LID: Roboter, die Kühe melken; Sensoren, welche die Brunst bei Kühen erkennen; Drohnen, die Felder überwachen: Gibt es derzeit eine technische Revolution in der Landwirtschaft?

Christina Umstätter: Momentan ist die digitale Entwicklung in aller Munde. Neue Technologien entwickeln sich schnell und bringen vieles in Bewegung. Allerdings könnte man sich vorstellen, dass das derzeitige gesteigerte Medieninteresse auch sehr grosse Erwartungen an die Geschwindigkeit der Entwicklung weckt, die so nicht unbedingt eintritt. Die elektronische Brunsterkennung und der Melkrobotereinsatz sind bereits gut etablierte Technologien. Auf der anderen Seite gibt es noch viele technische Ansätze, die vom grossen Einsatz in der Praxis noch weit entfernt sind. Dennoch kann man feststellen, dass sich sowohl in unserer Gesellschaft, wie auch in unserer Landwirtschaft ein digitaler Wandel vollzieht. Die technische Entwicklung ist schnell und bringt somit eine Vielzahl neuer Einsatzgebiete mit sich. Es ist definitiv eine spannende Zeit in der wir leben.

Wie verändert die Digitalisierung den Beruf des Landwirts?

C. Umstätter: Zunächst sollte man sich bewusst machen, dass der Landwirt entscheidet, was für sich und seinen Betrieb passt. Jeder Landwirt sollte sich seinen Betrieb so aufbauen, dass er zu seinen Fähigkeiten und den Fähigkeiten seiner Mitarbeitenden passt. Jedoch schreitet die Digitalisierung auch generell in unserer Gesellschaft voran und diese beiden Entwicklungen sind eng miteinander verzahnt. Nicht umsonst steckt im Begriff Agrikultur der Begriff Kultur, weil es schon seit Menschen Gedenken eine Symbiose zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft gibt. Es wird jedoch zukünftig festzustellen sein, dass sich die Arbeiten auf dem Betrieb von den körperlichen Aktivitäten hin zu den Betriebsführungsarbeiten verschieben. Dies wird sich auch auf die Wahrnehmung des Berufsbildes auswirken. Es ist durchaus vorstellbar, dass sich dann plötzlich Menschen mit anderen Interessenlagen wie bisher für den Beruf Landwirt interessieren.

Sehen Sie neben Chancen auch Gefahren oder Risiken für die Bäuerinnen und Bauern?

C. Umstätter: Die grossen Vorteile der Digitalisierung liegen in der möglichen Einsparung von Arbeitszeit und der Reduktion der physischen Belastung. Es gibt allerdings Anzeichen, dass diese Vorteile durch mentale Kosten bezahlt werden, d.h. der Anteil der Betriebsführungsarbeiten steigt an. Darüber hinaus kann die gestiegene Abhängigkeit von der Technik zu erhöhtem Stress führen. Auch mögliche zu tätigende Investitionen können zusätzlich ein Stressgefühl hervorrufen. Nicht jeder Mensch kann gleich gut mit den Ansprüchen der Technik an den Menschen umgehen. Zudem sind oft die Produkte in der Landwirtschaft nicht so ausgereift, dass sie leicht zu verstehen und zu nutzen sind. Insgesamt sollte jeder Landwirt sich genau überlegen, ob die anvisierte Technik wirklich für ihn und den Betrieb passt und ausreichend Nutzen bringt.

Machen Methoden der digitalen Landwirtschaft nur für grosse Betriebe Sinn oder gibt es Beispiele von Anwendungen, die auch für kleine Betriebe sinnvoll sind?

C. Umstätter: Die digitale Landwirtschaft beinhaltet nicht nur Technologien, die nur für grosse Betriebe nutzbar sind, oder die nur grosse technische Revolutionen beinhalten. Zwei Beispiele können hier genannt werden. Derzeit gibt es z.B. ein neues System auf dem Markt, mit dem man seine Tiere für wenig Geld auf der Alp orten kann. Dieses einfache Gerät, bei dem GPS mit LoRa-Technologie für die Übertragung in ein Halsband integriert sind, kann viel Arbeitszeit bei der Tierüberwachung auf der Alp einsparen. Bei Herdentieren müssen nur ein bis wenige Tiere ausgestattet werden. Deshalb bleiben die Kosten gering. Ein weiteres Beispiel ist die optimierte Nutzung des Weidelandes durch eine automatisierte Messung der kompaktierten Aufwuchshöhe. Dazu wurde ein elektronisches Gerät entwickelt, das man an einen herkömmlichen Herbometer klemmen kann. Wenn man zur Messung auf die Fläche geht, wird dann jeder Messpunkt automatisch georeferenziert und zum Handygesendet.

Anschliessend werden die Daten vollautomatisch in eine Datenbank geladen, sobald sich das Handy wieder in einem Wifi-Bereich befindet. Mit Hilfe der Datenbank, die bisher für Irland existiert, kann das Weidemanagement unterstützt werden. Die Beispiele zeigen, dass man auch mit sehr geringen Investitionen auf kleinen Betrieben durch die digitale Landwirtschaft eine Arbeitserleichterung und Effizienzsteigerung erreichen kann. Neben der Optimierung von Produktionssystemen besteht grosses Potential den administrativen Aufwand für die Landwirte zu reduzieren und die Rückverfolgbarkeit zu automatisieren.

Nadja El Benni: In den meisten Fällen wird das ökonomische Konzept der positiven Skaleneffekte - economies of scale - für die Argumentation nach benötigtem Betriebswachstum herangezogen. Das Konzept besagt, dass durch Grössenwachstum eine überproportionale Kosteneinsparung je Produktionseinheit erreicht werden kann. Entsprechend diesem Konzept wurde und wird das Credo in der Landwirtschaft „grösser ist besser“ gepflegt - grössere Flächen, grössere Maschinen, grössere Erträge gleich bessere Wettbewerbsfähigkeit. Nun ist es aber so, dass mit den neuen Technologien, wie z.B. der Robotik, auch kleinere Flächen sinnvoll und ohne grosse Maschinen bewirtschaftet werden können. Experten sehen hier ein grosses Potential, dass durch die Robotik auch flächenmässig kleine Betriebe wieder wettbewerbsfähig wirtschaften können. Dies würde eine grosse Chance für die Schweizer Landwirtschaft bedeuten, mit den neuesten technologischen Entwicklungen wettbewerbsfähiger zu werden. Die Kostenentwicklung wird hier eine entscheidende Rolle spielen.

Die Landwirtschaft ist wirtschaftlich stark unter Druck. Kann sie wettbewerbsfähiger werden, wenn sie vermehrt auf Roboter, Drohnen und Co. setzt?

N. El Benni: Sie kann wettbewerbsfähiger werden, davon bin ich überzeugt. Dies wird aber nicht für jeden Betrieb, jede Produktionsrichtung oder mit jeder Technologie der Fall sein. Hier gilt es, die unterschiedlichen Faktoren zu analysieren, welche für die Schweizer Landwirtschaft von besonderer Bedeutung sind. Diese können sowohl technischer, betriebswirtschaftlicher, arbeitswissenschaftlicher, agronomischer oder sozio-ökonomischer Natur sein. Als Kompetenzzentrum des Bundes für die landwirtschaftliche Forschung, wo agronomisches mit ökonomischem Wissen verbunden wird, möchten wir Entscheidungsgrundlagen für die Produktionsoptimierung und für die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen liefern.  

Was macht Agroscope im Bereich Digitalisierung?

N. El Benni: Im Bereich Digitalisierung ist Agroscope in drei Schwerpunkten tätig. Erstens in der Entwicklung und Weiterentwicklung von neuen Technologien und Tools für die Praxis, Beratung und Forschung. So werden zum Beispiel Monitoring- und Entscheidungsunterstützungssysteme entwickelt, um Tierhaltungssysteme zu verbessern, die Schädlings- oder Unkrautbekämpfung effektiv und umweltschonend zu gestalten oder den Boden schonend zu bearbeiten. Zweitens gestaltet Agroscope den Dialog zum Thema Digitalisierung in der Schweizer Landwirtschaft aktiv mit, in dem entsprechende Plattformen geboten und Workshops durchgeführt werden. Ein Beispiel ist der am 5. September stattfindende Sensorday zum Thema "Intelligente Sensoren für Landwirtschaft und Nahrungsmittelbranche" bei Agroscope in Tänikon. Ein systematischer Dialog ist ausserdem sehr wichtig, um allen Akteuren die Möglichkeit an der Mit- und Ausgestaltung der mit der Digitalisierung einhergehenden Systeme zu geben.

So ist zum Beispiel die Ausgestaltung von Datenbanksystemen hinsichtlich der Datenschutz- und Datennutzungsrechten von grosser Bedeutung. Drittens ist es das Ziel von Agroscope, sich im Bereich der Technologiefolgenabschätzung im Bereich der Landwirtschaft zu etablieren. Agroscope positioniert sich dazu ab dem kommenden Arbeitsprogramm mit wissenschaftlichen Studien zu Themen wie Adoption und Diffusion von Smart-Farming-Technologien in der Landwirtschaft. Dabei sollen ökonomische, gesellschaftliche, arbeitswissenschaftliche und agronomische Aspekte der Digitalisierung wissenschaftlich betrachtet werden, um Empfehlungen für die Verwaltung und Praxis ableiten zu können.     

Wie steht die Schweiz punkto Digitalisierung und Technologisierung im Vergleich mit der ausländischen Landwirtschaft da?

C. Umstätter: Die Digitalisierung ist am Anfang sehr stark für die Grossbetriebe vorangetrieben worden. Beispielsweise im Ackerbau sind für grosse Betriebe eher Vorteile zu sehen. Deshalb ist die Forschung auch in diesem Bereich gerade in Ländern mit grösseren Strukturen vorangetrieben worden. Auf der anderen Seite gibt es auch in der Schweiz Betriebszweige, die von der Digitalisierung profitieren können, ohne dass die kleinräumigere Struktur unbedingt hinderlich sein muss. Da sind besonders die Spezialkulturen zu nennen, sowie der Bereich der Grünlandbewirtschaftung in der Milchviehhaltung. Letzteres wurde im Precision Farming am Anfang übersehen, aber heute ist die Forschung weltweit in diesem Bereich intensiviert worden und die Schweiz ist dort vorne dabei.

Wagen Sie einen Blick in die Zukunft: Wie stark wird die Digitalisierung die Schweizer Landwirtschaft verändern?

N. El Benni: Wissenschaftlich basierte Aussagen kann man beim aktuellen Kenntnisstand nicht treffen. Im Moment sind die Erwartungen sehr hoch. Nach einem Peak der Begeisterung um die möglichen Chancen durch die neuen Technologien wird es zur Ernüchterung kommen und die Popularität der Thematik wird sinken. Mit neuen Erkenntnissen, die über die Zeit durch Forschung und Entwicklung sowie den Einsatz in der Praxis hervorgebracht werden, werden wir uns auf einem höheren Produktivitätsniveau wiederfinden. Dabei muss natürlich beachtet werden, dass die Wettbewerbsfähigkeit ein relativer Begriff ist, auch das Ausland wird Produktivitätszuwächse haben. Grundsätzlich geht es darum, mit allen gegebenen Mitteln und auf dem neuesten Stand der Wissenschaft und Entwicklung eine an den Standort optimal angepasste Produktion zu erreichen. Die Digitalisierung als Megatrend wird nicht nur die Schweizer Landwirtschaft verändern.

Jonas Ingold