„Mein“ erstes „Start-up“, die Molkerei in Kasisi, ist erfolgreich angelaufen und generiert für das Kasisi Agricultural Training Centre (KATC) ein besseres Einkommen. Gut, ich bin nicht Unternehmer, sondern als Fachperson mit COMUNDO im Einsatz. Und das grosse Geschäft macht man in Sambia nicht mit kleinhandwerklicher Milchverarbeitung. Aber „Start-up“, weil ich das Ding von Null auf aufgebaut habe – mit vielfältiger Unterstützung unzähliger Menschen in der Schweiz, in Deutschland und in Kasisi, denen ich zu grossem Dank verpflichtet bin.

Mein Arbeitsalltag sieht zurzeit folgendermassen aus: um fünf Uhr morgens nehme die Milch entgegen, verarbeite sie zusammen mit meinem sambischen Kollegen zu Feta, Halloumi, Frischkäse, Süss- und Sauerrahm und Joghurt, reinige die Utensilien und die Molkerei, fülle ab, verpacke, drucke Labels, etikettiere, mache Produktionsaufzeichnungen, nehme Bestellungen entgegen, schreibe Lieferscheine und Rechnungen, bereite Bestellungen vor, fahre nach Lusaka zum Ausliefern, kaufe Verbrauchsmaterial, verschicke Mahnungen, plane den nächsten Tag... und dann versinkt die grosse, rote Sonne auch schon wieder in der sambischen Buschlandschaft am Horizont. Kurzum: „I'm running up and down“ (ich renne auf und ab) wie man hier sagt – und wäre eigentlich reif für die Insel. Aber eben: ein „Start-up“ ist kein Selbstläufer. Wäre ich weg oder krank, würde der Betrieb zum Erliegen kommen. Leider und hoffentlich nur vorerst.

Hilfe bei der Bewältigung all der Arbeiten erhalte ich von einem älteren Herrn. Mister Konsolo hat 35 Jahre in der Milchverarbeitung gearbeitet und entsprechend einen grossen Fundus an Erfahrung und Wissen. Bevor er ans KATC kam, war er mehrere Jahre „factory manager“ (Produktionsleiter) einer Farm-Molkerei unweit von Kasisi. Ich weiss Herrn Konsolo als Freund sehr zu schätzen – er hat Sinn für Humor, ist freundlich, weise, grosszügig, zuverlässig und redlich. Aber es ist mir ein Rätsel, wieso der KATC-Direktor einen 67-jährigen, bereits pensionierten Mann für die Milchverarbeitung angestellt hat. Alter in Ehren, sowieso in Sambia, wo traditionell die Herrschaft der Alten (Männer) besteht – aber im fortgeschrittenen Alter hat man punkto Kraft, Flinkheit und Schnelligkeit den Zenit überschritten. Vom „Just in time“-Vermarkten mit WhatsApp und den digitalen Aufzeichnungen mit dem Computer gar nicht zu sprechen. So bleibt Vieles an mir hängen, und ich muss mir immer wieder überlegen, wie ich Mister Konsolo einbinden kann, damit er mich entlastet. Highspeed-Produktivismus und Beschäftigungsprogramm unter einen Hut zu bringen, ist anstrengend.

Langweilig wird mir also nicht. Und Geschichten gäbe es viele zu erzählen, von Gelungenem und Missglücktem. Einiges klappt und manches führt zu Pannen. Dann ist Improvisation angesagt. Oder der Plan B. Zum Beispiel beim ersten Ausliefern der Milchprodukte nach Lusaka. Alles war bestens vorbereitet: Käse, Rahm und Joghurts lagen abgepackt in Kisten, die Rechnungen waren geschrieben, die Route geplant. Kingswell, ein Chauffeur am KATC, fuhr den Tata-Lieferwagen mit Kühlraum rechtzeitig vor die Molkerei. Wir luden ein, posierten für ein Erinnerungsfoto vor dem Lieferwagen und fuhren los. Die Kühlung des Laderaums funktionierte einwandfrei, die Anzeige in der Fahrerkabine zeigte 4 °C an.

Doch etwa drei Kilometer nach Kasisi begann plötzlich der Motor zu stottern und verstummte schliesslich. Ich stieg aus und schob den Lieferwagen von der Strasse – die Jugendlichen an der Strassenkreuzung fanden das definitiv amüsanter als ich. Item. Kingswell prüfte den Motor. Er vermutete, dass etwas mit der Treibstoffpumpe nicht in Ordnung war. Obwohl Kingswell von Motoren mehr versteht als sein Vorgesetzter, der Werkstattleiter, bat er mich diesen zu verständigen – er wollte nicht auf eigene Faust am Motor rumschrauben. Dieses Muster habe ich in Sambia schon öfters bemerkt: Aus Furcht, zur Rechenschaft gezogen zu werden, falls man etwas Falsches macht, macht man lieber gar nichts. Beziehungsweise man überantwortet das Problem dem Vorgesetzten.

Zwanzig Minuten standen der Werkstattleiter und der kompetenteste KATC-Mechaniker vor Ort und nahmen sich dem motorischen Patienten an. Unterdessen begann ich mich um das Wohlergehen der Milchprodukte zu sorgen – es wurde langsam wärmer. Relativ rasch war die Diagnose gestellt – Lufteinschluss im Treibstoffsystem – und die Lösung gefunden – Ablassschraube beim Dieselfilter öffnen und Handpumpe betätigen. Die Panne war anscheinend behoben, wir konnten weiterfahren und Käse und Co. bei den Läden und Restaurants in Lusaka in guter Verfassung abliefern. Nur: auf dem Rückweg bockte der Motor erneut und gab den Geist auf. Ich kürze hier ab und halte nur in groben Zügen fest, was seither in dieser Sachen gelaufen ist:

  • Wir lieferten zwei weitere Male mit dem Kleintransporter. Die erste Lieferung verlief ohne Zwischenfall, bei der zweiten machte der Motor wieder schlapp.
  • Da der Lieferwagen noch unter Garantie läuft, brachte ihn der KATC-Werkstattleiter in die Garage. Nach drei Wochen und diversen Nachfragen hiess es, der Tata sei abholbereit. Auf dem Rückweg von der Garage nach Kasisi, ja was wohl? – gab der Motor den Geist auf.
  • Der KATC-Werkstattleiter fand es zu gefährlich, mit dem Tata auf der stark befahrenen Strasse wieder nach Lusaka in die Garage zu fahren. Stattdessen veranlasste er, dass ein Tata-Mechaniker nach Kasisi kam. Ich erfuhr, dass dieser den Tank reinigte und der Treibstofffilter ersetzt, das Problem auf der Testfahrt aber erneut auftrat.

Nun ist die Geschichte mit dem Tata „on hold“, wie es hier heisst: in der Warteschleife. Wir warten darauf, dass der KATC-Direktor aus dem dreimonatigen Sabbatical zurückkehrt und das Problem löst. Unterdessen fragte ich vor jeder Lieferung die Frau eines „Extension Officer“ (Beratungsfachmann) am KATC an, ob ich ihre drei Kühlboxen benutzen darf. Wenn sie die Kühlboxen nicht gerade für den Transport von geschlachteten Hühnern brauchte, lieh sie mir diese freundlicherweise aus. Irgendwann wurde mir der Aufwand (Anfrage, Reinigung der Kühlboxen, Rückgabe) aber zu gross, und ich beantragte beim Buchhaltungsleiter und bei der Vizedirektorin vier eigene Kühlboxen. Am KATC einen solchen Kaufantrag durchzubringen, ist ein kompliziertes Prozedere, aber das nur am Rande. Jedenfalls wurde die Anschaffung schliesslich bewilligt und das Geld dafür freigegeben.

In der kalten Trockenzeit der letzten Monate war diese Lösung durchaus praktikabel. Allmählich wird es jetzt aber wärmer, die trockene Hitzezeit kündigt sich an. Ich hoffe, dass dies die nötige Dringlichkeit mit sich bringt, um das Tata-Problem zu lösen. Langsam weiss ich, wie man solche Dinge angeht: Vieles ist eine Frage des „Timing“, des „Framing“ und der Beziehung. Wann, mit welcher Begründung und in welchem Deutungsrahmen bringe ich ein Anliegen vor? Wer ist der richtige Adressat, und wie stehe ich zu meinem Gegenüber? Welches ist der „richtige Ton“, der mich zum Ziel führt? 

Es ist ein bisschen wie beim Käsen auf der Alp: zieht ein Gewitter auf, ist das Quellwasser im Hochsommer für die optimale Milchkühlung zu warm, die Milch darum überreif, oder hat man im Herbst fast nur noch Milch von altmelken Kühen, muss man die Kulturmenge, die Vorschüttzeit und die Brenntemperatur anpassen, damit der Käse trotzdem gut wird.

Markus Schär

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