Seit zehn Monaten ist Jürg Iseli Präsident des Berner Bauernverbands. Die BauernZeitung hat den Landwirt in der Geschäftsstelle in Ostermundigen getroffen. Sie wollte wissen, wie Iseli die Zeit von der Wahl bis jetzt erlebt hat, was den Berner Bauernverband 2024 beschäftigen wird und wie er die Stimmung unter den Berner Bäuerinnen und Bauern wahrnimmt.

Schon bald ist für Sie das erste Jahr als Berner Bauernpräsident vorbei. Wie ist Ihr Fazit dazu?

Jürg Iseli: Zuerst musste ich mich natürlich einarbeiten und das Team in der Geschäftsstelle besser kennenlernen. Das Präsidium ist eine sehr interessante Aufgabe, die ich wirklich gerne ausübe. Das Arbeitspensum als Präsident liegt zwischen 30 und 50%. Im ersten Jahr möchte ich so viele Vereinsversammlungen wie möglich besuchen und spüren, wo der Schuh in der Basis drückt. Natürlich fragt man sich schnell, ob die Verbandsstrukturen beim Berner Bauernverband noch zeitgemäss sind, muss man was ändern und wo könnte man noch Ressourcen einsparen.

Was meinen Sie damit genau?

Wir sind daran, beim Berner Bauernverband die Strukturen zu überarbeiten, die Fachkommissionen zu stärken und die Regionen noch mehr einzubinden. Dazu werden wir einen Ausschuss bilden, der 2024 intensiv arbeiten wird mit dem Ziel, bei der Mitgliederversammlung 2025 die nötigen Massnahmen zu präsentieren und abzusegnen.

Vor Ihrer Wahl als Präsident wurde Ihnen oft vorgeworfen, dass Sie sich als Milchproduzent nicht für die Interessen der Acker- oder Gemüseproduzenten wie auch für die Mutterkuhhalter einsetzen würden. Hat sich dieser Vorwurf in der Zwischenzeit gelegt?

Ich habe beim Amtsantritt immer gesagt, dass ich mich für alle Berner Bäuerinnen und Bauern einsetzen werde, egal, welche Betriebsausrichtung sie haben. Meinen ersten Aufritt als Präsident hatte ich Anfang April bei den Gemüseproduzenten. Das Zuhören und die Gespräche nach der Versammlung zeigten mir, wo der Schuh drückt.

Wie ist es Ihnen dort ergangen?

Ein grosses Problem bei den Gemüseproduzenten sind die Sonderbewilligungen für den Pflanzenschutz. Diese kosten jedes Mal 30 Franken, dies bei vermuteten 200 Sonderbewilligungen im Jahr. Ich konnte daraufhin ein Treffen mit den Gemüseproduzenten und dem  Landwirtschaftsamt des Kantons Bern (Lanat) organisieren und die Problematik auf den Tisch bringen. Im Gespräch wurde die Praxis aufgezeigt und geregelt.

Haben Sie schon andere negative Rückmeldungen erhalten?

Ja, das habe ich. Vor allem, als vor der Rapsernte bekannt wurde, dass der Preis massiv gesenkt wird. Auch beim Milchpreis fühlen sich viele Bauern missverstanden. Leider haben wir als Berner Bauernverband keinen Einfluss auf die Preisbildung. Daher scheint es für mich wichtig, dass ich mich immer wieder in den weissen Medien oder auch im Radio äussere, um auf die schwierige Situation in der Landwirtschaft hinzuweisen. Schade finde ich, wenn Berufskollegen, ohne mich zu kennen, auf den öffentlichen Kanälen urteilen, statt das Gespräch mit mir zu suchen.

Sie sagen, dass der Berner Bauernverband keinen Einfluss auf die Marktpreise hat. Ist dies mit ein Grund, dass nicht alle Bäuerinnen und Bauern gewillt sind, den Mitgliederbeitrag beim Berner Bauernverband zu bezahlen?

Das ist tatsächlich ein Problem. Von den 9500 Bauernbetriebe im Kanton Bern bezahlen nur deren 6300 den Mitgliederbeitrag, das sind rund 75 %. Das ist eindeutig zu wenig. Hinzu kommt, dass wir dem Schweizerischen Bauernverband für alle 9500 Betriebe und nicht nur deren 6300 den Verbandsbeitrag bezahlen müssen. Das sind rund 200 000 Franken jährlich, die uns fehlen und die wir einfach so aus der Kasse nehmen müssen.

Warum bezahlen nicht alle den Mitgliederbeitrag?

Ich habe immer noch das ­Gefühl, dass dies mit dem Crash der Molke­rei Swiss Dairy Food (SDF) in Ostermundigen im Jahr 2002 zusammen­hängt. Viele Milch­lieferanten hatten damals Geld ver­lo­ren. Der Berner Bauernverband, der damals noch Lobag hiess, musste beim Crash hin­stehen. Das Vertrauen in die Inte­ressenvertretung durch die Verbände wurde nachhaltig geschwächt. Wir erhielten durch den SDF-Crash ein schlechtes Image. In den Augen vieler Milchlieferanten waren wir ein Teil des Problems, das hält bis heute an.

Und wie wollen Sie dieses Problem lösen?

Mit Kommunikation und aufzeigen, was wir alles leisten. Mir schwebt auch vor, dass wir einmal alle nicht bezahlenden Mitglieder einladen, ihnen die Problematik aufzeigen und erklären, was der Berner Bauernverband alles leistet. Ich finde es schade, dass es Trittbrettfahrer gibt, die auf Kosten ihrer bezahlenden Berufskollegen von uns profitieren können.

«Mir schwebt vor, dass wir alle nicht bezahlenden Mitglieder einladen.»

Jürg Iseli möchte auch die Nicht-Zahlenden Bauernfamilien ins Boot holen.

Inwiefern können die Bäuerinnen und Bauern vom Berner Bauernverband profitieren?

Wir sind ständig in Kontakt mit den Ämtern und der Regierung. Sei es mit dem Amt für Landwirtschaft und Natur (Lanat) oder mit den Vertreter(innen) des Grossrats oder Regierungsrats. Für uns als Verband ist es wichtig, dass wir die Sorgen und Nöte der Basis wie auch die Forderungen der Landwirtschaft der Politik unterbreiten. Ich bin der Meinung, dass der Kanton Bern als grösster Agrarkanton der Schweiz schweizweit eine grös­sere Hebelwirkung hat, als von vielen angenommen.

Was meinen Sie damit genau?

Zum Beispiel finde ich es wichtig, dass man zum Berner Regierungsrat Christoph Ammann, welcher die Wirtschafts-, Energie- und Umweltdirektion führt, wozu auch die Landwirtschaft gehört, einen guten Draht hat. Als ehemaliger Grossrat und Grossratspräsident habe ich hier sicher einen Vorteil. Ich bin in der Zwischenzeit mit vielen Amtsvertreterinnen und Amtsvertretern per Du, da reicht schon mal ein Telefonat und man kann so schon in kurzer Zeit viel erreichen.

Wenn wir schon beim Regierungsrat sind: Dieser will im Kanton Bern etliche Landwirtschaftsschulen schliessen. Mit dieser Strategie sorgt er doch für rote Köpfe?

Ja, das stimmt! Der Grosse Rat schickt die Strategie auf eine Zusatz­runde mit elf Auflagen. Eine davon ist, die Branche mitein­zubeziehen, was jetzt auch geschehen soll. Wir sind gespannt auf die Kommunikation Anfang Jahr. Wo wir als Berner Bauernverband froh sind, ist, dass die Bauvorhaben Stall Hondrich und Renovation Ins zeitnah realisiert werden können und somit nicht auf die Strategie warten müssen.

Die Entwicklung der Agrarpolitik geht weiter. Was sagen Sie zur künftigen Ausrichtung der Agrarpolitik AP 30?

Sicher muss hier ein Wechsel zu weniger Bürokratie und zu mehr unternehmerischer Freiheit stattfinden. Es darf auch nicht sein, dass die Direktzahlungen zunehmend produktionshemmend wirken. Zudem müssen wir aufpassen, dass Lebensmittel, welche für die Ernährung bestimmt sind, nicht plötzlich als Energieträger genutzt werden. Sorgen bereitet mir auch der politische Druck auf die Pflanzenschutzmittel. Wenn diese fehlen, sehe ich bei einigen Kulturen schwarz. Der Zuckerrübenanbau, der Gemüsebau oder auch die Kartoffelproduktion könnten in der Schweiz massiv zurück­gehen.

«Auf einen Schlag werden 10 000 Hektaren aus der Produktion genommen.»

Jürg Iseli zu den 3,5 % Biodiversitätsförderflächen im Ackerbau.

Und was sagen Sie zu den 3,5 % Biodiversitätsförder­flächen im Ackerbau?

Auf einen Schlag werden so 10 000 Hektaren bestes Ackerland aus der Produktion genommen – das ist eine Schweinerei. Alle vier Jahre kommt das Parlament mit neuen Vorschlägen und neuen Änderungen, so kann kein Landwirtschaftsbetrieb unternehmerisch denken. Ich hoffe natürlich, dass das Parlament, wegen der 3,5 % noch umschwenkt. Mit der anhaltenden Krise ist es wichtiger denn je, dass die Schweiz die Produktion von Lebensmitteln nicht noch weiter schwächt.

Und wie sehen Sie die Zukunft auf dem Milchmarkt?

Wir haben im Kanton Bern noch 3800 Milchproduzenten. Das der Milchpreis wieder um zwei Rappen gesunken ist, ärgert mich natürlich auch. Leider sind wir als Exportland dem Weltmarkt voll ausgesetzt. Das beste Beispiel zeigt sich im Käsehandel. Die Exporte gehen hier markant zurück, die Leute brauchen das Geld für die gestiegenen Lebenskosten.

Hört man sich um, hören immer mehr Bauern auf zu melken. Vor allem die Jungen wollen den Melkstuhl endgültig an den Nagel hängen. Das sollte Ihnen doch Sorgen machen?

Natürlich macht es mir Sorgen. Vor allem beim Generationenwechsel stellt sich bei vielen die Frage, weiter melken oder nicht. Hier muss es der Branche bewusst werden, wo die Schmerzgrenze liegt. Wird der Grenzschutz weiter gelockert, so bin ich nicht mehr sicher, ob viele lieber den Bettel hinschmeissen werden. Grenzschutz und Preiserhöhungen sind die Voraussetzungen für eine gute Versorgung mit Schweizer Milch.

Wo haben Sie das Gefühl, dass der Schuh bei der Basis am meisten drückt?

Die tiefen Produzentenpreise und die zunehmende Ökolo­­gisierung machen vielen Bauern­betrieben Sorgen. Auch die Kostensteigerung bringt viele Bauernfamilien an ihre Grenzen. 

Was wünschen Sie sich im Jahr 2024?

Dass der ganze Bauernstand von der Politik weiterhin wertgeschätzt wird. Dass die Verarbeiter und Detailhändler den Landwirten den Preis bezahlen, der ihnen zusteht. Ich hoffe, dass die Bevölkerung weiterhin zu einer produzierenden Landwirtschaft steht. Bis jetzt haben wir die Konsumenten noch hinter uns, die gewonnenen Initiativen haben es gezeigt. Das sind wir unserer nächsten Generation schuldig.