Sie lesen trotzdem weiter? Gut, dann fangen wir an. Und zwar bei der definitiven Aufhebung der Milchkontingentierung 2009. Seit sich der Staat nämlich aus dem Milchmarkt verabschiedet hat, und erst recht seit die AP 2014-17 in Kraft ist, befindet sich die  Schweizer Rindviehzucht im Umbruch. Wegen stetiger Leistungssteigerungen bei den Milchkühen haben wir heute noch knapp 570000 Milchkühe. Zum Vergleich: 1997 waren es noch 744'000 Kühe, allerdings damals mitsamt  den Mutterkühen.  Weniger Milchkühe heisst weniger Kälbergeburten und weniger Tränkekälber für die Kälber- und Grossviehmast. Das heisst weniger Umsatz für den Viehhandel mit Tränkern, Mastkälbern, grossem Mastvieh und Schlachtkühen. Parallel zum Milchviehmarkt wächst der Markt mit Fleischrindern aber nicht in dem Ausmass, wie Milchvieh verliert. Die Folgen sind Umsatzverluste beim Handel und weniger Wertschöpfung im Inland für die ganze Fleischbranche. Ginge es nach der reinen Marktlehre, müsste sich die Zahl der Händler deshalb rasch reduzieren.

In der Realität funktioniert kein Markt nach der reinen Marktlehre. Und die Agrarmärkte erst recht nicht, sie funktionieren anders. Die Nachfrage nach Lebensmitteln (Rindfleisch) weist eine geringe Preiselastizität auf, zuviel und zuwenig liegen nahe beieinander. Dank einer Selbstversorgung von 85 Prozent mit Rindfleisch hat man  gute Viehpreise, denn die 15 Prozent Importe funktionieren als Ventil, 

um den Markt wenn nötig zeitlich limitiert mit Rindfleisch zu versorgen. Ein Teil der Wertschöpfung fliesst zwar ins Ausland und der Viehhandel verliert Umsatz. Dem Fleischmarkt, der heute recht gut geschützt ist, würden jedoch bei zukünftigen, nicht auszuschliessenden  Freihandelsabkommen heftige Einbrüche der Produzentenpreise drohen.

Wegen dieser Ausgangslage hat der Schweizerische Viehhändlerverband (SVV) die «Zukunftstagung Rindviehwirtschaft Schweiz» angeregt, die am Mittwoch dieser Woche an der Berner Fachhochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) über die Bühne ging.

Die Milchbauern haben auf die Teilöffnung des Milchmarktes bereits reagiert. Sie halten weniger Kühe, die dafür umso  mehr Milch geben. Wer Milchvieh-Auktionen besucht, stellt fest, dass die gefragte Milchkuh mindestens 8000 Kilo oder besser 10'000 kg  Milch je Laktation gibt, ein funktionelles Euter, gesunde Klauen und eine gute Fruchtbarkeit hat. Diese Kühe sind gefragt und erzielen Preise von 3'000 bis 3'500 Franken. Die Milchleistung je Kuh steigt und steigt, der Strukturwandel bei den Milchbauern hält an und die Umsätze des Viehhandels sinken. Diese Entwicklung kann aus heutiger Sicht kaum zurückgedreht werden.

Als eine einfache Lösung wird vom Handel der Tränker-Import vorgeschlagen. Ob der Konsument Kalb- und Rindfleisch goutieren würde von im Ausland geborenen Kälbern, ausgerechnet im Jahr, in dem die Swissness gesetzlich verankert wurde? Wohl kaum, deshalb lässt der Handel besser die Finger davon.

Der Viehhandel und die Fleischbranche hätten am liebsten fleischbetontere Milchkühe. Das würde weniger Milch von mehr Kühen und zahlenmässig besser mastfähige Tränker bedeuten. Der Schweizer Milchmarkt würde entlastet und zugleich hätte der Viehhandel wieder mehr Umsatz mit Tränkern, Mastkälbern, Schlachtkühen und grossem Mastvieh. Nur, wollen die Milchbauern auch wirklich Milchkühe mit 5'000 Kilo Milchleistung statt 10'000 Kilo? Ich empfehle den Funktionären der Viehzuchtorganisationen oder Mitarbeitern des Bundesamts für Landwirtschaft hie und da eine Viehauktion zu besuchen. Sie werden feststellen, dass Milchkühe mit 10'000 statt nur 5'000 Kilo gefragt sind. Das ist kein Wunder, weil ein Stallplatz mindestens 20'000 Franken kostet. Wenige bis gar kein Milchbauer werden auf extensive Milchkühe umstellen, nur damit der Handel mehr Umsatz machen kann. Oder der Staat würde direkt  die hohen Strukturkosten subventionieren unter der Auflage, dass keine Kuh mehr als 5'000 Kilo Milch gibt! Aber der Strukturwandel bei den Viehzüchtern hält an. Es gibt nur ein Fazit: Es braucht in Zukunft auch weniger Viehhändler.

Hans Rüssli