Hände schütteln zur Begrüssung geht gerade nicht. Erika Schneider ist dabei, verwelkte Petunien-Blüten in den Beeten und Kübeln rund ums Stöckli abzupflücken. «Das gibt klebrige Finger», entschuldigt sich die Alt-Bäuerin mit einem Lächeln und bittet ins Haus.

Seit anderthalb Jahren leben sie und ihr Mann Andreas hier in einer Wohnung schräg gegenüber dem Hof, den die Familie Schneider in Friltschen TG bereits in der vierten Generation bewirtschaftet. Sie fühlen sich wohl hier, erzählt Erika Schneider in der hellen, grossen Wohnküche bei Kaffee und selbst gemachten Erdbeer-Törtchen.

Der Publikumsliebling Domenic Schneider

Übernommen hat den Hof Sohn Domenic Schneider, der als Spitzen-Schwinger weit über Friltschen hinaus bekannt ist. Er gilt als Publikumsliebling, wird inoffiziell als «König der Herzen» bezeichnet. Denn seine Art des Schwingens und vor allem seine überschäumenden Freudenausbrüche nach einem Sieg kommen beim Publikum an. Zum Schwingerkönig hat es noch nicht gereicht, doch der 29-Jährige gewann bereits 72 Kränze, darunter drei Eidgenössische.

Verantwortung abgegeben

Bis zur Hofübergabe war Domenic Schneider bei seinem Vater Andreas auf dem Hof angestellt, nun haben die beiden die Rollen getauscht. «Es war schön, die Verantwortung abgeben zu dürfen», sagt Erika Schneider. «Das Zügeln fiel uns leicht, weil wir wussten, dass wir hier ein schönes Daheim haben würden.»

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Der Hof sei seit 101 Jahren in Familienbesitz, erzählt die 54-Jährige weiter. Die Vorfahren ihres Mannes kamen ursprünglich aus dem Solothurnischen. Zum Hof der Familie Schneider gehören heute 36 ha landwirtschaftliche Nutzfläche, 40 Kühe, 230 Most-Hochstammbäume, eine halbe Hektare mit Niederstammbäumen, sechs Sauen und derzeit 17 Rinder.

Grosse Hilfe im Hofladen

Auch nach der Hofübergabe arbeitet Erika Schneider weiter auf dem Hof mit, hilft im Hofladen oder beim Heuen. «Ich bediene jeweils den Heukran, das ist mein Metier», sagt sie mit einem Lachen. Zu heuen gäbe es viel, da die Kühe nicht mit Silogras gefüttert werden dürfen; ihre Milch wird zu Appenzeller Käse verarbeitet.

Zudem arbeitet die gelernte Gärtnerin, die nur wenige Kilometer von Friltschen mit vier Geschwistern auf einem Landwirtschaftsbetrieb aufgewachsen ist, drei Tage die Woche in der Gartenabteilung eines Baumarktes. Sie liebe Blumen und die Natur. «Drin sein ist nichts für mich.» Nicht zuletzt hütet sie jeden Freitag zwei der sechs Enkelkinder, die beiden Töchter von Domenic und Olivia Schneider.

Seit der Primarschule

Domenic und sein älterer Bruder Mario haben das Schwingen im Primarschulalter für sich entdeckt, erzählt ihre Mutter. «Ich musste die Buben nie zum Training antreiben. Sie wollten immer von sich aus.» Auch als Teenager trainierten sie dreimal pro Woche, Herumhängen gab es bei den beiden nicht. «Sie hatten ein Ziel.»

Stimmige Atmosphäre

Dieses «Wollen» sei vielleicht bei beiden ein Teil des Erfolgsrezepts, meint sie. Denn auch Mario Schneider ist mit seinen 64 Kränzen ein erfolgreicher Schwinger und amtet zudem bei seinem jüngeren Bruder als technischer Leiter, was in etwa den Aufgaben eines Trainers entspricht. Die Mutter ist mit den Söhnen in den Schwingsport hineingewachsen, zu dem sie zuvor keinen Bezug hatte. Ihr gefällt die Atmosphäre in der Szene: «Im Sägemehl sind sie Gegner, privat hilfsbereite und rücksichtsvolle Kollegen. Beide hatten bis heute keine ernsthaften Verletzungen, das machte es für mich einfacher.»

Domenic Schneider setzt sich in einer Arbeitspause mit an den Küchentisch und mischt den selbst gemachten Johannisbeersirup der Mutter mit ein Glas Wasser. «Ich schätze die Kameradschaft, aber auch das Kämpfen», sagt er auf die Frage, was ihn am Schwingen bis heute so gefällt. «Wir klären auf eine faire Art, wer heute der Stärkere im Sägemehl ist, und lassen Kraft raus.»

Freude ist wichtig

Im Sägemehl wird er vom Publikum gern mit seinem Spitznamen «Dodo» angefeuert, der noch aus Kindergarten-Tagen stammt. Nur auf den ersten Blick scheint der 179 cm grosse und 145 Kilo schweren «Böse» aus dem Namen herausgewachsen zu sein. Erlebt man Domenic Schneiders freundlich-gelassene Ausstrahlung und sein Lächeln, merkt man, dass der Spitzname noch immer passt.

AboSchwingenBrünig: Michael Ledermann bekommt es mit Domenic Schneider zu tunDonnerstag, 27. Juli 2023 Natürlich will er gewinnen, aber die Freude ist ihm am Schwingen das Wichtigste, erklärt er. Denn er ist auch leidenschaftlicher Landwirt. «Schwingen ist nicht alles in meinem Leben, den Kühen ist es egal, ob ich gewinne oder nicht.» Bevor er wieder zum Mähen geht, schnappt er sich eines der Erdbeer-Törtchen. «Sein Lieblingsdessert», kommentiert seine Mutter lächelnd.

Erika Schneider kocht und backt mit Begeisterung, doch sie habe nie speziell für die beiden schwingbegeisterten Söhne kochen müssen. «Aber Fleisch muss sein, da haben wir vom Hof eine grosse Auswahl. Das Lieblingsessen von beiden ist Cordon bleu und Pommes Frites.»

Hofleben als Geschenk

Über die Strasse geht es zum Hof. «Friltschen gratuliert ‹Dodo› Schneider zum 2. Rang am Eidg. Schwing- und Älplerfest», steht gross auf einer weissen Plane, die unübersehbar an der Stallwand hängt. Das Dorf ist stolz auf den Schwinger, der dieses Jahr vor Ort auch die 1.-August-Rede gehalten hat.

Domenic Schneider bespricht sich noch kurz mit Vater Andreas, setzt sich auf den Traktor mit Mähwerk und fährt zum nächsten Plätz. Auf einem Hof aufwachsen zu dürfen, sei für Kinder ein Geschenk, sagt seine Mutter zum Leben in der Landwirtschaft. «Auch wenn Domenic fünfmal die Woche trainiert und während der Saison am Sonntag oft an Wettkämpfen ist, sieht er die Kinder viel.»

Ein Fan der beiden Söhne

«Ich bin ein Fan meiner Söhne», fährt sie fort, betont aber auch: «Ich habe vier Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter, und ich schätze alle vier als Menschen und Persönlichkeiten. Alle haben sie ihren Weg gemacht.» Während der Schwingsaison fiebert sie mit den Söhnen mit und freut sich, wenn sie nach einem Sieg ihre Freude ungebremst zeigen. Aber was ist, wenn der eine gewinnt, der andere einstecken muss? «Dann zerreisst es mir fast das Herz. Doch ich bin einfach glücklich, wenn sie gesund nach Hause kommen.»