Herr Stern, für welche Personen, mit welchem Hintergrund und mit welchen Einschränkungen, haben Sie bereits an eine Platzierung im BWF gedacht und in der OGG angefragt?

Yves Stern: Ist eine familiäre Umgebung mit einer engen Begleitung gefragt, dann ist die OGG stets in der engeren Wahl. Ich habe die Erfahrung machen dürfen, dass innert nützlicher Frist individuelle Lösungen gesucht und angeboten wurden. Es wurden stets Gastfamilien vermittelt, die über die Bedürfnisse der Klienten informiert waren, die diese Bedürfnisse auch abzudecken vermochten. Junge Erwachsene, geistige Behinderung, psychische Erkrankung, Alter, Sucht, auf alle Situationen konnte bisher eingegangen werden.

 

Entspricht das Angebot BWF einem aktuellen Bedarf? Und wird es in Zukunft weiterhin einen Bedarf dafür geben?

Das Angebot wird auch in Zukunft gefragt sein, daran zweifle ich nicht. Individuelle Lösungen werden immer und gar vermehrt gesucht. 

 

Was sind die Chancen und Stärken dieses Betreuungsangebots?

Die Anbindung an eine familiäre Betriebsamkeit, das Beziehungsangebot in geregeltem Alltag und Normalisierung sind die herausragenden Stärken. Die fachliche, enge Begleitung der Gastfamilie, welche Sicherheit vermittelt, betrachte ich als Grundlage für das gute Gelingen.

 

Wo liegen die Schwächen des BFW? Wo gibt es Entwicklungspotential?

Bisher habe ich keine Facetten eines Angebots vermisst. Wie gesagt, individuelle Lösungen werden gesucht und angeboten. Wenn das Erforderliche nicht angeboten werden konnte, dann war die Wohnform nicht die richtige. Punkto Schwächen: Ich kann mich an einen konkreten Fall erinnern, bei dem eine Gastfamilie ihren Auftrag eigenmächtig ausgeweitet hat. Dies konnte umgehend angesprochen und geregelt werden. Ich sehe das nicht als eine eigentliche Schwäche der Organisation, eher als individuelles Problem.

 

Was sind die grössten und wichtigsten Anforderungen an die Gastfamilien? Was müssen die Gastfamilien richtig gut können?

Einerseits sind sie gehalten, einen Auftrag zu erfüllen, andererseits gehen sie eine Beziehung mit den Bewohnerinnen ein. Sie bewegen sich permanent zwischen vertraglicher Erwerbsarbeit im eigentlichen Sinne und Privatsphäre. Die Grenzziehung dürfte mit der Zeit schwerer fallen, wobei die Arbeitsbeziehung zwischen Gastfamilie und Begleiterin der OGG zum Tragen kommen dürfte. Sie müssen diesen Spagat richtig gut können, sich trotz persönlichem Engagements auf die sachliche Auseinandersetzung einlassen können.

 

 

 

Wie zufrieden sind Sie als Zuweiser mit den Platzierungen, die Sie im BWF gemacht haben? Wie haben sich Ihre Klienten entwickelt?

Ich sehe mich ungern als "Zuweiser"; dieser Begriff suggeriert Unfreiwilligkeit. Die Volljährigen, die ich als Beistand begleite, wählen nach ihrem Wunsch und Willen. Vermag das angestrebte Wohn- und Lebensumfeld die Bedürfnisse zu decken und ist die Finanzierung gesichert, dann vermittle ich gerne das Angebot in Zusammenarbeit mit der OGG. Klar strukturiertes, offenes Erst- respektive Kennenlerngespräch und Schnupperaufenthalt tragen zu einem erfolgreichen späteren Aufenthalt bei.

Bisher habe ich immer erlebt, dass aktuelle Themen meiner Klientinnen aufgegriffen wurden, so dass eine Entwicklung nach deren Vorstellungen begleitet werden konnte. Einmal verlief die Entwicklung leider im Sinne einer Reinszenierung misslungener Platzierungen zuvor, es kam also zu einem Abbruch. Dieser Möglichkeit waren wir uns alle bewusst. Als es dann leider passierte, organisierte die OGG umgehend eine Übergangslösung, bis ich die Anschlusslösung, diesmal ein betreutes Wohnen in einer entsprechenden Institution, also mit kollektivem statt familiärem Charakter, organisiert hatte.

 

Wie zufrieden sind Ihre Klienten im BWF? Welche Feedbacks bekamen Sie von ihnen?

Bis auf den genannten Abbruch waren die Rückmeldungen positiv. Wir wussten ja genau, was zu erwarten war, zum Beispiel ein sorgfältiges Eintrittsprozedere. Wenn es zu einem Austritt kam, war dieser absehbar. Kontakte zwischen Klientinnen und ehemaligen Gastfamilien kamen meist nicht zum Erliegen.

 

Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit den Beraterinnen des BWF-Teams?

Entgegenkommend, freundlich, ehrlich, realistisch, fachlich kompetent. Keine falschen Versprechungen, mit dem Mut, auch weiter zu verweisen. Das mag wie ein kleines Hohelied anmuten - ist aber so. Wirklich, ich habe noch nie das Gefühl gehabt, dass man meine Klientin oder/und mich hängen liesse.

 

Gibt es ein Highlight oder eine besondere Geschichte, die Sie im Zusammenhang mit dem Betreuten Wohnen in Familien erlebt haben?

Eine vermeintlich unspektakuläre Angelegenheit, die meinem ehemaligen Klienten aber unglaublich viel bedeutete, war, als für ihn ein überaus passendes Ferien- und Wochenendangebot organisiert werden konnte. Er lebte sonst in einer Institution. Das Ländliche, die Landwirtschaft bedeuteten ihm viel, waren mit identitäts-stiftend für ihn. Die "Sonderlösung" verschaffte ihm eine "Sonderstellung" innerhalb der Institution, denn er hatte das Privileg, einen Fuss draussen zu haben, eine permanente, verlässliche Verbindung in die "normale" Welt, ein eigenes Ferienressort sozusagen.

 

Welche Gedanken machen Sie sich im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen und politischen Veränderungen im Fürsorgebereich?

Wir hoffen auf eine Konsolidierungsphase nach einer Jahrhundertrevision im Erwachsenenschutzrecht. Der Mensch, die Solidarität sollten im Zentrum bleiben dürfen.

 

 

 

*Yves Stern ist dipl. Sozialarbeiter FH und arbeitet in der Sozialdirektion Burgdorf als Co-Leiter Kindes- und Erwachsenenschutz, in der Pflegekinder-Aufsicht und als Praxis-Ausbildner. Er ist seit 2008 Berufsbeistand und vermittelt seither Klientinnen und Klienten in das Betreute Wohnen in Familien der OGG Bern. Yves Sterns Motivation für seine Tätigkeit lautet: "Letztlich kommt es im Leben darauf an, was man getan - und nicht bloss gesagt - hat". 

 

Jonas Ingold/lid