Wenn man bei Margrit und Fritz Rüegsegger ins Haus tritt, steht man direkt in der Küche. «Das ist so im Emmental, die Küche ist die Schaltzentrale», meint der ehemalige Landwirt und jetzige Sigrist von Signau BE. Rüegseggers sind aufgestellt, wirken zufrieden und sind sehr offene Gesprächspartner.

Es ist alles zu viel

Vor ein paar Jahren war das noch ganz anders. Margrit Rüegsegger arbeitete nebst einem Acht-Zimmer-Haushalt und dem Betrieb auswärts in einem 60%-Pensum im Pflegedienst. Die Regelung für den Betrieb ohne Nachfolge wollte aufgegleist werden, und eine schwere Rheumakrankheit kam überraschend. Das war alles zu viel – viel zu viel. Margrit Rüegsegger bekam Rückenbeschwerden und erkrankte an einer Depression. Mehrere Klinikaufenthalte waren die Folge. Das Leben funktionierte nur noch mit Therapie und Medikamenten. Auch der Ehemann kam an den Anschlag.

2009 entdeckte die Bäuerin ein Inserat des Bäuerlichen Sorgentelefons. Eine Wochenendtagung für Bauernpaare mit dem Titel «Betriebe ohne Hofnachfolge» war ausgeschrieben. Das Paar meldete sich an. Dass der Kurs in der Ostschweiz war und sie keinen der Referenten kannten, war ausschlaggebend. «Hätte der Kurs in unserer Gegend stattgefunden, wären wir nicht gegangen. Wir hatten keine Lust, mit Nachbarn im gleichen Kurs zu sitzen und über unsere Probleme zu sprechen», meint Fritz Rüegsegger.

Wie eine Familie

Der Kursbeginn war harzig. Zwei Paare stellten sich und ihre Betriebe jeweils eher oberflächlich vor, meist sprach der Mann. Auch bei Rüegseggers sprach Fritz, da seine Frau in ihrem Gesundheitszustand nicht vor eine Gruppe treten wollte. Das wurde transparent der Gruppe mitgeteilt. Die sehr offene Präsentation von Fakten und Problemen brach das Eis in der Gruppe. Die Teilnehmenden öffneten sich. «Es tat einfach gut, zu sehen, dass andere Leute auch Probleme haben», meint die Bäuerin. Einige nahmen ihrer Meinung nach auch viel zu spät an einem solchen Kurs teil. «Ein oder zwei Jahre vor der Pension ist doch viel zu kurzfristig. Da hatten wir es besser. Wir hatten wenigstens Zeit», meint Fritz Rüegsegger. 

Nebst der guten, fast familiären Stimmung war aber auch der persönliche Kontakt zu Fachpersonen wichtig. Agriexpert (ehemals Abteilung Treuhand und Schätzungen des Schweizer Bauernverbands) bekam ein Gesicht. Das Ehepaar hatte mehrere Beratungstermine. Eine Lösung zeichnete sich ab. Den Hof bewirtschaften Rüegseggers unterdessen nicht mehr. Das Land, das Bauernhaus und das Stöckli wurden 2015 den drei Kindern überschrieben. Keines von ihnen arbeitet in der Landwirtschaft. Die Eltern sind für die nächsten 15 Jahre Nutzniesser, das heisst, die Mieteinnahmen des Bauernhofs gehen an Rüegseggers. Sie sind aber auch für den Unterhalt zuständig. Nach Ablauf dieser Frist haben sie noch das Wohnrecht im Stöckli, ihrem jetzigen Zuhause.

Gespräch mit dem Pfarrer

Das Fachliche ist die eine Seite, das Seelische die andere. Bei einem ihrer Klinikaufenthalte überzeugte ein Pfleger Margrit Rüegsegger, dass sie das Gespräch mit jemandem suchen sollte. Statt sich einem unbekannten Seelsorger anzuvertrauen, nahm sie den Telefonhörer in die Hand und telefonierte ihrem Pfarrer. Unterdessen sind Rüegseggers und der Dorfpfarrer gute Freunde. Der Zufall wollte es, dass der Pfarrer Lukas Schwyn in der Zwischenzeit Präsident des Bäuerlichen Sorgentelefons wurde und Rüegseggers sich die Stelle des Sigrist teilen. So schloss sich der Kreis. Fragt man das Ehepaar Rüegsegger, weshalb es das Bäuerliche Sorgentelefon braucht, kommt es einstimmig: «Es ist eine neutrale, erste Anlaufstelle, die einem einen möglichen Weg weist.» Und was wünschen sie dem Sorgentelefon? «Genügend Unterstützung, dass es weiter helfen kann.»

Bei Rüegseggers läuft es wieder gut. Sie sind sich einig, das hat damit zu tun, dass sie sich zwar etwas spät, aber nicht zu spät, Hilfe holten. Sie freuen sich auf Ende nächstes Jahr, dann wird Fritz Rüegsegger pensioniert. Dann werden sie sich vermehrt ihren Hobbys widmen. Sie dem Flechten mit Weidenruten, er dem Drechseln. Rund ums Haus und im Garten finden sich ihre Kunstwerke, häufig Kugeln übrigens. Als wollten sie allen sagen: «Es läuft wieder rund!»

Esther Thalmann