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Kleine Randbemerkung zum Titel: “Muzungu“ bedeutet in der sambischen Verkehrssprache Nyanja „Weisser“.

Heute mal kein Käse, oder nur am Rande – ich bringe eine Anekdote von einem Nebenschauplatz meines Einsatzes in Sambia: die Mithilfe bei der Ausbildung von KleinbäuerInnen in nachhaltiger organischer Landwirtschaft.

Wie es der Name meiner Partnerorganisation bereits sagt, wird am Kasisi Agricultural Training Centre (KATC) Bildungsarbeit geleistet. Ein Gefäss der biolandwirtschaftlichen Wissensvermittlung am KATC sind Workshops. Sie finden jeweils in der Trockenzeit zwischen April und November statt, wenn die BäuerInnen kaum Feldarbeiten zu erledigen haben.

Letzthin wurde im Konferenzzentrum in Kasisi der fünftägige Grundkurs Biolandwirtschaft abgehalten, für und mit KleinbäuerInnen aus verschiedenen Regionen Sambias.

Finanziert wurde der Workshop von der US-amerikanische Hilfsorganisation Peace Corps. Ein einwöchiger Kurs mit Vollpension kostet am KATC umgerechnet rund 300 Franken – das können sich die meisten sambischen KleinbäuerInnen mit ihren Einkünften aus der Subsistenzlandwirtschaft nicht leisten. Für sie sind solche Bildungskurse nur dank der Finanzierung durch internationale Hilfs- und Entwicklungsorganisationen möglich.

Im Grundkurs „Sustainable Organic Agriculture“ werden den Teilnehmenden die Prinzipien der Biolandwirtschaft erklärt. Die KATC-Ausbildner erläutern ihren Landsleuten auf anschauliche Art den Kreislaufgedanken und die Bodenfruchtbarkeit. Auch die Wichtigkeit der bäuerlichen Saatgutzucht ist Thema.

Letztlich dreht sich alles um bäuerliche Souveränität im sambischen Kontext: sich und seine Familie gesund zu ernähren und genug zu verdienen, um Schulgebühren, medizinische Behandlungen usw. bezahlen zu können.

Wobei es nicht erstaunen dürfte, dass bei KleinbäuerInnen, die unter prekären Bedingungen leben, das wirtschaftliche Argument für den Biolandbau am besten verfängt. Hybridsaatgut, Kunstdünger und Pestizide sind teuer, auch wenn sie z.T. von der Regierung subventioniert werden.

Eine Landwirtschaft, die mit Bauernsorten, Leguminosen, Mischkulturen, Fruchtfolgen, Mist, Kompost und natürlicher Schädlingsbekämpfung auskommt, kostet weniger. Den BäuerInnen bleibt trotz geringerer Einzelerträge am Ende des Tages mehr Bares in der Tasche.

Zurück zum Kurs: Zur Veranschaulichung, wie die biolandwirtschaftlichen Prinzipien umgesetzt werden, gibt es Module zu den Bereichen Tierhaltung, Gemüseproduktion, Schädlingsbekämpfung, Mischkulturen usw.

Hier komme ich ins Spiel. Die von mir aufgebaute Molkerei am KATC kann auch als Vorzeigebeispiel für kleinbäuerliche Milchgenossenschaften herhalten. So wurde mir im Rahmen des biolandwirtschaftlichen Grundkurses die Durchführung des Moduls „Agro Processing and Value Addition“ (Lebensmittelverarbeitung und Wertschöpfung) anvertraut – kurzfristig und ohne inhaltliche Vorgabe, ganz Sambisch halt.

Eine Stunde mit 21 KleinbäuerInnen, ein paar Definitionen: Verarbeitung/Konservierung/Mehrwert, möglichst einfach, mit anschaulichen Beispielen aus dem sambischen Alltag (Mais, Mangos, Maniok), ein paar schöne Fotos, das ganze verpackt in eine kurze Powerpoint-Präsentation. Und dann die Besichtigung der Molkerei und Erläuterungen zu unserer Milchverarbeitung. So der Plan.

Am Vortag meines Unterrichts wollte ich herausfinden, ob der Projektor verfügbar war. Über den Umweg in drei Büros fand ich heraus, dass der Beamer bereits von einem anderen am KATC stattfindenden Kurs beansprucht wurde.

Ich fragte die externe weisse Kursleiterin, ob sie den Projektor am nächsten Morgen für eine Stunde entbehren könne, erhielt aber keine klare Antwort – ja vielleicht, je nachdem. So entschied ich mich halt: ich würde die bereits erstellte Powerpoint-Präsentation nur als Leitfaden für mich verwenden und keine Fotos zeigen. „No problem“.

Am nächsten Morgen referierte zuerst der Livestock Supervisor über „Tierhaltung im Biolandbau“. Als er mich fünf Minuten vor dem geplanten Beginn meiner Session vor der offenen Türe des Unterrichtsraums erblickte, kam er heraus und beschied mir, dass sein Modul „etwas länger“ dauern würde – er habe den KursteilnehmerInnen Gruppenaufträge erteilt, und die Gruppen profilierten sich nun in der Plenumspräsentationen mit ihrem Wissen und hielten folglich die Zeitvorgabe nicht ein.

Super: Gruppenarbeiten in einem einstündigen Modul abhalten! – dachte ich. Gesagt habe ich: „no problem“. Den Widerspruch zwischen dem Gefühlten und der kulturell angemessenen Kommunikation auszuhalten, strapaziert gelegentlich meine Nerven. Item. Mit rund 45 Minuten Verspätung konnte ich schliesslich loslegen.

Obschon die offizielle Unterrichtssprache in den KATC-Workshops Englisch ist, hatte der Livestock Supervisor festgestellt, dass nicht alle TeilnehmerInnen die offizielle sambische Amtssprache verstehen. Er werde darum meine Präsentation in eine gängige Lokalsprache übersetzen, meinte er. Ungut, dachte ich: dann muss ich den Inhalt spontan kürzen und verdichten. „No problem“, sagte ich.

Den Livestock Supervisor schien es nicht zu kümmern, dass der Zeitplan völlig aus dem Ruder lief. Er übersetzte meine Definitionen, knappen Erklärungen und auch die rhetorischen Fragen nicht nur sprachlich, sondern selbstverständlich auch kulturell: in ausschweifenden Geschichten zu den Stichworten, die ich ihm lieferte.

Die gefühlte Sprechzeitquote zwischen mir und meinem sambischen Übersetzer war mindestens eins zu drei. Während der Livestock Supervisor in sambischem Duktus eine Abhandlung über das grossartige Erzielen von Mehrwert durch die Verarbeitung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen hielt, übersprang ich bei meiner Powerpoint-Vorlage Seite für Seite. Jetzt bloss nicht auch noch das Konzept der Direktvermarktung einführen, sonst dauert es ewig.

Irgendwann kriegte ich die Kurve, um zur Besichtigung der Molkerei überzuleiten. Mit Mister Konsolo, meinem Molkereimitarbeiter, war abgemacht, dass ich zuerst über die Gründe spreche, warum wir in Kasisi Milchverarbeitung machen und welche Produkte wir herstellen.

Er sollte dann kurz etwas zu den verwendeten Gerätschaften sagen, hauptsächlich zum Pfannen-Pasteur und zur Rahmzentrifuge. Doch nachdem ich Mister Konsolo den KursteilnehmerInnen vorgestellt hatte, ergriff dieser das Wort und begann detailliert über die Herstellung von Käse, Joghurt und Co. zu referieren. Ich konnte es kaum fassen, liess ihn aber erst mal machen.

Unterdessen hatten wir bereits 45 Minuten überzogen, die Teepause war längst übersprungen. Zwar hatte sich die Lehrperson für das anschliessende Modul noch nicht blicken lassen. Ich schaute trotzdem immer wieder auf die Uhr, gab Mister Konsolo nonverbale Zeichen, seine Ausführungen zu beenden – und verzweifelte fast.

Er war unterdessen bei den Kulturen und deren Bedeutung für die Milchverarbeitung angelangt. Schliesslich schaffte ich es, meinem epischen Mitarbeiter nicht allzu brüsk das Wort abzuschneiden, beantwortete noch zwei-drei Fragen und bedankte mich schliesslich bei den Teilnehmenden für die Aufmerksamkeit und das Interesse. Alle schienen zufrieden zu sein. Die etwas gar flexible Handhabe des Programms? „No problem“. Ich war erleichtert, dass die unterschiedlichen kulturellen Zeitvorstellungen und Kommunikationsstile nicht in einem Desaster geendet hatten.

A propos Desaster: der Lieferwagen aus der letzten Folge ist nach nur einem Einsatz bereits wieder in der Garage. Diesmal ist die Gangschaltung ausgestiegen. Und die Kühlung funktionierte nicht. Morgen ist Montag. „We are trying and life goes on“ (wir versuchen's und das Leben geht weiter).

Markus Schär