Der grosse Saal am Inforama Rütti war am Donnerstagabend fast bis auf den letzten Platz voll, darunter viele Bauern. Das Thema «Pflanzenschutzmittel – Unterwegs zum Bioland Schweiz» scheint angesichts der aktuellen Herausforderungen stark zu mobilisieren.

Konstruktiver Dialog nötig

Als Redner geladen waren die stv. BLW-Direktorin und künftige Agroscope-Chefin Eva Reinhard, der Leiter der Berner Pflanzenschutz-Fachstelle Michel Gygax und Urs Niggli, langjähriger Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Frick.

Inforama-Leiter Markus Wildisen lancierte den Abend mit einer Übersicht zur Ausgangslage. Auslöser für den aktuellen Druck auf den Pflanzenschutzmittel (PSM)-Einsatz sei die Sorge um die Sauberkeit der Gewässer. Diese drückt sich nun hauptsächlich in Form der beiden pendenten Volksinitiativen aus. Es brauche einen konstruktiven Dialog, so Wildisen.

Grösste Probleme entstehen auf dem Hofplatz

Zum Auftakt erläuterte Eva Reinhard den im September verabschiedeten Aktionsplan Pflanzenschutzmittel des Bundes. Sie stehe zu 150% dahinter, sagte sie. Es gebe Handlungsbedarf und der Aktionsplan nehme diesen auf. Sie wies im Weiteren darauf hin, dass die Belastung der Gewässer durch allerhand andere Substanzen deutlich zu wenig gewürdigt werde. So flössen jedes Jahr mehrere Dutzend Tonnen Medikamente den Rhein runter, während die Belastung durch PSM deutlich tiefer lägen.

Michel Gygax gab Auskunt über das bernische Pflanzenschutz-Projekt. Dieses unterstützt Reduktionsmassnahmen beim PSM-Einsatz seit 2017 mit insgesamt 62 Mio Fr. über 6 Jahre. Er betonte, die Reduktion der Risiken müsse vor allem bei den Punktquellen ansetzen. 50 bis 70 Prozent der Verschmutzungen entstünden auf dem Hofplatz.
Gygax regte an, die Gesamtbetrieblichkeit von Bio zu lockern, es wäre der Reduktion der PSM dienlich, wenn man nur einzelne Kulturen biologisch anbauen könnte. Dieses Ansinnen stiess bei den Biobauern im Saal aber auf wenig Gegenliebe.

Braucht es einen Gegenvorschlag?

Viel zu reden gab die Trinkwasserinitiative, die im Januar eingereicht und mittlerweile als gültig bestätigt wurde. Michel Gygax erklärte, diese sei «fast sexy» formuliert. Niemand könne gegen sauberes Trinkwasser sein, deshalb sei sie potenziell gefährlich, aber gleichzeitig habe sie den Vorteil, die Leute zu sensibilisieren für einen sorgsameren Umgang mit PSM.

Urs Niggli erklärte, die Initiative nehme ein echtes Versäumnis auf, werde den Biolandbau aber nicht ungeschoren lassen. Er forderte deshalb einen «sehr guten Gegenvorschlag». Er glaubt, dass dieses Ansinnen bis weit in die Bioszene Unterstützung finde, in einen solchen gehöre auch eine Lenkungsabgabe. Wie Eva Reinhard erklärte, sei die Lenkungsabgabe auch im Aktionsplan gestanden, in der Bundesratsbehandlung sei diese aber wieder rausgefallen. «Wir mussten schnell die Medienmitteilung ändern», erinnerte sie sich.

Pro und Contra Lenkungsabgabe

Ob eine Lenkungsabgabe sinnvoll ist, das war aber sehr umstritten. Anders als Niggli und Reinhard lehnt Hans Jörg Rüegsegger, Präsident des Berner Bauernverbands das Instrument ab, es erhöhe die Abhängigkeit der Landwirtschaft von Direktzahlungen. Skeptisch zeigte sich auch Michel Gygax.

Ohnehin war man sich im Saal uneinig, ob es einen Gegenvorschlag braucht. Mehrere Besucher erklärten, sie lehnten einen solchen ab. Damit sind sie nicht alleine, auch die Spitze des Bauernverbands und die Industrie lehnen einen solchen ab. Die Tendenz geht eher Richtung Darstellung der Initiative als sehr radikal und die Hoffnung darauf, dass die Stimmbürger dies auch so sehen. Eine weitere Besucherin warnte aber, man dürfe die Sympathie für das Ansinnen unter der bezüglich Landwirtschaft mehrheitlich ahnungslosen Bevölkerung nicht unterschätzen.

Eva Reinhard warnte vor gravierenden Auswirkungen der Initiative. Es sei kein gutes Szenario, den Ackerbau aufgrund eines PSM-Verbots zu reduzieren und dann wegen mehr Grünland auf den Tierbereich auszuweichen. «Wir beim BLW haben auch Angst, dass die Initiative eine Chance haben könnte», sagte sie. Man sei zu lange zu wenig ehrlich gewesen mit den Konsumenten. Die Zeit, die Transparenz vor der Abstimmung wieder hinzubringen, sei möglicherweise zu kurz.

"Probleme nicht exportieren"

Hans Jörg Rüegsegger erklärte, die Initiative dürfe nicht dazu führen, "dass wir die Probleme exportieren". Er wisse nicht, ob jemand im Saal das Bioland Schweiz noch erleben werde, auch mit erhöhter Lebenserwartung, auch weil die Auswirkungen noch zu wenig bekannt seien. «Kann der Markt die Produkte noch aufnehmen?», fragte er sich. Dabei erhielt er Unterstützung von David Brugger vom SBV.

Man sollte das Marktargument nicht bremsend einsetzen, erklärte Urs Niggli, der Bauernverband müsse noch etwas an Optimismus zulegen. Kein Entwicklungsland der Welt könne es sich leisten, den Biolandbau mit Direktzahlungen fördern. Dort zeige sich aber, dass die Landwirte alleine durch gute landwirtschaftliche (Bio-)Praxis bessere Erträge erwirtschafteten.

akr