizieren zu können, erlaube es uns erst, wissenschaftliche Untersuchungen zu machen. Vermenschlichung sei nur ein Problem, wenn dabei die Würde des Tieres verletzt wird, etwa indem man es verkleidet. Und ein Katzenhalter müsse sich jeweils darüber bewusst sein, wenn eine Vermenschlichung stattfindet. Der Grossteil der Befragten einer Studie Turners gab an, sie seien der Meinung, dass Tiere die gleichen Gefühle, Emotionen und Denkfähigkeit wie Menschen haben. Und schliesslich sind wir Menschen ja selber darauf selektioniert zu vermenschlichen, also sich in ein Tier hineindenken zu können. Auf der Jagd mussten schon unsere Vorfahren Reaktionen der Tiere voraussagen.

«Katzen wie auch Hunde sollen als Partner gesehen werden. Und ihre Eigenständigkeit muss unbedingt respektiert werden», appelliert Turner. Wir Menschen geben Katzen Futter, ein Heim und Zuneigung und sie geben uns das Gefühl von Freude, Gelassenheit und Fürsorglichkeit. Das Verhältnis beruht also auf Gegenseitigkeit. Während des Kindesalters von Katzen gibt es eine sensible Phase für die Sozialisation mit den Menschen, zwischen der zweiten und siebten Lebenswoche. Haben Kätzchen dann viel Kontakt mit Zweibeinern, entwickeln sie einen positiven Bezug zu ihnen und können sich auch an wechselnde Bezugspersonen gewöhnen. Falls aber der Kontakt mit Menschen später stattfindet, wird der Aufbau von Vertrauen langwierig. Es ist aber möglich, dass auch solche Katzen noch gut Vertrauen zu Menschen fassen und enge Beziehungen eingehen.

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Doch ist es auch vertretbar, über die Beziehungspflege hinaus zu gehen und die eigenständigen Hausgenossen auf ein bestimmtes Verhalten zu trainieren? Mit der richtigen Methode könne Katzen durchaus etwas beigebracht werden, so Turner. Sie lernen gut durch Beobachten. Das zeigt sich beispielsweise am Betätigen einer Türfalle. Nachdem eine Katze das beim Menschen gesehen hat, kann sie es nachahmen. Auch positive Verstärkung funktioniere gut, um Katzen etwas beizubringen. Solange die Tiere nicht zu etwas Wider-natürlichem gezwungen werden, sei nichts dagegen einzuwenden, so der Katzenkenner. Wer selbst schon Trainingsversuche gewagt hat, weiss jedoch genau: Ist die Katzen nicht motiviert, dann passiert gar nichts. Da ist es manchmal schwierig, den richtigen Moment zu erwischen, hierin liegt die grösste Herausforderung.

Verhexte und verteufelte KatzenNicht immer wurden Katzen verehrt und verhätschelt. Vor allem schwarze Katzen hatten im Mittelalter ein schweres Los. Sie mussten Qualen ertragen und wurden zuhauf getötet. Doch wieso waren sie in Ungnade gefallen? In vielen heidnischen Ritualen spielten Katzen eine Rolle, weshalb sie nun von den Christen als Gesandte Satans verschrien wurden. Alle Christen wurden auf-gefordert, diesen verachteten Tieren so viel Leid und Schmerzen zuzufügen wie möglich. An christlichen Feiertagen wurden Katzen bei lebendigem Leibe verbrannt und von Kirchtürmen geworfen. Schwarze Katzen wurden als Inkarnation des Teufels angesehen, der folgendermassen beschrieben wurde: Eine ungewöhnlich grosse schwarze Katze mit Augen wie Feuerflammen und einer langen herausgestreckten Zunge. Noch zu Beginn der Neuzeit mussten unzählige Katzen ihr Leben lassen, weil sie als Begleiter von Hexen auf dem Scheiterhaufen landeten. Katzen wurde nachgesagt, sie seien in Tierform verwandelte Hexen, oder sie wurden als deren Reittier dargestellt. Es wird vermutet, dass die Vernichtung so vieler Katzen die Verbreitung der Pest förderte, weil sich Ratten als Überträger dieser Krankheit dadurch ungestörter vermehren konnten.

Suspekte Gestalten

Nach einigen vergeblichen Trainingsversuchen mag manch ein menschlicher Geduldsfaden reissen. Ins Pfefferland wünscht seinen vierbeinigen Begleiter aber deshalb kein Katzenfreund. Und dennoch gibt es tatsächlich Personen, die behaupten, Katzen nicht zu mögen und eher der Hundetyp zu sein. «Hunde und Katzen sprechen unterschiedliche Seiten im Menschen an», sagt Elisabeth Frick Tanner. Der Hund ist viel anschmiegsamer und vom Menschen abhängig. Einigen Menschen ist diese Selbstbestimmtheit der Katzen suspekt und es entspricht ihnen nicht, dass man diese Tiere nicht kontrollieren kann in ihrem Verhalten.Psychologisch würde sie allerdings nicht zu viel hineindeuten, ob jemand ein Katzen- oder Hundetyp ist, sich für Pferde oder Vögel interessiert, so die Psychotherapeutin. Die Vorlieben für bestimmte Tiere entwickeln sich meist über persönliche Erfahrungen, also ob man im Elternhaus einen Hund, Katzen oder gar keine Tiere hatte. Während den Therapiesitzungen seien jeweils ihre Katzen und auch der Hund anwesend und würden von den Kindern und Jugendlichen gleichsam geschätzt, sagt die Fachfrau.

«Viele Menschen bewundern, wie sich Katzen nehmen, was sie wollen.»

Ein emotional aufgeladenes Thema, das Katzenfans natürlich mehr beschäftigt als Hundeliebhaber, ist die Jagd von Katzen auf Kleinsäuger und Vögel. Dennis Turner, der übrigens durchaus auch ein Hundefreund ist, da er mit Hunden aufwuchs und sich gerne mit dem Labrador seines Sohnes abgibt, bemängelt die ein-seitige Perspektive vieler Studien zu dieser Thematik. «Meist wird nur angeschaut, wie viele Kleinsäuger denn gejagt werden, diese Anzahl stellt man aber nicht in ein Verhältnis zur Gesamtpopulation.» Würde jedoch die Relation hergestellt, käme heraus, dass die Biodiversität und Populationen einzelner Tierarten nicht gefährdet sind.

Schreckmoment Gurke

Katzen können nicht nur selber als Feinde auftreten. Wer sich im Internet durch die unzähligen Katzenclips klickt, trifft schnell auf das Feindbild Nummer eins der Katzen – die Gurke. Es ist wohl weniger die Ähnlichkeit mit einer Schlange als der grosse Überraschungseffekt, der die Katzen jeweils verschreckt in die Höhe jucken lässt, kaum haben sie eine ganz dicht hinter ihnen platzierte Gurke erblickt. Dennis Turner findet solche Videos nicht witzig. «Sie bedeuten für die Katze Stress. Man sollte immer überlegen, ob die Videoclips für die Katze ebenso lustig sind wie für den Menschen.»

Auch Elisabeth Frick Tanner findet Katzenvideos nur dann vertretbar, wenn sie artgerecht und nicht manipulativ sind. Freude bereiten sie einem grossen Publikum, da sie die Wesenszüge der Katze, die wir so mögen, wie Verspieltheit, Verschmustheit oder Eigensinnigkeit, wiedergeben, weiss die Fachfrau. Wer niemanden zu Hause hat, dessen Kinn gekrauelt werden darf, kann sich also weiterhin an Hunde austricksenden Internetkätzchen erfreuen. Schliesslich muss klargestellt werden, wer die Nummer eins ist.