Aus der Küche duftet es bereits am frühen Vormittag nach Kuchen. Christine Stämpfli (50) legt ein Holzscheit nach. Das gezeichnete Handyverbot über dem grossen Holztisch wirkt fremd – jedoch unmissverständlich. «Wir haben wenige, aber klare Regeln», sagt Christine Stämpfli (50) und

ergänzt: wichtig sei der zeitlich fixe, schon fast pingelig strukturierte Tag. Und den braucht es: schliesslich treffen auf dem

kleinen Betrieb eine Menge unterschiedlicher Menschen 
zusammen. Jährlich arbeiten rund 30 Personen eine Woche oder länger mit. Menschen aus 30 Nationen sind in den vergangenen 20 Jahren auf dem Bio-Hof Obereichi in Lanzenhäusern BE im Schwarzenburgerland ein- und ausgegangen.


6000 Betreuungstage

Wer mit anpackt, bringt am besten eine gehörige Portion Fleiss und Ausdauer mit. Um die zeitaufwendige Handarbeit auf dem Kräuterfeld bewältigen zu können, helfen Praktikanten, Lernende und Arbeitslose aus verschiedenen Gemeinden mit. Seit rund 20 Jahren arbeiten Christine Stämpfli und ihr Mann Rüedu Schüpbach mit dem 
Projekt Alp zusammen, welches fachlich betreute Einzelplätze in Gastfamilien in der Landwirtschaft vermittelt.


Letzthin konnten Schüpbach-Stämpflis die 6000. Betreuungstage im Rahmen dieses Projekts verbuchen. Christine Stämpfli erinnert sich noch gut an die Anfänge. Erst hätten sie Menschen aus dem privaten Umfeld bei sich aufgenommen. Die Idee war einfach: In ländlichem und familiärem Umfeld sollten die Personen zur Ruhe kommen und den Weg zurück in den Alltag finden. Die gemeinsame Handarbeit böte ideale Voraussetzungen.

Und doch stiess Christine Stämpfli an ihre Grenzen. Ab und an sei sie frustriert gewesen, weil die Wiedereingliederung nicht geklappt hätte, sagt sie. Wirklich anstrengend sei es gewesen, ja, sogar als persönliche Enttäuschung habe sie es hingenommen, wenn es nicht wunschgemäss funktioniert habe. Sie erinnert sich an eine suchtabhängige Person, die trotz aller Zuwendung nicht von den Drogen lassen konnte. «Ich hatte zu Beginn eine märchenhafte Vorstellung von dieser Arbeit», blickt sie zurück. Just zu der Zeit, als sie die Nase voll hatte, erhielt die Familie von der Gemeinde einen Innovationspreis für ihren Hof. Mit frischem Elan ging es weiter.

Notwendige Distanz finden

Heute betreuen Christine Stämpfli und Rüedu Schüpbach Menschen mit psychischen Problemen und auch Suchtkrankheiten. «Unser Angebot ist niederschwellig», sagt Christine Stämpfli, «wir bieten etwas zwischen einer Tagesklinik und dem ersten Arbeitsmarkt». Es gibt Personen, die

anfangs zwei Stunden pro Tag mitarbeiten und später bei einem Arbeitspensum von 70 Prozent angelangen.

Mittlerweile ist Christine Stämpfli um zahlreiche Erfahrungen reicher und weiss, dass nicht jede Geschichte mit einem Happy End ausgeht. Mit den Jahren hätten sie auch gelernt, die notwendige Distanz zu finden. So ist unter dem Dach eine Privatwohnung entstanden. Nach dem gemeinsamen Nachtessen findet Christine Stämpfli nun auch mal Feierabend im obersten Stock.


Inzwischen ist es Znünizeit. Heute sind es sechs Personen, die sich mit Tee, Kaffee und Kuchen bedienen. Keiner zückt das Natel, es piepst nicht einmal. Christine Stämpfli und Rüedu Schüpbach erzählen von ihren Ferien in Finnland. Wenn die beiden wegfahren, dann meist nicht nur um die Ecke. «Wir sind schon früher viel gereist und machen das heute noch gerne.» Letztes Jahr stand Kuba auf dem Flugticket. Mittlerweile helfen Tochter Jana und Sohn Dan als Ferienablösung zu Hause aus.


Obereichi kommt weit herum


Das ganze Jahr werden Tees gemischt, Bestellungen verarbeitet und der eigene Hofladen im Spycher aufgefüllt. Weit über die Region Gantrisch hinaus stehen die mehr als 50 Produkte mit 
dem Obereichi-Logo in den Verkaufsregalen. Tee- und Früchtemischungen, Einzelkräuter, Sirup, getrocknetes Gemüse oder das «Bärner Getreide Risotto» reihen sich in schönster Farbenpracht. Als gelernte Köchin tüftelt Christine Stämpfli an der Verarbeitung der Produkte. Ihr Ziel: Alles, was auf dem Hof produziert wird, soll auch da verarbeitet werden. Noch fehlt das Kartoffelprodukt. Irgendwann wird es soweit sein: dann wird auch die weisse Ditta und die rote Desirée in verarbeiteter Form in den Regalen stehen.


Sandra Joder

Weitere Informationen finden Sie unter: www.obereichi.ch