Dominique Kähler Schweizer strickt gerne. Zeitweise habe sie drei bis fünf Stunden am Tag gestrickt, sagt sie. Und zwar nicht etwa Mützen oder Schals – nein, ganz ungewöhnliche Motive haben es ihr angetan: Lebensmittel. Unter ihrem Künstlernamen «Madame Tricot» hat sie zwei Bücher zu ihren Strickwerken veröffentlicht und ist an zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland vertreten. 

Strickende Psychiaterin

Die grosse Frau mit grauen Locken und den typisch französisch feinen Lippen hat eine sehr einnehmende Art: lebendig und vertrauenerweckend. Sie ist also wie geschaffen für ihren Beruf. Als Psychiaterin verhilft sie Menschen mit Problemen zur Orientierung. In einer Weiterbildung hat sie das intensive Stricken begonnen. Es war, so sagt sie, eine Art Selbsttherapie.

Etwas mit Händen machen

Vor dem grossen Strickerfolg war ihr grösstes Hobby der Garten. Nach einer Rückenoperation musste sie damit bremsen und startete auch beruflich in einen neuen Lebensabschnitt. Sie begann die Weiterbildung in Psychotraumatologie. Während der Vorlesungen, die sie persönlich beschäftigten, musste sie etwas mit den Händen machen. Und so nahm sie ihr Strickzeug mit. Der Dozent hatte nichts dagegen. Mehr noch, er unterstützte die Nebentätigkeit. Sie helfe nämlich, die beiden Hirnhälften zu verbinden.

Vom Vater inspiriert

So strickte sie während den Vorlesungen, auf dem Nachhause-Weg und zu Hause auf dem Sofa. Nach den anfänglich klassischen Socken und Schals packte sie eines Abends die Inspiration: Eine Dorade, wie sie ihr Vater anno dazumal gerne auf dem Mittagstisch hatte, entstand; ein gebratener Fisch. Darauf folgte ein Poulet, wie frisch aus dem Ofen. Akribisch genau strickt sie seither Lebensmittel aller Art nach. Beim Speck stimmt das Verhältnis von Fettstreifen und Fleisch, beim Käse alle Grössenverhältnisse. Alles sieht aus, als könnte man es sich direkt schmecken lassen. 

Genau hinsehen

Auf die Frage, ob sie pingelig sei, lacht sie überrascht auf. «Ich bin eine richtige Chaotin», entgegnet sie. «Aber ich kann gut beobachten». Ihr Blick wird während dem Sprechen stechend scharf: «Viele Leute sind oft gar nicht richtig präsent», findet sie. Sie seien mit den Gedanken im Gestern und im Morgen. So nehmen sie ihre Umgebung gar nicht richtig wahr. Madame Tricot entgehen keine Details. «Die Farbgebung entscheidet am Schluss, ob eine Wurst echt aussieht oder nicht.» Stundenlang habe sie schon in ihrem Woll-Laden nach dem passenden Farbton gesucht. Ihre Technik findet Dominique Kähler Schweizer nicht aussergewöhnlich. Mit Rechts-links-Stricken, abnehmen und rund stricken mit vier bis zehn Nadeln macht sie alle ihre Objekte. Es sei simpelste Strickkunst.

Nadine Baumgartner