Wer erinnert sich noch an die Ehec-Krise im Jahr 2011? Als plötzlich über 3500 Menschen in Deutschland an Infektionen mit dem gefährlichen Darmkeim erkrankten und 53 gar daran starben? Es folgten damals Wochen der Unsicherheit: Plötzlich kaufte in der Schweiz niemand mehr Gurken, weil Gerüchte diese als mögliche Infektionsquellen ausmachten. 

Ehec-Krise wäre klärbar

Nach wochenlangen Recherchen identifizierten die zuständigen Behörden schliesslich einen deutschen Betrieb mit Sprossenanbau als vermeintliche Hauptquelle der Verunreinigung mit dem gefürchteten Darmkeim. Bis heute bestehen allerdings grosse Zweifel, ob der schliesslich haftbar gemachte Betrieb wirklich alleine am Ursprung der Ehec-Krise stand. Nicht nur weil die fragliche Sprosse mit dem Keim zum damaligen Zeitpunkt gar nicht mehr existierte. Sondern auch weil sich das Rückverfolgbarkeitssystem schlicht als zu langsam und offensichtlich als mangelhaft erwies. 

Schon in wenigen Jahren dürfte so etwas wie damals aber nicht mehr vorkommen: Mit der Blockchain-Technologie steht ein mächtiges Hilfsmittel vor der Einführung in der Foodlogistik, das die Transparenz und Rückverfolgbarkeit von Frischegütern in neue Dimensionen führen könnte.

Verkettete Daten 

Der Begriff «Blockchain» dürfte dem einen oder anderen vor allem im Zusammenhang mit Bitcoin schon einmal begegnet sein. Doch die Kryptowährung ist nur eine von vielen Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain-Technologie. 

Die amerikanische Startup-Firma Ripe.io beispielsweise startete ein Blockchain-Pilotprojekt mit Tomaten. Dabei wurden Reife, Farbe, Zuckergehalt aber auch Temperatur, Licht oder Feuchtigkeit in der Umgebung gemessen und dokumentiert. Es folgte die Erfassung von weiteren Daten zu Lagerbedingungen, Transport bis zur Auslieferung an den Endkunden. 

Die Daten sind dabei in einzelnen abgeschlossenen Blöcken abgelegt, die miteinander verkettet zur Blockchain werden. Die einzelnen Blöcke sind kryptografisch verschlüsselt und identische Kopien davon dezentral auf vielen einzelnen Computern gespeichert. 

Maximale Transparenz

Ein Manipulationsversuch an einem der Blöcke würde sofort auffallen. Die an der Blockchain beteiligten Teilnehmer, beispielsweise in einer Lieferkette, können zwar alle Daten einsehen, aber nicht nachträglich verändern.

Die Blockchain-Technologie ermöglicht so eine maximale Transparenz und gilt als sehr sicher. Der Detailhändler, aber auch das kleine Restaurant als Abnehmer der genannten Tomaten kann in wenigen Sekunden alle möglichen Informationen zum Produkt abrufen. 

Computer machens möglich

Die heutigen Rechnerleistungen machen möglich, dass enorm viele Blockchain-Daten in Echtzeit abgerufen werden können. Beispielsweise auch zu Lagerbeständen, Reifestadien der Kulturen aber auch zur Anbauweise oder verwendeten Spritzmitteln. Künftig könnten Sensoren die Daten sogar automatisch an die Blockchain liefern. 

So wäre beispielsweise der Stand der Kulturen in einer Blockchain jederzeit sichtbar und der Erntezeitpunkt könnte in Absprache mit dem Handel optimiert werden. Die Abnehmer können ihre Warenbeschaffung dank der Blockchain effizienter und mit weniger Verlusten vornehmen, was letztlich zu weniger Foodwaste führt. 

Zudem sinkt der administrative Aufwand, weil viele bisher vorgenommene manuelle Kontrollen und mehrfach durchgeführte Aufgaben in der Lieferkette wegfallen.

Die Blockchain würde zudem gnadenlos aufzeigen, wie viel der Landwirt als erstes Glied in der Kette am Produkt verdient hat. Vorausgesetzt allerdings, dass sich die Teilnehmer auf die transparente Erfassung der Preise einigen. Denn letztlich entscheiden immer noch die beteiligten Partner, welche Daten tatsächlich erfasst werden. Die Datenhoheit bleibt bei den einzelnen Teilnehmern, diese können entscheiden, wer die Daten einsehen darf.

User behalten Datenhoheit

Die Konsumenten wiederum profitieren von der Transparenz in der Wertschöpfungskette und können am Verkaufspunkt den ganzen Lebensweg des Produktes zurückverfolgen. Unter anderem können sie auch die Herkunft überprüfen und ob es beispielsweise wirklich biologisch produziert worden ist. 

Doch was unterscheidet die Blockchain-Technologie von den heute bereits bestehenden Rückverfolgbarkeitssystemen, die ja mehrheitlich eigentlich schon ganz gut funktionieren? Heute gilt bei der Rückverfolgbarkeit das Prinzip «one step up – one step down»: Der Vorlieferant und der Abnehmer müssen jeweils identifiziert und dokumentiert sein. Im Ernstfall entsteht dann ein beträchtlicher Aufwand, wenn alle Papiere beschafft werden müssen. 

Alle Infos schnell verfügbar

In der Blockchain hingegen sind alle benötigten Informationen in einem einzigen Datensatz gespeichert. Vor allem bei komplexeren Produkten wie beispielsweise einer Fertigsalatmischung, mit Komponenten möglicherweise aus mehreren Ländern, kann das zu einem grossen Vorteil werden. 

Zudem ergeben sich aus der schnellen Verfügbarkeit von Daten zwischen Feld und Esstisch quasi in Echtzeit neue Möglichkeiten, auch im Zusammenhang mit dem auch in der Schweiz stark aufkommenden Onlinehandel mit seinen extrem kurzen Lieferfristen und den gleichzeitig sehr hohen Qualitätsanforderungen an die gelieferten Produkte. Diese Abnehmer werden nur Ware einkaufen, bei der sie ganz sicher sind, dass sie nicht schon ein paar Tage ungekühlt herumgestanden ist. 

Grosskonzerne am Testen

Grosse Lebensmittelkonzerne wie Nestlé, Unilever oder Walmart testen die Blockchain-Technologie bereits. 

Die französische Agrarrohstoffhandelsfirma Louis Dreyfus präsentierte Anfang Jahr ihre erste auf einer Blockchain-Plattform durchgeführte Transaktion anhand einer Lieferung von Soja von den USA nach China. In der Schweiz ist man derweil noch zurückhaltend. Migros verfolge zwar die Entwicklung der Blockchain-Technologie und sei daran interessiert, falls sich ein Business-Case ergebe, der den Kunden Vorteile bringe, lässt der Grossverteiler auf Anfrage ausrichten. Momentan bestehe jedoch kein konkretes Projekt. Ähnlich tönt es beim Konkurrenten Coop. 

Das dürfte sich schnell ändern. Fabian Wahl, Blockchain-Experte bei Agroscope, sagte kürzlich an einer Digitalisierungstagung an der Swiss Future Farm in Tänikon, dass die Nutzung der Blockchain-Technologie in den nächsten acht Jahren massiv zunehmen werde.

Produzenten profitieren auch

Die Ehec-Krise wäre mit der Blockchain-Technologie anders verlaufen: Die Infektions-Quelle hätte wahrscheinlich in einem Tag ermittelt werden können. Leben hätten gerettet und viele Tonnen Gurken vor der Biogasanlage bewahrt werden können. Die Schweizer Gurkenproduzenten bezahlten letztlich den Preis für ein zu langsam funktionierendes Rückverfolgbarkeitssystem. 

David Eppenberger