Ich kann mich noch gut erinnern, als 1977 das erste Red-Holstein-Kuhkalb, eine Strickler-Tochter, mit einem schönen Bläss auf dem Kopf bei uns auf die Welt kam. Ich war als elfjähriger Bub ausser mir vor Freude. Die Freude hielt sich dann schon beim ersten Abkalben wieder in Grenzen. Denn das Euter entsprach doch nicht ganz meinen Wunschvorstellungen und der Traum war schon wieder ausgeträumt.

So wie mir dürfte es vielen Bauern ergangen sein. Denn obwohl die Probleme zu Beginn der 60er-Jahre erkannt wurden und auch wieder einige vielversprechende Simmentaler- und Original Braunviehstiere zur Verfügung standen, war die Geduld vieler Landwirte aufgebraucht. Anstelle der Reinzucht entschieden sich immer mehr für die Einkreuzung. So brach anfangs der 70er-Jahre eine richtige Euphorie aus, endlich durfte man Stiere aus Amerika und Kanada einsetzen. Fortan glaubte jeder, aus jedem Kalb gebe es nun eine schöne Kuh, eine Kuh mit viel Milch, eine Kuh, die gut zu melken ist und eine Kuh, die nie krank wird. Aber auch bei diesen Stieren gab es und wird es immer Enttäuschungen und Übeltäter geben, die aus einem Bock einen noch grösseren Bock machen werden.

Bis 1974 molk mein Vater noch von Hand. Auch ich versuchte es noch zu erlernen. Krampfhaft rupfte ich an den Zitzen, herum, bis ein Tropfen rauskam. Pia hiess zum Beispiel eine von unseren Simmentalerkühen. Sie war nicht die Allerschönste, hatte ein Euter wie eine Ziege und Zitzen wie Bierflaschen. Aber sie gab schon damals über 7000 kg Milch. Man befürchtete sogar, man müsse wegen ihr eine eigene Käserei eröffnen. 1975 hielt dann die Melkmaschine Einzug. Ich glaube, der Vater hatte am Anfang mehr Freude daran als unsere Kühe, denn Vätu musste weiterhin die halbe Milch von Hand rausziehen. Die Simmentalerkühe liessen sich damals nur schwer mit der Maschine melken, das war mit ein Grund, warum er anfing, mit Red Holstein zu besamen.

Punkto Melkbarkeit, Exterieur und Milchleistung hat uns die Einkreuzung enorm viel gebracht. Aber die dazugehörenden Vorschriften von den Viehzuchtverbänden grenzten schon fast an eine Diktatur. Vor allem der Kanton Bern setzte diese mit starker Hand durch. Hatte eine Red- Holstein-Kuh zum Beispiel ein paar schwarze Haare, wurde sie aus dem Herdebuch ausgeschlossen. So erging es auch unserer Trimbo-Tochter Melissa (siehe Bild). Endlich eine Erstlingskuh, an der ich Freude hatte. Das sah auch der Experte Werner Gygax an der Viehschau so. Er stellte sie unangefochten auf den ersten Rang. Aber oha lätz, zu früh gefreut: Als es dann im Ring um die Wurst ging, sprach der Chefexperte (den Namen nenne ich hier jetzt nicht) ein Machtwort. Er setzte den Stift an und machte meiner Melissa ein Kreuz auf das «Füdle». Nun war sie nicht mehr die Erste, sondern die Letzte in ihrer Kategorie und wurde aus dem Herdebuch rausgeworfen. Wir gaben uns aber noch nicht geschlagen. Denn wir haben gehört, dass es diesbezüglich der Kanton Freiburg lockerer sah. So liessen wir Melissa halt ein Jahr später im Freiburgischen punktieren. Dabei hatte sie nicht nur viele Punkte gemacht, sondern sie hatte zugleich auch die Herdebuchberechtigung erhalten.

Für viele Bauern sind die heutigen Kühe wegen der Einkreuzung zu scharf, zu leerfleischig, ja sogar zu gross geworden. Von der einst starken roten Kuh ist nicht mehr viel übrig geblieben. Viele Züchter machen diesen Trend nicht mehr mit. Die Original-Rassen wie die Simmentaler und das Braunvieh erleben schon lange eine Renaissance mit steigenden Mitgliedern- und Kuhzahlen. Wenn man heute ihre Kühe sieht, kommt man buchstäblich ins Schwärmen. Denn auch sie haben in den letzen 50 Jahren nicht geschlafen und sehr gute Zuchtarbeit geleistet. Wegen der zu starken Einkreuzung ist schlussendlich auch die neue Rasse «Swiss Fleckvieh» entstanden. Das Zuchtziel dieser Rasse ist eine robuste, starke Zweinutzungskuh mit guter Milch, hohen Gehalten und guten Fitnesseigenschaften. Kritiker behaupten aber weiterhin, dass wir heute wegen der Einkreuzung zu viel Milch und zu wenig Fleisch haben. Dabei dürften sie nicht ganz unrecht haben. Die vielen Vorteile, die uns das frische Blut gebracht hat, überwiegen aber doch eindeutig.

Nachdem man in den 1950er-Jahren in Amerika die roten Kälber systematisch getötet hat, weil man glaubte, sie hätten einen Gendefekt, ist die Red-Holstein-Kuh ein zweites Mal vom Aussterben bedroht. Schaut man die Herdebuchzahlen an, so verliert sie leider immer mehr zugunsten der schwarzen Holsteinkuh an Terrain. Darum, liebe Bauern und Züchter, haltet Sorge zu eurer starken roten Kuh, denn sie hat es verdient! 

Peter Fankhauser