Die Spuren im Schnee auf dem Holzpodest über dem Schwimmteich sind deutlich erkennbar. Hat sich an diesem kalten Wintertag wohl schon jemand ein Bad gegönnt? "Ein kurzer Schwumm in unserem Teich gehört zu meinem Morgenritual", sagt Judith Hübscher Stettler (55). Weil sie auf Bergtouren immer fror, entschloss sie sich zur Abhärtung, ganzjährig ein kurzes Bad im Teich zu nehmen. Natürlich seien die vier Grad vom heutigen Morgen keine karibische Wohlfühltemperatur, doch sie fühle sich danach frisch und munter und friere seitdem viel weniger.

Liebt Veränderungen

Auch beruflich ist Judith Hübscher Stettler schon öfters ins kalte Wasser gesprungen. Die gelernte Pflegefachfrau, Gesundheitsschwester, Bäuerin und Erwachsenenbildnerin ist zwischenzeitlich weit weg von der Pflege am Patienten. Sukzessiv hat sie sich weitergebildet und -entwickelt. Seit zwölf Jahren führt sie das Ressort Gesundheitsförderung, Prävention und Sucht im Kanton Thurgau.

Am Küchentisch erzählt Judith Hübscher Stettler, wie sie die Aufgaben mit ihrer Familie, den drei Kindern, dem Betrieb mit 120 Kühen und knapp 50 Hektaren landwirtschaftlicher Nutzfläche und ihrem Beruf in der kantonalen Verwaltung unter einen Hut bringt. Ihre beruflichen Stationen zeigen, dass Judith Hübscher Stettler sich nie nur mit einer Sache beschäftigt hat. Nach dem Unispital war sie bei der Spitex tätig, dazwischen ist sie oft gereist und hat in diversen Institutionen das Fach Gesundheit unterrichtet.

Veränderungen mitgestaltet

Berufs- begleitend hat sie die entsprechenden Weiterbildungen, wie beispielsweise einen CAS in Organisationsentwicklung und ein MAS in Gesundheitsförderung und Prävention absolviert. Oft sei sie in Veränderungsprozessen dazu gestossen, habe mitgeholfen Übergänge zu gestalten und Neuausrichtungen an die Hand zu nehmen, erinnert sie sich.

Selbstredend hat sie auch die Bäuerinnenprüfung gemacht und neun junge Frauen in ihrem Haushalt ausgebildet. "Das grosse berufliche Engagement neben dem umfangreichen Bauernhaushalt funktioniert, aber nur mit entsprechender Organisation und der Unterstützung von Angestellten", schildert Judith Hübscher Stettler die familiäre Situation und zeigt die säuberlich geführte Agenda sowie die Menüplanung.

Begeistert erzählt sie von ihrer Hausangestellten, die ihr mit einem 50-Prozent-Pensum vieles im Haushalt abnimmt und die Verpflegung des grossen Mittagstisches sicherstellt, an dem neben den Familienangehörigen jeweils drei bis vier Angestellte sitzen.

Sich Freiräume lassen

Die Kinder sind heute zwischen 20 und 24 Jahre alt, befinden sich alle noch in Ausbildungen und leben zu Hause. Judith Hübscher Stettler und ihr Mann sind in ihr Familienmodell hineingewachsen. Denn auch ihr Mann sei sich gewohnt, mit Angestellten zusammenzuarbeiten. Neben einem Lehrling arbeiten noch zwei bis drei rumänische Angestellte auf dem Betrieb, wobei der Lehrling und mindestens einer der Angestellten bei ihnen im Haus wohnen. Ihr Mann amtet als Gemeinderat in der Wohngemeinde.

Sie ist seit acht Jahren als Abgeordnete ihrer Kirchgemeinde in der Synode der evangelischen Landeskirche. Im vergangenen Sommer übernahm sie das Präsidium. Haben sich da zwei Workaholics zusammengetan? Judith Hübscher Stettler überlegt einen Moment und sagt: "Wir machen beide viel, da sind wir uns ähnlich und bringen deshalb auch das Verständnis für die Arbeit des anderen mit." Aber eigentlich sei es eher so, dass sie sich gegenseitig nicht bremsen, sondern Freiräume lassen.

Zeit in den Bergen

Seit Judith Hübscher Stettler beim Kanton arbeitet, liess sich ihr Pensum nur punktuell, etwa während der Kartoffelernte, reduzieren. Seit ein paar Wochen ist sie nun freitags zu Hause. "Es ist wunderbar, nun kann ich die Nähmaschine hervornehmen und mich über den Flickkorb hermachen", sagt sie und streift mit dem Blick den Brotteig, der längst über den Schüsselrand quillt.

In den letzten Jahren habe sie gemerkt, dass sie sich mehr gemeinsame Zeit mit ihrem Mann, aber auch hin und wieder für sich selber wünsche. Gemeinsam hat das Paar ange-fangen, in die Berge zu gehen. Hochgebirgstouren mit dem Schweizerischen Alpenclub mit einem Bergführer und Wanderungen seien beglückend, erzählt sie.

Sie haben zusammen schon mehrere Viertausender bestiegen. Gemeinsam hat das Paar auch die schlimme Zeit überstanden, als es vor einigen Jahren 68 Kühe durch Botulismus verlor, was landesweit für Schlagzeilen sorgte. "Es war einfach nur schrecklich, die Tiere sterben zu sehen, ohne helfen zu können." Nachdenklich fügt sie an: "Ich musste lernen, Hilfe anzunehmen." Die grosse Solidarität und Unterstützung aus dem Umfeld sowie von unzähligen unbekannten Menschen sei überwältigend gewesen und habe dazu beigetragen, dass sie es geschafft haben. "Dafür bin ich unendlich dankbar."

Ruth Bossert

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