Die Preiserhöhung hat CEO Joos Sutter im Interview in der «Sonntagszeitung» bekannt gegeben. Damit das funktioniert, hebt Coop die Tierwohl-Standards für ganz normale Pastmilch an. Die Kühe müssen nun regelmässigen Auslauf im Freien haben und einen weiteren Standard der Tierwohlprogramme des Bundes erfüllen. «Bauern die dem Folge leisten, bekommen vier oder sechs Rappen mehr pro Kilogramm Milch», sagte Sutter.

Der jüngste Schachzug im Kampf um Image und Marktanteile zeigt zwei Dinge exemplarisch: Geschenkt wird einem im Markt nichts. Und höhere Preise gehen immer einher mit höheren Anforderungen, die in der Regel auch höhere Produktionskosten zur Folge haben. Das Verhalten von Coop wirft ausserdem noch weitere Fragen auf. Ist es gerechtfertigt, dass der Handel einfach so die Anforderungen erhöht? Und was heisst das für die Agrarpolitik und die Bundesprogramme?

Zuerst zum Handel und seinen Anforderungen: Der Schweizer Detailhandel ist mächtig. Dass der Detailhandel die Schweizer Kaufkraft mit teilweise ungerechtfertigt hohen Preisen abschöpft, darauf weist der Preisüberwacher regelmässig hin. Und das Migros und Coop vom Grenzschutz mitprofitieren, obwohl der Mechanismus für die Bauern gedacht ist, darauf wies das Bundesamt für Landwirtschaft schon mehrmals hin. Ausserdem ist der Detailhandel nicht unbedingt bekannt dafür, dass er ein verlässlicher und stabiler Partner wäre. Doch das ist bei der Erhöhung des Milchpreises nicht das Thema. Stattdessen stehen die Standards im Vordergrund. Und hier diktiert der Detailhandel fast nach belieben, was gilt – und was nicht. Das ist insofern bedenklich, als dass die Bauern dem Detailhandel die schönen Bilder von der Kuh auf der Weide und dem Huhn im Auslauf bieten. Es sind die Bauern, die für die Qualität der Produkte sorgen; und zwar in jedem Fall.

Dann zu der Ausrichtung der Agrarpolitik und der Bundesprogramme: Diese dienen theoretisch dazu, sogenannte externe Effekte abzugelten. Externe Effekte sind positive wie negative Auswirkungen der Landwirtschaft auf Mensch und Umwelt, die am Markt keine Bedeutung und keinen Preis haben. Sie passieren, werden aber weder entschädigt noch gebüsst. Die Agrarpolitik nutzt positive externe Effekte, um Anreize zu schaffen und negative externe Effekte, um die Freiheit der Landwirte zugunsten der Umwelt einzuschränken. Der Bund schafft einen Markt für Güter und Dienstleistungen (Blumenwiesen, Biodiversitätsförderflächen, und noch viele mehr), die der Gesellschaft wichtig sind. Theoretisch gilt dieses Konzept auch für die Ausgestaltung der Tierwohlprogramme und des Tierschutzgesetzes: Direktzahlungen erhält, wer das Tierschutzgesetz einhält. Einen Bonus erhält, wer nach besonders tierfreundlichen Kriterien einen Stall baut oder sein Vieh regelmässig auf die Weide lässt. Der Bund setzt damit einen Anreiz für 
eine Tierhaltung, die nach heutigem Erkenntnisstand dem Tier gerecht wird.

Dass Coop jetzt zwei dieser Programme, namentlich BTS und RAUS, als Standard für den höheren Milchpreis verwendet, macht zwei Dinge deutlich: Erstens wächst auch im Handel das Bewusstsein, dass positive externe Effekte sehr wohl vom Konsumenten bezahlt werden. Und das liegt zweitens daran, dass sich auch die Konsumenten vermehrt für Fragen der Nachhaltigkeit und Ökologie interessieren. Und das ist richtig, wichtig, gut und muss unbedingt 
gefördert werden. Davon profitieren nämlich alle; die Bauern, der Handel und der Konsument und nicht zuletzt die Umwelt.

Agrarpolitisch stellt sich damit allerdings die Frage, inwiefern die Bundesbeiträge für das Raus-Programm und BTS noch sinnvoll sind: Wenn nämlich der Konsument bereit ist, für höhere Standards zu bezahlen, braucht es eigentlich keine teuren Bundesprogramme (mehr). So besehen wäre es durchaus sinnvoll, die Beiträge in andere Programme zu stecken und die Abgeltung von Tierwohl-Leistungen dem Konsumenten überlassen. 
Für die Zukunft der Schweizer Landwirtschaft wäre das selbst mit mehr Freihandelsabkommen und offeneren Märkten zudem die beste Versicherung. Denn wenn der Konsument bereit ist, für ein gutes Produkt mehr zu bezahlen, und der Handel die höheren Erträge auch weitergibt, dann bietet das für alle Akteure in der Wertschöpfungskette eine Zukunftsperspektive, die den Namen auch verdient. Es wäre eine Perspektive, die sowohl Bauern als auch deren Kühe glücklich machen könnte.

Hansjürg Jäger

Diese Analyse finden Sie in der BauernZeitung vom 22. Juni. Lernen Sie  die BauernZeitung jetzt 4 Wochen kostenlos kennen und gewinnen Sie einen Reisegutschein im Wert von 3000 CHF.