Seit Anfang Januar steht unser Ortsschild auf dem Kopf. Diese kleine Geste war das erste Zeichen für die Unzufriedenheit der französischen Landwirt(innen). Diese gipfelte dann Ende Januar in einem dreiwöchigen Streik, bei dem rund um die grossen Städte Frankreichs die Autobahnen blockiert und zum Teil sogar umgepflügt worden sind.

Haben nichts zu sagen

Streiken und Demonstrieren sind in Frankreich Volkssport. Jedes Jahr gibt es eine Berufsgruppe, die streikt. Vor Längerem waren es die «Gilets Jaunes» (Gelbwesten), letztes Jahr waren es die Bahn und die Dieselindustrie, dieses Jahr die Taxifahrer(innen) und Bauern. Die Streikenden erhalten jeweils sehr viel Rückhalt und Verständnis aus der Bevölkerung. «Liberté, Égalité, Fraternité» eben.

Und ich kann die Franzosen auch verstehen, denn sie leben in einer Demokratie, aber haben trotzdem nichts zu sagen. Nur alle fünf Jahre können sie einen Präsidenten wählen, der dann von der Innen- bis zur Aussenpolitik alles entscheiden soll. Keine Volksinitiativen, keine Referenden, keine Gegenvorschläge und nur eine kleine Parteien-Vielfalt. Ist man also unzufrieden, muss man sich mit aufwendigen Aktionen landesweit Gehör verschaffen. Und damit dieser Protest laut genug ist, braucht es jeden Betroffenen vom Getreideproduzenten bis zur Austernzüchterin.

Es gibt verschiedene Auslöser und Beweggründe, zu streiken, wie zum Beispiel die Besteuerung von Agrardiesel oder neue Umweltauflagen. Ein Anliegen macht mir aber persönlich besonders Angst: Die Auszahlungen der Direktzahlungen 2023 sind bis heute noch nicht abgeschlossen. Das europäische Direktzahlungssystem ist relativ ähnlich wie das in der Schweiz. Jedoch kommt die erste Auszahlung erst Ende Oktober und der Rest sollte im Dezember folgen.

Kommt das Geld pünktlich?

Aber kommen dann diese Direktzahlungen auch rechtzeitig? In der Schweiz würde sich diese Frage nicht stellen, hier in Frankreich leider schon. Seit dem 1. Januar sind Mathieu und ich jetzt Betriebsleiter und führen unsere eigene Buchhaltung. Besonders in diesem ersten Jahr wäre es wichtig, dass wir versprochenes Geld zuverlässig und pünktlich erhalten. Dieses Jahr werden wir den Rechnungen wohl etwas hinterherhinken.

Ärger beim Bezahlen

Und auch wenn man Geld hat, ist der Umgang damit in Frankreich viel restriktiver als in der Schweiz. Grundsätzlich muss hier bei Privatkäufen alles per Vorauskasse bezahlt werden. Für grössere Summen werden deshalb gerne Schecks verwendet, da Bankkarten eine Tages- und Monatslimite haben. In den Läden gibt es dafür extra Maschinen, die die Schecks auf Echtheit prüfen können. Und genau diese Maschine hat meinen Scheck letztens abgelehnt, als ich für 4000 Euro Baumaterial für unsere Hausrenovation einkaufen wollte. Grund: «Madame, Sie sind Ausländerin!» Und was nun? Ich habe genug Geld auf dem Konto, aber die Kartenlimite ist für unter 30-Jährige auf 2600 Euro im Monat beschränkt. Ich war für diese Bestellung extra über eine Stunde in die Stadt gefahren, und jetzt wollten sie mein Geld nicht? Ich war hässig.

[IMG 3]

Sehnsucht nach Bünzlitum

Solche Momente sind sehr frustrierend. Es wird einem vor Augen geführt, dass man hier fremd ist und dadurch Nachteile hat. Wer sich mehr Freiheit wünscht, ist in Frankreich nicht unbedingt am richtigen Ort. Die Administration ist ein aufgeblasener, langsamer und überdimensionaler Apparat, der zudem nur 35 Stunden pro Woche arbeitet und deshalb immer Ewigkeiten braucht. In der Schweiz war doch immer alles so einfach, pünktlich und geordnet. Ich bereue es nicht, meinen Traum von der Landwirtschaft hier in Frankreich zu verwirklichen. Aber ich merke jetzt, wie zuverlässig die Schweizer Administration ist und wie viel Vertrauen ich in die Schweiz habe. Ein wenig mehr Arbeitseffizienz und Bünzlitum würde den Franzosen meiner Meinung nach nicht schaden. Aber genug gejammert und zurück an die Arbeit. Unsere ersten Wochen als Betriebsleiter sind vorbei. Wir haben alle Hände voll zu tun, um unsere Ideen umzusetzen. Dazu mehr im nächsten Bericht.

Zur Person:
[IMG 2]
Lena Junker hat Agrarwissenschaften an der ETH Zürich studiert. Danach hat sie in der Schweiz für eine Futtermittelfirma gearbeitet, bis sie Ende 2022 nach Frankreich ausgewandert ist. Gemeinsam mit ihrem Freund konnte sie per 1. Januar 2024 einen Milchviehbetrieb kaufen. Der Betrieb liegt im Massif Central auf 850 m ü.M und umfasst 96 Hektaren und 65 Milchkühe mit Aufzucht. Die Milch wird an die regionale Molkerei verkauft, wo der AOP-Käse «Bleu d’Auvergne» hergestellt wird.