Als Sandra Fitze hinter sich das Tor zum Gitzistall schliesst, wuseln die 90 jungen Geissen wild durcheinander. Es sind «Gemsfarbige Gebirgsziegen», die allermeisten von ihnen

haben auf dem Rücken einen schwarzen Streifen und sind teilweise an Kopf und Bauch ebenfalls schwarz gezeichnet. Einzelne haben am Kopf 
kleine weisse Flecken, sie sind zwischen fünf und sechs 
Wochen alt.


Bald in die Metzgerei


Ein Gitzi beginnt lebhaft die Bäuerin zu liebkosen, als diese es auf den Arm nimmt. Zwanzig bis dreissig weitere Gitzis streichen Sandra Fitze um die Beine und knabbern an ihren Hosenbeinen. Sie weiss, dass dieser Anblick dem Zuschauer das Herz schmelzen lässt. «Natürlich sind sie so herzig und viele von ihnen habe ich mit der Flasche geschöppelt» sagt sie, ohne auf eine entsprechende Frage zu warten, «doch sind sie unser

Verdienst und deshalb müssen sie auch schon bald in die Metzgerei.»

Gitzi mit einem Gewicht zwischen viereinhalb und neun Kilos seien die klassischen

Ostergitzi und beim Konsument am beliebtesten. Diesen Frühling haben sie bereits 180 Tiere abgeliefert. Diejenigen mit der gelben Ohrmarke werden zu Milchgeissen nachgezogen.


Als Sandra Fitze 2001 auf den Hofberg kam, war dieser ein Pachtbetrieb. Sie bauten damals eine Wohnung im Dachgeschoss für die Schwiegereltern und konnten den Hof zehn Jahre später erwerben. Ursprünglich war der Betrieb, hoch über der Stadt Wil SG gelegen und von modernen Wohnbauten umgeben, ein klassischer Milchwirtschaftsbetrieb. Später entschied man sich zusätzlich für Mastmunis und heute hat sich die Aufzucht von Rindern durch
gesetzt.


Rind und Geiss sind ideal

Für Geissen entschieden sich Sandra und ihr Mann Niklaus, weil sie vor dreizehn Jahren nach einem neuen Betriebszweig suchten und die Geissenmilch damals ein gesuchtes Produkt war. Das junge Paar hatte 2005 die Möglichkeit, einen Betrieb mit einer Scheune und zehn Hektaren Land in der Nachbarschaft zu übernehmen. So einigte man sich auf Geissen mit der Idee, die Milch zu vermarkten und Gitzifleisch zu produzieren, erklärt die Bäuerin später am Küchentisch.

Für die Geissen, wie auch für die Rinder, wurden in den vergangenen Jahren neue Ställe gebaut. Die Kombination von Aufzuchtrindern und Milchgeissen findet Sandra Fitze ideal. Speziell auch, weil die Rinder über die Sommermonate auf der Alp seien und sie dadurch mehr Kapazitäten frei hätten für den Ackerbau und das Heuen. «Im Winter gibt es mit dem ‹Gitzeln› viel zu tun. Daneben arbeitet mein Mann im Holz. Im Hofladen werden eigene Produkte angeboten; auf dem Hof  leben ausserdem noch fünf Esel, zwei Stuten, ein Hengst sowie Kaninchen.»


Trotz Melkroboter streng


Für Sandra Fitze beginnt der Tag früh. Um halb fünf Uhr steht sie auf und fährt einen Kilometer weit zum Geissenstall. Auch wenn mit dem neuen Melkroboter zwanzig Geissen gleichzeitig  gemolken werden können - eineinhalb Stunden dauert die Melkerei trotzdem. Füttern, Automat waschen, die kleinen «schöppelen» – alles gibt zu tun.

Unterdessen stehen ihre fünf Kinder zwischen 9 und 16 Jahren selbstständig auf. Frühstück und ab in die Schule. Die Älteste wird im Sommer ein Praktikumsjahr beginnen und ein Jahr später 
die Lehre als Fachangestellte 
Gesundheit antreten. Nach dem Mittag arbeitet die Bäuerin nochmals im Geissenstall und ab halb fünf beginnt das Melken erneut. «Die Arbeitsbelastung 
ist hoch», erzählt sie.


Gerne eine eigene Alp

Nach der Bäuerinnenprüfung und dem Lehrmeisterkurs habe sie zehn junge Frauen im Bäuerlichen Haushaltlehrjahr ausgebildet. «Eine bereichernde Zeit», sagt Sandra Fitze rückblickend. Leider habe sich mit dem neuen Modulsystem vieles verändert, und deshalb habe sie sich entschieden, darauf zu verzichten. Glücklicherweise dürfe sie immer wieder auf die helfenden Hände ihrer Eltern zählen. «Um den Garten kümmert sich mein Vater und in der Küche packt meine Mutter oft an», sagt sie und lacht.

Sie hatten auch schon einen Angestellten auf dem Betrieb, doch seit längerem organisieren sie sich ohne fremde Hilfe. Familienferien seien schwierig, doch zwei Tage  Bergwandern und die Natur geniessen, liege hin und wieder drin, erzählt sie. Am liebsten würde sie mal einen ganzen Sommer auf eine Alp gehen. Noch lieber würde sie mit ihrem Mann zusammen eine Alp kaufen und ihre Rinder dort übersömmern, schildert sie mit leuchtenden Augen. «Und überhaupt, Heuen ist so schön wie Ferien. »


Erholung mit Akkordeon


Wenn ihre Klassenkameradinnen zu Hause am Heuen waren, 
mussten Sandra Fitze und ihre Geschwister für ihre Schafe und anderen Haustiere heuen. Im Thurgauischen Dingetswil waren die vier Lehrerkinder die einzigen Nichtbauern. Aber in der 
Natur sein und mit den Händen arbeiten, das habe ihr immer besser gefallen, als etwa in der Stadt zu shoppen, erklärt sie. Trotzdem habe sie nach dem bäuerlichen Haushaltlehrjahr eine Lehre als Bäcker-Konditorin absolviert, habe engagiert Akkordeon gespielt und im Akkordeon-Spielring sogar mal als Präsidentin geamtet. Auch Rock’n’Roll habe sie getanzt und in der Landjugend mitgemacht.

«Für das Schwyzerörgeli spielen habe ich länger keine Zeit mehr gehabt, erst kürzlich bin ich mit der Tochter zusammen wieder eingestiegen und seither spielen wir hin und wieder in einer kleinen Formation.» Und wo erholt sich die engagierte Bäuerin? «Im Akkordeon-Spielring», sagt Sanda Fitze schnell. «Hier treffe ich meine Freunde, meine zwei jüngeren Schwestern, hier fühle ich mich wohl, und es muss etwas echt Gravierendes los sein, dass ich auf das Musizieren verzichte.»

Ruth Bossert