Frau Bechtiger, hat der Wald im Bergkanton Graubünden eine besondere Bedeutung, oder wie kamen Sie auf dieses Ausstellungsthema?

In der Sammlung, die vom Ehepaar Capaul zusammengetragen wurde, haben sämtliche Werke einen Bezug zu Graubünden. Insgesamt sind dies 30 000 Gemälde, Fotografien, und Grafiken, die entweder von Bündner Künstlern stammen oder einen Ort im Bündnerland abbilden. Die Landschaft spielt hier natürlich eine grosse Rolle, seien es Berge, Bergseen oder eben Wälder. Unser Anspruch ist es, die Sammlungsstücke der breiten Bevölkerung zugänglich zu machen und dafür eignet sich eine thematische Herangehensweise gut.  

Auch der zeitgenössische Künstler Remo Albert Alig hat sich dem Thema Wald verschrieben. Wie hat man sich seine Arbeiten vorzustellen?

Für die Werkserie Sacro Bosco II besuchte Alig viele mythische Wälder im Graubünden und ganz Europa. Dort hat er das Harz von Nadelbäumen gesammelt und in einem Destillationsverfahren zu Kolophonium verarbeitet. Das ist der Stoff, mit dem man die Bögen von Geigen oder Cellos einschmiert. Er hat das Harz so stark potenziert, dass es fast zu Glas wurde. Die transparenten Platten haben je nach Baumart und Alter des Harzes verschiedene Farben. Remo Albert Alig sammelte für die Serie Der Duft des Waldes aber auch Rinde, Nadeln und Zapfen, um deren Duft zu extrahieren und unter einer gläsernen Duftglocke zu präsentieren. So wird neben dem Sehsinn auch der Riechsinn angesprochen.

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Alig holt den Wald in den Ausstellungssaal, er lässt aber auch oft Kunstwerke in die Natur eindringen. Was möchte er mit diesem Aufeinandertreffen bewirken?

Genau, der Bündner arbeitet stark mit dem, was ihm die Natur bietet, und wandelt dies in Kunst um. Es geht Alig in seiner Arbeit um die Materialität. Und trotz der Materialität ist es im Grunde das Immaterielle, auf das er anspricht, stilistisch und inhaltlich.  So entstehen auf anderen Ebenen Zugänge zu natürlichen Phänomenen. Man kann sogar so weit gehen und den Künstler und Kunstvermittler als einen Alchemisten bezeichnen.

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Die Ausstellung ermöglicht nicht nur einen zeitgenössischen, sondern auch einen historischen Einblick in den Umgang der Kunst mit dem Wald. Was wurde alles in diesen Lebensraum hineinprojiziert?

Es ist spannend zu sehen, wie sich die Darstellungen des Waldes parallel zur sozialen und kulturellen Entwicklung veränderte. Bis ins 18. Jahrhundert war der Wald für die Menschen noch beinahe unpassierbar. Er war ein Ort der Gefahr mit wilden Tieren und Überfällen. In Bildern war er nur Beiwerk, Hintergrundmotiv. Die idyllische Vorstellung des Waldes als Erholungs- und Kraftort hat sich erst mit der Industrialisierung entwickelt. Im späten 19. Jahrhundert wurde der Wald zum eigentlichen Hauptmotiv, denn in der Romantik wurde das Naturempfinden grossgeschrieben und der Wald als Rückzugsort der Seele verstanden. In den Werken des Expressionismus traten dann die Formen und Farben des Waldes in den Vordergrund und in den 1960er und 1970er Jahren wurde die Bedrohung des Naturraumes durch den Menschen stark thematisiert. Diese Umkehr vom Wald als Bedrohung, zum Wald als bedrohtes Gut lässt sich in der Ausstellung schön nachverfolgen.

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In der Ausstellung kann der Wald also auf verschiedenen Ebenen nachempfunden werden – wo halten Sie sich lieber auf, im Wald der Sala Capauliana oder im echten Wald?

Oh, das ist eine schwierige Frage! Ich spaziere schon sehr gerne durch den echten Wald und ich liebe es, dort gemeinsam mit meiner Tochter Zwergenhäuschen oder Hütten zu bauen. Auch wenn es tatsächlich ein Anliegen der WALD-Ausstellung ist, die Sala Capualiana ein Stück weit in ein Naherholungsgebiet zu transformieren.