Bauern sind in Sorge: Früchte und Gemüse vergammeln auf Feldern, weil es zu wenig Erntehelfer gibt. Wo sind die vielen Saisonkräfte hin? So titelte anfangs Juni die deutsche Wochenzeitung «Die Zeit». In der Schweiz ist es (noch) nicht so weit. Doch wie geht es den Migrantinnen und Migranten in der Schweizer Landwirtschaft? Forscherinnen und Forscher der Universitäten Bern, Basel und Freiburg gingen dieser Frage nach und stellten ihre Ergebnisse Mitte Juni an einer Veranstaltung mit dem Titel «Bitteres Gemüse» vor.

Werbung zeigt Scheinwelt

«Wir geben alles für regionale Produkte.» Das ist einer der Werbeslogans von Migros, dem orangen Riesen mit Sitz in Zürich. «Auf dem Foto sieht man einen Bauern, der seine Tomaten direkt einer Verkäuferin aufs Velo lädt. Doch wo bleiben die ausländischen Helfer, die die Hauptarbeit der Ernte leisten?» Das fragt sich Soziologin Sarah Schilliger. Auch in der neusten Taschenstatistik Landwirtschaft und Ernährung des Bundes suche man vergebens nach Zahlen von in der Landwirtschaft tätigen ausländischen Arbeitskräften. Allerdings sei die Zahl dieser Menschen in den letzten 18 Jahren um 13 Prozent gestiegen, und das, obwohl die Gesamtzahl an in der Landwirtschaft tätigen Personen um einen Viertel abgenommen habe. «In dieser Zunahme seien die Kurzaufenthalter und Sans-Papiers noch nicht eingerechnet», gibt Schilliger zu bedenken.

Druck als Legitimation

Sozialanthropologe und Soziologe Nils Wyssmann hat auf einem grossen Gemüsebetrieb angepackt, um sich einen Eindruck vor Ort zu verschaffen. Anhand von Zitaten schilderte er den 35 Anwesenden an der Veranstaltung «Bitteres Gemüse», wie auf ausländische Arbeiter Druck ausgeübt wird und wie dieser Druck legitimiert werde. So seien die Hauptargumente für die zweifelhafte Behandlung der wirtschaftliche Druck oder das Wetter. Ausserdem gebe es ein unerschöpfliches Arbeitskräfte-Reservoir, erklärte Wyssmann. Für die Betriebsleiter seien Aussagen wie die folgenden deshalb selbstverständlich: «Natürlich, der Lohn der Leute hier ist nicht grad hoch. Aber die können froh sein, sind sie hier. Zu Hause verdienen sie ein paar Hundert. Mit der Situation ist beiden gedient.» Und: «Wenigstens werden die Leute hier legal angestellt. Früher hat man die Leute schwarz  arbeiten lassen – zur Hälfte des heutigen Lohns.»

Kontrollen greifen nicht

Dass es Schwarzarbeit auch heute noch gibt, weiss Sozialanthropologe Simon Affolter. Er arbeitete auf Betrieben und begleitete Inspektoren, die Arbeitsmarktkontrollen durchführten. Auf beiden Seiten würden Strategien für die Kontrollen entwickelt. «In der Praxis arbeiten beispielsweise illegale Arbeiter allein weit weg vom Hof und legale in Gruppen auf näher liegenden Feldern, wo auch eher kontrolliert wird», erzählt er. Es handle sich dabei um eine «Effizienzstrategie»: Seien viele Arbeiter kontrolliert worden, sei das Soll erfüllt. «Am Schluss sieht die Statistik ganz ordentlich aus», fasst Affolter seine Beobachtungen zusammen. 

Leider würden dann diese Statistiken herangezogen, um politische Vorstösse zu bekämpfen, die eine Verbesserung der Arbeits- und Lohnbedingungen erreichen möchten. Abschliessend erwähnte Affolter, dass nur Bewilligungen und Aufenthaltsstatus kontrolliert würden. «Arbeits- und Wohnverhältnisse wurden höchstens mit suggestiven Fragen kontrolliert, die sowieso auf ein Ja hinauslaufen.» Wenn zum Beispiel ein Inspektor wissen wolle: «Ist deine Wohnung in Ordnung?», dann sei die Antwort von vornherein klar. Das Kontrollsystem verfehlt nach Ansicht von Simon Affolter klar seine Wirkung.

Bauern stehen unter Druck

In der Diskussion kamen die Forscherinnen zusammen mit den Anwesenden zum Schluss, dass es sich in der Landwirtschaft grundsätzlich um prekäre Arbeitssituationen handle – nicht nur für die ausländischen Hilfskräfte. Generell werde sehr viel und oft für wenig Lohn gearbeitet und der Druck, vor allem seitens des Handels, sei enorm.

Damit der Druck auf die Landwirte und ihre Angestellte sinke, brauche es ein sozial verträglicheres und ökologisch sinnvolleres Ernährungssystem.

Franziska Schwab