Vor gut einer Woche berichteten deutsche Medien breitwillig über eine  Untersuchung des Max-Planck-Instituts für Chemie, wonach die Landwirte in Deutschland durch das Ausbringen von Gülle die Feinstaubbelastung in der Luft derart erhöhen, dass jedes Jahr rund 50 000 Menschen vorzeitig und unfreiwillig ihre letzte Ruhe finden. Breitwillig wird darüber berichtet, wie schlecht die Landwirtschaft darin ist, die Umweltziele zu erreichen; und breitwillig wird über das Unvermögen der Bauern berichtet, sich mit offeneren Grenzen arrangieren zu wollen. Kurz: Die Landwirte werden zum Prügelknaben, zum Sündenbock und zum schwarzen Peter.

Dass das so ist, sagt nichts über die Landwirtschaft aus. Denn es ist nicht  die Landwirtschaft, die in der Krise steckt; es ist in gewisser Weise der Journalismus. Denn entgegen der landläufigen Meinung ist es um das Image der Landwirte alles andere als schlecht bestellt: Wie nämlich eine Auswertung des GFK-Vereins zeigt, vertrauen 86 Prozent der Menschen den Landwirten komplett oder sehr. Und zwar nicht in irgend einem Land, sondern weltweit gemessen. Besser dran sind nur Feuerwehrleute (90 %), Krankenschwestern und Lehrpersonen (je 89%) und Doktoren (88 %). Den Apothekern schenkt die Bevölkerung gleich viel Vertrauen wie den Landwirten. Auf den hinteren Rängen folgen Sanitäterinnen, Piloten, Ingenieurinnen, Soldaten, Handwerker, Chauffeure, Architektinnen und IT- und Software-Spezialisten. In den europäischen Ländern ist das Vertrauen in die Landwirte nicht ganz so hoch; mit 83 Prozent stehen sie an siebter Stelle, hinter den Sanitätern.

Warum aber schreiben die Medien die Landwirtschaft an die Wand – wenigstens gefühlt? Die einfache Antwort: weil sie es nicht besser wissen. Weil es immer weniger Landwirte gibt, weil die Distanz zwischen Bauern und Nicht-Bauern mit der Industrialisierung wächst; weil es verdammt schwierig ist, die Landwirtschaft zu verstehen. Eine komplexere Antwort verbirgt sich im Funktionieren des Mediensystems. 

Um eine komplizierte Geschichte ganz kurz zu machen: In den Medienhäusern wird das Geld knapper, weil immer mehr Werbeeinnahmen zu den Internetgiganten Facebook und Google abfliessen. Noch ist der Kollaps ausgeblieben, dennoch ist gerade in der Schweiz eine starke Zentralisierung der Berichterstattung in den Zeitungen zu beobachten. Journalisten müssen in der Tendenz mit gleich viel oder weniger Ressourcen, mindestens gleich viel, meist aber mehr leisten.

Gleichzeitig entdeckten die Journalisten – mehr oder weniger freiwillig – das Internet, die sozialen Netzwerke und das Audience-Engagement. Letzteres misst, wie stark die Leserschaft mit einem Beitrag interagiert. Dazu muss man wissen: Dienste wie Twitter und Facebook werden von überdurchschnittlich vielen Journalisten genutzt, allerdings sind 45 Prozent der Schweizer Bevölkerung nicht in diesem sozialen Netzwerk vertreten.

Den Kurznachrichtendienst Twitter nutzen etwa 99 Prozent der Bevölkerung nicht; aber viele Politiker, viele Interessengruppen und viele Journalisten. Twitter ist genau richtig für den immer schneller fliessenden Nachrichtenstrom.  Dummerweise vermitteln die Plattformen ein falsches Bild. Denn auf Twitter und Facebook sind, das belegen Studien vom Reuters Institute, vor allem Menschen, die sich selbst an den politischen Polen (links oder rechts) verorten. Davon äussert sich aber nur rund ein Drittel der Nutzer aktiv zu Themen; es sind vermutlich die Mitteilungsbedürftigsten unter ihnen.

Kurz: Wenn der Artikel sitzt und in den sozialen Medien Anklang findet wird der Journalist mit Audience-Engagement belohnt. Mit Interaktionen und einer Diskussion. Das Herstellen von Öffentlichkeit ist eine der wesentlichen Funktionen im Journalismus, die Diskussionen sind mitunter sehr wichtig.

Problematisch wird es dann, wenn sich die Lebenswelten entkoppeln: Wenn der Journalist nicht mehr die «echten» Probleme der «einfachen» Menschen mitträgt. Genau diese Entkopplung befördern die sozialen Medien und das Internet; auch das können Untersuchungen mittlerweile belegen.

Freilich ist das ein schwacher Trost für die Bauern; sie kriegen weiterhin die volle Breitseite dessen ab, was übrig bleibt, wenn Journalisten zu sehr angetrieben und Verleger sich mit zu einfachen Antworten zufrieden geben. Aber es hilft, sich beim nächsten Rundumschlag zu vergegenwärtigen, dass es neben den Schreihälsen und Wichtigtuern im Internet noch ganz viele Menschen auf der Welt gibt, die den Bauern ihr Vertrauen schenken. Darauf kann und muss man aufbauen – denn die Landwirtschaft geht alle an, die sich dreimal am Tag über etwas Essbares auf dem Tisch freuen. Und es steht zu viel auf dem Spiel, als dass es sich die Landwirtschaft leisten könnte, in der Opferrolle jegliche Veränderung abzublocken.

hja