Freitagabend, halb sechs Uhr: Wenn für die meisten Arbeitnehmer das Wochenende beginnt, zieht Christian Kohler nochmals die Arbeitskleider an – steigt in die Stiefel, streift sich einen blauen Kittel über, setzt ein "Chäppi" auf. Danach startet er die Vakuumpumpe, bindet sich einen Melkstuhl um – und beginnt zu melken. 16 Braunvieh- und 2 Red Holstein-Kühe stehen in Reih und Glied im Stall. Kohler säubert und desinfiziert Zitzen, prüft die Milch auf ihre Qualität, melkt mit vier Aggregaten gleichzeitig. Alles geht blitzschnell; es sind Handbewegungen, die sitzen, eingeübt in über 30 Jahren.

Ende Jahr ist Schluss

2 Stunden zuvor. Kohler sitzt am Küchentisch in seinem Bauernhaus im zürcherischen Ottenbach und erklärt, warum er Ende Jahr aufhört zu melken. Der 53-Jährige hat sich auf das Gespräch vorbereitet, hat einen Ordner mit alten Milchgeldabrechnungen hervorgeholt. Diese stammen aus einer Zeit, als sich die Milchwirtschaft für ihn noch lohnte. 97,7 Rappen hat Kohler im Mai 1993 für ein kg Milch erhalten, einen Monat später war es sogar mehr als ein Franken. Es ist das Jahr, als Kohler – damals 29 Jahre alt – den Betrieb von seinem Vater übernommen hatte. Heute – 24 Jahre später – sagt der Milchbauer: Es rentiert sich nicht mehr. Zu viel Arbeit, zu wenig Ertrag.

Der Milchpreis hat sich seit Anfang der 1990er Jahre beinahe halbiert. 51,46 Rp./kg erhielt Kohler im Juni 2017 gerade noch, zeitweise lag der Milchpreis gar unter 50 Rp./kg. Landwirt Kohler produziert jährlich 120'000 kg Milch. Sinkt der Preis um 1 Rappen, bedeutet das aufs Jahr hochgerechnet, dass er 1'200 Franken weniger verdient. Bei 10 Rappen sind es bereits 12'000 Franken. Die Situation mutet kurios an: Kohler hat im Verlauf der Jahre die Produktion ausgedehnt, heute melkt er einen Drittel mehr als noch vor 20 Jahren – und verdient weniger Geld mit der Milch als damals.

Bauern sind Restgeldempfänger

"Das Verhältnis stimmt einfach nicht mehr", sagt Kohler nachdenklich. Er und seine Frau Yvonne stehen jeden Tag morgens um 6 Uhr im Stall. Rund 2 Stunden lang melkt er Kühe, gibt ihnen zu fressen, mistet, kümmert sich um Kälber und Rinder. Am Abend das gleiche Prozedere nochmals. 7 Tage die Woche, während fast 365 Tagen im Jahr. Lediglich eine Woche Ferien gönnen sich Christian und Yvonne Kohler im Jahr. Während dieser Zeit stellen sie jeweils einen Betriebshelfer an. "Das Milchgeld reicht gerade, um den Lohn zu bezahlen", so Kohler. Der 53-Jährige beklagt, dass die Landwirte lediglich Restgeldempfänger seien. Sie müssten sich mit dem abfinden, was ihnen die Verarbeiter zahlten, während diese mit den Milchprodukten Geld verdienten.

 

Zitrone ist ausgepresst

 

In der Milchwirtschaft sieht Kohler keine Perspektive mehr. "Kann sein, dass der Milchpreis wieder ein paar Rappen steigt, dass er jemals wieder auf ein Niveau von 70 Rappen klettert, halte ich für unrealistisch." Für ihn ist die Zitrone ausgepresst. Möglichkeiten, die Kosten zu senken, um mit einem tieferen Milchpreis zurecht zu kommen, gebe es nicht. Kohler verfüttert fast ausschliesslich hofeigenes Grünfutter, auf den Zukauf von teurem Kraftfutter verzichtet er fast gänzlich. Der Stall ist schon älter und abbezahlt. Die Tiere sind gesund, der Tierarzt ein seltener Gast.

Kohler hat versucht, seine Milch besser zu vermarkten. Er hat sich darum bemüht, seine Milch unter dem IP-Suisse-Label "Wiesenmilch" zu verkaufen. Damit hätte er einen höheren Milchpreis erzielt. Allerdings blieb es beim Versuch. Denn Kohler war der einzige Bauer in der Region mit solchen Absichten. Seine Milch hätte separat eingesammelt werden müssen, das hätte sich nicht rentiert. Keine Option ist zudem auf Mutterkühe umzustellen, wie das viele Milchbauern derzeit machen. "Ich müsste viel Geld in den Umbau meines Anbindestalls investieren." Das lohne sich nicht mehr, zumal er keinen Nachfolger hat.

Ackerbau, Holz und Nebenerwerb

Der Anfang vom Ende der Milchwirtschaft auf dem Hof, den Kohlers Grosseltern 1929 erworben haben, hat bereits begonnen. Eine Kuh hat Kohler einem Berufskollegen verkauft. Dieser hat ihn angerufen, weil er gehört hat, dass Kohler bald aufhört. Jetzt sind es nur noch 18 Kühe. Als nächstes muss er seinem Abnehmer mitteilen, dass er aus der Milchproduktion aussteigt und der Milchtankwagen ab Januar nicht mehr vorbeikommen muss, um die Milch abzuholen. Die Rinder, die derzeit auf einer Bündner Alp sind, kommen gar nicht mehr erst zurück nach Ottenbach; Kohler lässt sie gleich vor Ort verkaufen. Und dann muss er einen Abnehmer für seine Kühe suchen und für das Heu, das er nicht mehr brauchen wird.

Mit welchen Gefühlen blickt er dem Ende der Milchproduktion entgegen? Kohler denkt nach. Er höre mit einem lachenden und weinenden Auge auf. Lachend, weil er sich freue, mehr Zeit zu haben, nicht mehr morgens und abends in den Stall zu müssen. Weinend, weil es ohne Kühe anders sein werde auf dem Hof – ungewohnt, komisch.

Kohler wird nicht ganz aus der Landwirtschaft aussteigen. Ackerbau will er weiterhin betreiben und diesen ausbauen. Von den 27,5 Hektaren, die er bewirtschaftet, baut er aktuell auf 17 Hektaren Weizen, Körnermais, Gerste, Soja und weitere Kulturen an. Für die Zukunft hat er bereits Pläne: "Ich will den Anbau von Eiweisserbsen ausprobieren." In diesem Jahr hat er zum ersten Mal Zuckermais gepflanzt. Das wegfallende Milchgeld will er teils mit einem Nebenverdienst kompensieren. "Ich habe vor 8 Jahren die Lastwagenprüfung gemacht", erklärt Kohler. Ein weiteres Standbein ist die Holzerei. Kohler ist Präsident einer Korporation, die 62 Hektaren Waldbewirtschaftet.

Michael Wahl/lid