Habkern Beim genauen Hinschauen erkennt man plötzlich kleine, braune Flecken auf der Matte. «Mein Werk der letzten Tage», lacht Erika Zurbuchen (36): «Dort habe ich eine vergessen.» Auch dieser Blacke geht es bald an den Kragen. Auf der Weide blüht der alte Hanslibirnen-Baum. Die neu gezimmerten Hochbeete warten auf wärmere Tage.

Die Geranien im Keller haben bereits erste Knospen. Hinter den Glasscheiben macht ihnen auch das kalte Wetter anfang Mai nichts aus. «Zu einem solchen Haus gehören einfach Geranien», sagt Erika Zurbuchen und zupft einige braune Blätter ab. Nebenan schnattert die brütende Ente.

Einfach in Ruhe produzieren

Vor zehn Jahren haben Zurbuchens den Betrieb in Pacht übernommen. Die Arbeit hier auf dem Wychelegghof in Habkern BE auf 1100 m. ü. M. ist streng, 
ein Chrampf. Zehn Milchkühe, 80 Hühner und 14 Ziegen gehören zum elf Hektaren grossen Betrieb. Christian Zurbuchen arbeitet auswärts als Zimmermann. Und wenn Bäuerin Erika Zurbuchen nicht draussen anpackt, stellt sie Produkte für die Direktvermarktung her. Da ist die gelernte Köchin in ihrem 
Element. 

Die Sirupflaschen und Konfi-gläser stehen schön aufgereiht zum Verkauf bereit. Die Regale in der Vorratskammer sind mittlerweile halb leer. Bald können jedoch frische Kräuter und Früchte verarbeitet werden. «Ich will möglichst wenig dazukaufen.»

Die Direktvermarktung rentiere mehr schlecht als recht. «Es geht auf, mehr nicht.» 14 Kunden beliefert Erika Zurbuchen im Moment regelmässig mit Produkten vom Wychelegghof. Wanderer und Feriengäste kaufen Eier, Wurst, Käse oder Konfi im kleinen Hoflädeli ein. «Ich müsste die Produktion steigern können», sagt die Bäuerin. Anstatt 20 wären es dann beispielsweise 100 Liter Rhabarbersirup, die pro Mal sorgfältig in die Flaschen mit den schönen Etiketten abgefüllt würden. Doch diesem Vorhaben setzt die kleine Küche Grenzen. Ihre Nidletäfeli, die im Volg in Bönigen BE angeboten werden, gehen weg wie warme Weggli. Doch kaum koche der Rahm, werde sie sicher draussen gebraucht. Oft wünsche sie sich, einfach in Ruhe produzieren zu können, so die Bäuerin.

Man muss Freude haben

Eine Spezialität sind Erika Zurbuchens Produkte aus wilden Heidelbeeren. Der Aufwand ist schier unbezahlbar. «Muesch dr Fröid scho öppis rächne», sagt sie. Und genau diese hat sie.

Sie liebt es, in der Natur zu sein, die Bergwelt und die Tiere zu beobachten. «Wenn es schön ist, dann ist es schön», lacht die Bäuerin mit Blick auf den wolkenverhangenen Himmel. Auch die beiden Kinder Julian (12) und Marina (9) begleiten ihre Mutter oft. Überhaupt helfen die beiden, wo sie können. Im Stall, beim Heuen und im Haushalt. Kaum kommen sie von der Schule nach Hause, schlüpfen sie in die Überhosen und los geht es. 

Erika Zurbuchen zeigt Fotos von ihrem Hüttli. Ein kleines Vorsass, wo im Sommer die Kälber weiden. In der Nähe gibt es Eierschwämme. Man müsse sie nur entdecken. Kein Zweifel: Die Frau mit den strahlend blauen Augen findet sie. 

Alltag noch intensiver

Bereits ihr halbes Leben wohnt die gebürtige Gsteigwilerin mit ihrem Mann in Habkern. Trotz der strengen Arbeit engagiert sie sich für das Dorfleben. Als Präsidentin der Landfrauen und in der Schulkommission setzt sie sich ein. Ein weiteres Hobby der jungen Bäuerin ist das Milchwägen. Es sind die ruhigen Sommermorgen auf der Alp, die sie besonders geniesst. Hier findet sie für einen kurzen Augenblick Abstand vom strengen Alltag.

Der Alltag ist in den letzten beiden Jahren noch intensiver geworden. Ein schwerer Schicksalsschlag hat die junge Familie getroffen. Vor knapp zwei Jahren sind Christians Eltern innerhalb eines Monats beide überraschend gestorben. Die Grosseltern waren eine grosse Stütze und fehlen nun an allen Ecken und Enden. 

«Eigentlich plane ich gerne voraus», sagt Erika Zurbuchen. Seit zwei Jahren geht die Zeiteinteilung auf dem Wychelegghof jedoch kaum über eine Woche hinaus. Und oft reicht es einfach nicht für alles.

Ungewisse Zukunft plagt

Und noch etwas plagt: Wie es in Zukunft weitergehen soll, ist ungewiss. Der Hof ist gepachtet, das Haus gemietet. Der Mietvertrag läuft noch drei Jahre. Ob Zurbuchens das Haus kaufen können, wissen sie nicht. «Wir hoffen es», sagt die junge Frau. Ein Umzug ins Haus der Schwiegereltern wäre eine Alternative. Das kleinere Häuschen liegt etwas weiter hinten an der Talseite. Zahlreiche Investitionen stünden an. Und ob sie von dort aus den Betrieb weiter bewirtschaften könnten, ist ebenfalls offen. 

Diese Situation verunsichert. Ein wenig Zukunftsangst habe sie manchmal schon, sagt Erika Zurbuchen. Und dennoch bleibt sie positiv gestimmt: Vielleicht sei es auch ein Zeichen, etwas zu ändern. Manchmal gebe es nämlich Tage, da habe das junge Ehepaar vor lauter Arbeit kaum Zeit, miteinander zu sprechen. «Aber wir sind hier wohl», sagt sie. «Es fehlt uns an nichts.» 

Die Checkliste für die Ferien, die ihr in der Drogerie angeboten wurde, hat sie dankend abgelehnt. Ferien gab es bei Zurbuchens noch nie. «Wir sind ‹Lengzytige› (Anm. d. Red: Personen, die Heimweh haben). Aber in den Europapark fahren wir den Kindern zuliebe einmal hin.»

Sandra Joder

Weitere Informationen: www.wychelegghof.ch

Dieses Porträt finden Sie in der BauernZeitung vom 25. Mai. Lernen Sie  die BauernZeitung jetzt 4 Wochen kostenlos kennen und gewinnen Sie einen Reisegutschein im Wert von 3000 CHF.