Wer im Weiler Dreien SG den richtigen Abzweiger nimmt, fährt auf einer kurvenreichen Strasse immer weiter in die Höhe – bis die Strasse abrupt zu Ende ist. Fürschwand heisst die Ansammlung von ein paar wenigen Häusern, einige sind unbewohnt oder werden als Feriendomizil genutzt.


Vom Garten nie genug


Adelheid Wolgensinger kam vor 28 Jahren auf diesen Hof und bewirtschaftet ihn seither mit Paul, ihrem Mann. Er betreibt Kälbermast, wie dies auch sein Vater schon getan hat, sie hilft ihm dabei, wenn ihre Hilfe nötig ist. Der Sommer sei streng mit Heuen – doch tagtäglich ziehe sie die Stallstiefel nicht an, sagt sie. «Wir reden einander nicht drein, jeder hat seinen eigenen Arbeitsbereich», und das sei gut so.

Ihre grossen Leidenschaft sei der Garten, die Arbeit mit der Erde, das Säen, Wachsen und Ernten sei für sie jedes Jahr von Neuem ein Wunder. Nie könne sie genug kriegen, immer wolle sie noch mehr anpflanzen und finde immer noch ein Plätzchen für Blumen oder ein paar Kräuter und Gewürze.

Sie achte die Natur als höchstes Gut und behandle sie auch entsprechend, erzählt die 52-jährige Frau, die mit drei Geschwistern auf dem elterlichen Hof in der Region aufgewachsen ist und hier, am Ende der Strasse und auf 850 Metern über Meer, mehr Gesellschaft hat als auf dem noch einsameren Hof, wo sie aufwuchs.

Dörrgemüse kommt gut an

Im Garten liegt an diesem frühen Märztag noch Schnee. Immerhin strecken die Winterlinge ihre gelben Blüten dem Tag entgegen. Ein riesiger Büschel Christrosen stellt seine Schönheit ebenso zur Schau, es lässt sich nur erahnen, wie dieser Garten in ein paar Wochen aussehen wird. Die Bäuerin strahlt, wenn sie erzählt, dass es sie schon lange in den Fingern jucke, umzustechen und die Beete parat zu machen. Sie sei aber keine «Büechligärtnerin» und pflanze einfach alles an, was sie später für den Eigenbedarf und für ihr zweites Hobby, den Verkauf am Chlausmarkt in Mosnang SG, nutzen könne.


Sie hat sich auf das Dörren von Gemüseraspeln, Kräutern und Gewürz spezialisiert, welches sie später als Salatgewürz, Gewürz- und Kräutersalz, als Teemischung und als gedörrtes Gemüse in hübsche Säckchen verpackt und verkauft. Besonders das gedörrte Gemüse komme bei der Kundschaft gut an, erzählt sie. Und erst kürzlich sei sie froh gewesen, dass ihr eigener Thymiantee mit Königskerze sie innerhalb kurzer Zeit wieder gesund gemacht habe.

Das Glück im kleinen Reich

Als Adelheid Wolgensinger vor bald drei Jahrzehnten auf den Hof kam, lebte das Paar und später die junge Familie mit den heute 27-jährigen Zwillingstöchtern und dem heute 24-jährigen Sohn als Familiengemeinschaft zusammen. «Eine schwierige Zeit», stellt sie rückblickend fest. Trotzdem will sie diese Zeit nicht nur schlecht reden. Sie habe in dieser Zeit auch vieles gelernt, über sich und die Menschen überhaupt.

Ein Thema, das die offene, interessierte Frau, die in jungen Jahren keine Gelegenheit hatte, eine Ausbildung zu machen, seit jeher interessiert. Es hiess damals: Im Sommer zu Hause helfen und im Winter auswärts Geld verdienen, basta. Heute hadert sie nicht mit dem Schicksal, vieles wäre vielleicht anders herausgekommen, wenn sie dieses und jenes gemacht oder eben nicht gemacht hätte.


Wer weiss das schon? Viel wichtiger sei es, sich im eigenen kleinen Reich das Glück zu Eigen zu machen. Mit Kleinigkeiten das Leben bereichern, das liegt der vitalen Frau. Sie sei glücklich, drei gesunde Kinder zu haben, denen sie viel Liebe mit auf den Lebensweg geben durfte. Sie habe auch gelernt, die Jungen mit viel Vertrauen ziehen zu lassen.

Die Töchter leben heute auswärts, der Sohn hat sich im Stöckli eingerichtet. Ob der Sohn in sechs Jahren, wenn ihr Mann pensioniert wird, den Hof übernimmt, sei ungewiss. Er sei gelernter Möbelschreiner, habe Interesse an der Landwirtschaft, doch sei es noch zu früh, Weichen zu stellen, sagt sie. Eines sei ihr aber bewusst, dass sie sich im Loslassen üben müsse. «Auch wenn es schwer ist, dürfen wir den jungen Leuten nicht im Wege stehen.»


Grenzen akzeptieren

Oft, wenn sie philosophische Gedanken wälze und übers Leben nachdenke, gehe sie einfach in die Natur. Vieles falle ihr dann wie Schuppen von den Augen und die Bäuerin schildert, wie sie ihre Hühner beobachte und dabei erkenne, wie die Tiere mit der Hackordnung des Lebens zurechtkommen. «Grenzen akzeptieren, Toleranz üben und Distanz wahren – Werte, die sowohl die Hühner wie auch die Menschen immer wieder üben müssen.»


Jeder trägt sein «Bürdeli»


Auch wenn sie nicht einmal Auto fahren könne, das Meer erst ein einziges Mal gesehen habe und vieles nur vom Hörensagen kenne, fühle sie sich als ein glücklicher Mensch, sagt sie. Jeder Mensch habe sein «Bürdeli» zu tragen, das sei ganz normal.

Doch einmal im Jahr, in der sogenannten fünften Jahreszeit, geniesse sie die Fasnacht, und zwar in vollen Zügen. Und Adelheid Wolgensinger beginnt zu erzählen, wie sich die Schnitzelbänklerinnen aus der Frauen
fitness-Gruppe, deren Präsidentin sie ist, organisiert haben und seit zwölf Jahren aktiv und fast schon professionell mit einer musikalischen Leiterin und Autorinnen Schnitzelbänke singen und Leute und Gegebenheiten aus dem verflossenen Jahr auf die Schippe nehmen.


An mehreren Tagen seien die vierzehn Frauen unterwegs, singen in verschiedenen Restaurants und Altersheimen und es sei einfach jedes Jahr ein Riesengaudi, erzählt sie und strahlt. «Nein, die Passwit-Tröller würde ich mir nicht nehmen lassen, durch sie baue ich meine Energie, meine Kraft für den Alltag auf, es ist einfach wunderschön, dass ich in dieser Gruppe dabei sein darf», und einmal mehr strahlt ihr ganzes Gesicht.


Ruth Bossert